Erwartungen an die Zentrale Notaufnahme aus der Sicht von Orthopädie und Unfallchirurgie

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Mit dem Beschluss zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 19. April 2018 die Grundlage zur Änderung der bestehenden Strukturen in den deutschen Notaufnahmen gelegt1. Für die entsprechenden Versorgungsstufen – Basisnotfallversorgung, erweiterte ­Notfallversorgung und umfassende Notfallversorgung – sind Mindestvoraussetzungen zur Erfüllung struktureller Voraussetzungen definiert, nach der gestaffelte finanzielle Zuschläge erstattet werden.

Die Zentrale Notaufnahme ist im Beschluss als räumlich abgegrenzte, fachübergreifende Einheit mit eigenständiger fachlich unabhängiger Leitung definiert. Zudem muss zumindest für die Leitungsposition die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ erworben werden. Der Sorge einer Unterrepräsentation von Orthopädie und Unfallchirurgie hielten Baacke und Kollegen bereits entgegen, dass schon ab der Basisversorgung eine unfallchirurgische/chirurgische Klinik vorgehalten werden muss. Grundsätzlich muss eine fachärztliche Behandlung der Patienten binnen 30 Minuten gewährleistet sein. Auch soll auf dem Level der Basisversorgung strukturell ein Schockraum vorgehalten werden.

Für das Jahr 2021 wurden 9,8 Millionen Konsultationen in den Notfallambulanzen von 1555 Krankenhäusern beschrieben2. Hierbei nehmen Probleme des Bewegungsapparates den größten Anteil ein, bewegen sich knapp unter der Hälfte aller Fälle. So entfielen in einer Münchener Studie 48 Prozent der 182.229 ausgewerteten Fälle in Notaufnahmen in den Bereich von O & U3. Diese Zahlen zeigen das hohe Aufkommen unfallchirurgisch-orthopädischer Probleme in den deutschen Notaufnahmen und betonen die Nachfrage nach fachspezifischer Kompetenz. Bedingt durch den G-BA-Beschluss werden für den Einsatz in der Notaufnahme zunehmend Kolleginnen und Kollegen mit der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ ausgebildet. Diese entstammen aus zahlreichen, oft auch konservativ tätigen Fächern. Im Weiterbildungskatalog zum Erwerb der Zusatzbezeichnung in Hessen werden aus dem Fachbereich O & U unter anderem Kenntnisse für muskuloskelettale Notfälle sowie in den Grund­lagen der Verletzungsartenverfahren gefordert. Handlungskompetenzen für Abszessspaltungen und Gelenkpunk­tionen, Thoraxdrainagen und Polytraumamanagment werden abgefragt, sind aber nicht weiter spezifiziert.

Durch die neue Strukturierung und zunehmend multidisziplinär ausgerichtete Notfallversorgung ist anzunehmen, dass Patientinnen und Patienten mit muskuloskelettalen Problemen in der Zukunft facharztfremd zumindest anbehandelt werden. Daher sollten aus Sicht von O & U einige Aspekte in der strukturellen und personellen Ausstattung der Notaufnahmen beachtet werden, um weiterhin eine hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten.

Allein über den Hintergrund des hohen Patientenaufkommens ließe sich schon eine dauerhafte Präsenz von fachärztlichem Personal aus O & U in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) fordern. Des weiteren müssen aus Sicht von O & U neben qualitativen auch strukturelle Forderungen an die Notaufnahmen gestellt werden, die außerhalb des G-BA Beschlusses durch die Fachgesellschaft und Berufsgenossenschaften bereits klar definiert sind.

Die Umsetzung des bisher praktizierten hohen Standards, inklusive der Anwendung adäquater Notfalldia­gnostik und initialen chirurgischen Maßnahmen, genannt seien hier zum Beispiel Wundversorgungen und Repositionen, muss in den Notaufnahmen geschult werden. Verletzungen müssen nicht nur sicher diagnostiziert werden können, vor allem muss auch die Dringlichkeit der Versorgung eingeordnet werden und eine gezielte Entscheidungsfindung hinsichtlich operativer oder konservativer Therapie getroffen werden. Dabei muss insbesondere die konservative Therapieeinleitung mit zum Beispiel der korrekten Anlage von Schienen und Verbänden, aber auch die sichere Versorgung kleinerer Wunden korrekt abgebildet werden.

