Ernährung in der Schwangerschaft: Was wir aus der britischen Nachkriegszeit lernen können14. Juli 2025 Foto: © di_media/stock.adobe.com Eine neue Studie zeigt, wie sich eine übermäßige Zufuhr eines einzelnen Lebensmittels in den ersten 1000 Tagen auf die langfristige Gesundheit auswirken kann, erklärt Prof. Sandra Hummel, vom Institut für Diabetesforschung im Helmholtz Zentrum (DZD). Seit einigen Jahren wird allgemein anerkannt, dass die ersten 1000 Tage im Leben des Menschen, beginnend mit der Empfängnis, ein „window of opportunity“ darstellen, in dem der Grundstein für langfristige Gesundheit gelegt wird [1]. Viele Erkenntnisse dazu stammen aus Studien im Tiermodell. Solche Untersuchungen zeigen, dass Umweltfaktoren, insbesondere eine Fehlernährung, in dieser frühen Phase die Entwicklung des Nachwuchses dauerhaft beeinflussen können, erklärt Hummel. Zunehmend gibt es auch beim Menschen Hinweise darauf – zum Beispiel aus Studien zu Auswirkungen einer starken Kalorienreduktion bei Frauen, die während des sogenannten Hungerwinters am Ende des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden schwanger waren [2]. Die extreme Kalorienreduktion in dieser Zeit hatte langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit ihrer Kinder. Besonders betroffen waren das Herz-Kreislauf-System, der Stoffwechsel und die psychische Gesundheit, berichtet Hummel. „Heute weiß man außerdem: Nicht nur eine Unterernährung, sondern auch eine Überernährung während der Schwangerschaft – etwa bei Adipositas oder Diabetes der Mutter – kann die gesunde Entwicklung des Kindes langfristig beeinträchtigen“[3], betont die Fachärztin. Zudem werde eine durch Überernährung verursachte exzessive Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft mit negativen Folgen für die kindliche Gesundheit in Verbindung gebracht [4]. Unter- sowie Überernährung im Fokus Eine aktuelle Studie hat gezeigt, wie stark sich eine übermäßige Zufuhr eines einzelnen Lebensmittels – in diesem Fall Zucker – in den ersten 1000 Tagen auf die langfristige Gesundheit auswirken kann [5], berichtet Hummel. Untersucht wurden Personen, die bereits im Mutterleib und zum Teil auch in den ersten Lebensmonaten einer staatlich geregelten Zuckerrationierung in Großbritannien ausgesetzt waren. Diese Rationierung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt. Im Vergleich zu Personen, die dieser Rationierung nicht ausgesetzt waren, hatten sie im Erwachsenenalter ein deutlich geringeres Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Besonders interessant sei folgende Tatsache: Begleitend zum Anstieg des Zuckerverzehrs nach der Rationierung nahm auch die tägliche Energiezufuhr deutlich zu, wobei die Aufnahme der Nährstoffe Fett und Eiweiß weitestgehend konstant blieb. Während der Rationierung lag die tägliche Zuckerzufuhr von Erwachsenen bei circa 40 Gramm, was in etwa der maximalen Zufuhrempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für den durchschnittlichen Erwachsenen entspricht (maximale Zufuhr freier Zucker von weniger als 10 Prozent der Gesamtenergiezufuhr). Dieser Empfehlung haben sich auch deutsche Fachgesellschaften angeschlossen [6]. Hoher Konsum von Softdrinks Nach dem Ende der Rationierung stieg der Konsum auf durchschnittlich 80 Gramm Zucker pro Tag an – vergleichbar mit dem heutigen durchschnittlichen Zuckerverzehr. Auch bei Kindern hatte sich die tägliche Zuckeraufnahme nach der Rationierung in etwa verdoppelt. Ungefähr ein Drittel des gesundheitsschützenden Effekts konnte direkt auf die reduzierte Zuckerzufuhr während der Schwangerschaft zurückgeführt werden. Am stärksten war der Effekt jedoch bei Personen, die sowohl im Mutterleib als auch über die ersten sechs Lebensmonate hinaus von der Zuckerrationierung betroffen waren, ein Alter, in dem in der Regel Beikost eingeführt wird. Die derzeitigen Empfehlungen zum Zuckerkonsum besagen, dass in dieser frühen Phase möglichst auf zugesetzten Zucker verzichtet werden sollte. „Allerdings werden diese Empfehlungen durch den Verzehr von Softdrinks und speziell für Kinder angebotene Lebensmittel mit zu hohem Zuckergehalt häufig nicht eingehalten“, sagt Hummel. Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen eindrücklich die negativen Folgen eines zu hohen Zuckerkonsums in dieser frühen Entwicklungsphase [5], so die Fachärztin. Darüber hinaus habe eine ebenfalls im letzten Jahr veröffentlichte Studie den Hinweis geliefert, dass auch eine Überernährung des Vaters zum Zeitpunkt der Zeugung die langfristige Gesundheit des Kindes beeinträchtigen kann: War ein Vater zum Zeitpunkt der Zeugung übergewichtig, erhöhte dies das Risiko seines Kindes, ebenfalls Übergewicht oder Typ-2-Diabetes zu entwickeln [7]. Epigenetische Veränderungen könnten Ursache sein Als mögliche Ursachen für die langfristigen Gesundheitsfolgen einer Überernährung in den ersten 1000 Lebenstagen – einschließlich einer übermäßigen Ernährung des Vaters vor der Empfängnis – werden unter anderem epigenetische Veränderungen diskutiert. „Diese Veränderungen beeinflussen, wie Gene ein- oder ausgeschaltet werden, ohne dabei die eigentliche Erbinformation zu verändern“, erklärt Hummel Ziel zukünftiger Forschung sei es daher, die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen besser zu verstehen. So könnten neue Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen in dieser frühen Phase entwickelt werden. Bereits jetzt werde durch die Erkenntnisse aus zahlreichen Studien deutlich, dass durch eine gesunde Ernährung der werdenden Eltern sowie deren Kinder das Risiko für metabolische Erkrankungen später im Leben deutlich gesenkt werden kann. „Daraus ergibt sich eine klare Forderung an die Politik, Maßnahmen zu ergreifen, um den Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Lebensmitteln zu reduzieren und den Konsum von gesunden Lebensmitteln attraktiver zu gestalten“, betont die Fachärztin. Forderungen an die Politik In Deutschland seien vor allem ungesunde, stark verarbeitete Lebensmittel und Getränke mit hohem Zucker-, Salz- oder Fettgehalt billig und damit leicht zugänglich. „Dies könnte durch eine gezielte Besteuerung von Lebensmitteln, die ungesunde Lebensmittel verteuert und gesunde Lebensmittel verbilligt, verändert werden.“ Aus anderen Ländern sei bereits bekannt, dass diese Strategie das Konsumverhalten günstig beeinflusst. Auch ein Verbot der Bewerbung von ungesunden Kinderlebensmitteln ist eine Forderung an die Politik, die unter anderem von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) formuliert wurde, sagt Hummel abschließend. Literatur:[1] Gluckman, P.D., et al., Effect of in utero and early-life conditions on adult health and disease. N Engl J Med, 2008. 359(1): p. 61-73.[2] De Rooij, S.R., et al., Lessons learned from 25 Years of Research into Long term Consequences of Prenatal Exposure to the Dutch famine 1944-45: The Dutch famine Birth Cohort. Int J Environ Health Res, 2022. 32(7): p. 1432-1446.[3] Saravanan, P., Gestational diabetes: opportunities for improving maternal and child health. Lancet Diabetes Endocrinol, 2020. 8(9): p. 793-800.[4] Kusinski, L.C., et al., Reduced-energy diet in women with gestational diabetes: the dietary intervention in gestational diabetes DiGest randomized clinical trial. Nat Med, 2025. 31(2): p. 514-523.[5] Gracner, T., C. Boone, and P.J. Gertler, Exposure to sugar rationing in the first 1000 days of life protected against chronic disease. Science, 2024. 386(6725): p. 1043-1048.[6] Ernst JB, A.-A.U., Bitzer B, Bosy-Westphal A, de Zwaan M, Egert S, Fritsche A, , H.H. Gerlach S, Heseker H, Koletzko B, Müller-Wieland D, Schulze M, Virmani K, Watzl B, Buyken AE für DAG, DDG and DGE Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland. 2018: Bonn.[7] Tomar, A., et al., Epigenetic inheritance of diet-induced and sperm-borne mitochondrial RNAs. Nature, 2024. 630(8017): p. 720-727.
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