Neben den komplexen Abläufen in der Versorgung kritisch verletzter Personen, die nach Weißbuch stets unter unfallchirurgisch-fachärztlicher Aufsicht erfolgen soll4, muss auch bedacht werden, dass es bei unzureichender Diagnostik schnell zu einer übersehenen „kleineren“ Verletzung kommen kann. Dies kann für den Patient in der Folge stark einschränkende Konsequenzen haben, exemplarisch sei hier nur die übersehene Scaphoidfraktur als eine „missed injury“ angeführt.

Für die Schwerverletztenversorgung muss eine Umsetzung der definierten Standards des Weißbuches 3.0 von den Notaufnahmen eingefordert werden4. Hier ist auf personeller Ebene bereits für das „Basisteam Schockraum“ die Anwesenheit eines Facharztes O & U gefordert. Da in der Basis­versorgungsstufe nach G-BA auch die Vorhaltung eines Schockraums beschrieben wird, ist formell eigentlich die Anwesenheit eines Facharztes O & U in der Notaufnahme 24 Stunden 365 Tage unabdingbar. Die im G-BA beschriebene 30-Minuten-Frist bis zum Eintreffen eines Facharztes ist damit nicht ausreichend. Im Weißbuch gilt oberärztliche Anwesenheit nach spätestens dieser Zeit. Auch die Anwesenheit eines Facharztes für Anästhesiologie wäre notwendig, da diese in der Basisversorgungsstufe in der aktuellen Form nicht zwingend vorgesehen ist. Räumlich ist ein Schockraum mit einer Grundfläche von mindestens 25 m2, inklusive der notwendigen Ausstattung (Sonographie, Computertomographie in räumlicher Nähe) vorzuhalten.

Für das BG-liche Heilverfahren muss ebenfalls die entsprechende personelle Expertise eingefordert werden. Zu erwarten ist, dass ein relevanter Teil der in den Notaufnahmen aufkommenden Arbeitsunfälle die Rahmenbedingungen für eine besondere Heilbehandlung erfüllt. In diesem Zug ist die Durchgangsärztliche Behandlung mit der Erstvorstellung bereits verpflichtend, was im Schluss wieder die Vorhaltung fachärztlicher unfallchirurgischer Expertise mit entsprechender D-Arzt-Qualifikation bekräftigt.
Zusammengenommen, vor dem Hintergrund des hohen prozentualen Anteils an Patienten mit Akutpathologien des Bewegungsapparates und den klar definierten strukturellen Voraussetzungen nach Weißbuch Schwerverletztenversorgung, der S3-Leitlinie Schweverletztenversorgung5 und des BG-lichen Heilverfahrens, kann eine Notaufnahme nur unter entsprechender fachlicher Kompetenz aus dem Bereich O & U effizient und sicher betrieben werden. Strukturell muss den entsprechenden Vorgaben sowohl in der personellen Ausstattung, als auch in der räumlichen Struktur weiter Rechnung getragen werden. Im interdisziplinären Setting ist ein Erfahrungsaustausch mit fachfremden Kolleginnen und Kollegen aber sicher gewinnbringend und kann im Verlauf den Anteil an traumatologischem Grundwissen in der Breite Rechnung tragen.

Um noch mehr Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich O & U für den Erwerb der Zusatzbezeichnung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ begeistern zu können, könnte ein Konzept, was die Fortführung der chirurgischen Tätigkeit und den Einsatz in der interdisziplinären Notaufnahme parallel ermöglicht, förderlich sein.

Autoren: Priv.-Doz. Dr. med. Philipp ­Störmann, Prof. Dr. med. Ingo Marzi
Goethe – Universität Frankfurt, Universitätsklinikum Frankfurt am Main, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Theodor-Stern-Kai 7
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DKOU: Donnerstag 26.10.
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Großer Saal