Erweiterte Bildgebung verlängert das Zeitfenster für eine Schlaganfalltherapie mittels Lyse17. Oktober 2019 Foto: © Gorodenkoff – Adobe Stock In Deutschland erleiden jedes Jahr mehr als 260.000 Menschen einen Schlaganfall. Für die Therapie mittels Thrombolyse, die die Durchblutung im Gehirn wiederherstellt, gilt bislang ein Zeitfenster von 4,5 Stunden nach Einsetzen der ersten Schlaganfallsymptome. Mehrere Studien haben nun gezeigt, dass unter bestimmten Umständen für die Lyse mehr Zeit zur Verfügung steht, als bisher angenommen. Dafür setzen Mediziner eine erweiterte Bildgebung ein. Wie das Verfahren funktioniert und welche Erkenntnisse aktuelle Studien dazu geben, diskutierten Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) auf der Pressekonferenz zum Weltschlaganfalltag am 8. Oktober in Berlin. Bei den meisten Schlaganfälle liegt ein Hirninfarkt vor, eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung im Gehirn, die durch einen Gefäßverschluss verursacht wird. Bei diesem sogenannten ischämischen Schlaganfall gilt es, die Durchblutung so schnell wie möglich wiederherzustellen, um zu vermeiden, dass minderdurchblutetes Gehirngewebe abstirbt. Dafür stehen die sogenannte Thrombolyse und bei größeren Blutgerinnseln die Thrombektomie als Behandlungsverfahren zur Verfügung. Zugelassen ist die Thrombolyse derzeit innerhalb von 4,5 Stunden nach Einsetzen von Symptomen eines Schlaganfalls, wie beispielsweise Lähmungen. Für Patienten, die im Schlaf einen Schlaganfall erlitten haben, war eine Lysetherapie bislang nicht möglich, da sich der Zeitpunkt des Schlaganfalls nicht genau ermitteln lies. „Die strikte Zeitgrenze von 4,5 Stunden für die Lysetherapie wird jedoch nicht allen Patienten gerecht“, sagt Professor Dr. med. Armin Grau, 1. Vorsitzender der DSG und Direktor der Neurologischen Klinik mit Klinischer Neurophysiologie am Klinikum der Stadt Ludwigshafen. „Je nach der individuellen Durchblutungssituation von Patienten können sich auch Behandlungsmöglichkeiten jenseits der 4,5 Stunden-Grenze ergeben, wie kürzlich unter anderem die australische EXTEND-Studie gezeigt hat.“ Die Studie (Ma. et al. 2019) wies nach, dass Patienten bis zu neun Stunden nach einem Schlaganfall von einer Lyse profitieren können, wenn rettbares Hirngewebe vorliegt. Aufschluss darüber gaben erweiterte bildgebende Verfahren: „Mittels Perfusionsuntersuchungen im Kernspintomogramm (MRT) oder CT kann man heute die minderdurchbluteten Areale mit dem sogenannten Infarktkern vergleichen“, erläutert Professor Grau. „So lässt sich erkennen, wie viel Hirngewebe nicht mehr zu retten ist und wie viel Gewebe zwar minderdurchblutet, aber noch zu erhalten ist.“ In die EXTEND-Studie wurden 225 Patienten mit ischämischem Schlaganfall eingeschlossen, die in der Perfusionsbildgebung rettbares Hirngewebe gezeigt hatten. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie zwischen 4,5 und 9,0 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls oder beim Erwachen mit Schlaganfall (innerhalb von neun Stunden ab dem Mittelpunkt des Schlafes) eine Lyse oder ein Placebo. Für die Patienten, die die Lyse-Therapie erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes klinisches Ergebnis ohne relevante bleibende Beeinträchtigungen zu erreichen im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 44 Prozent höher. Weitere Studien, unter anderem auch die Metaanalyse der drei Studien EXTEND, ECASS4-Extend und EPITHET haben die Ergebnisse bestätigt. Zuvor hatte die Wake up-Studie (Thomalla et al. 2018) einen Nutzen der Lyse für Patienten gezeigt, die ihren Schlaganfall im Schlaf erlitten hatten. „Die Studienergebnisse zeigen, dass das Zeitfenster für die Therapie mit Lyse bei einzelnen Patenten länger ist als 4,5 Stunden“, fasst Professor Grau die Ergebnisse der Studien zusammen. Andere Untersuchungen hatten bereits ein längeres Zeitfenster für die Behandlung mit einer Thrombektomie belegt (Albers et al. 2018; Nogueira et al. 2018). Den Grund sieht der Experte darin, dass manche Patienten über gute Umgehungskreisläufe (Kollateralen) verfügen: Dabei handelt es sich um Nebenäste, die dasselbe Gehirngebiet versorgen, wie die vom Schlaganfall betroffenen Hauptäste. Diese ermöglichen eine längere Gewebedurchblutung. „Jede Minute zählt – diese Regel in der Schlaganfalltherapie bleibt aber weiterhin gültig, auch wenn für einzelne Patienten nun längere Therapiezeitfenster möglich sein können“, betont Professor Grau. „Ein Gewebe-basiertes Konzept ergänzt das Zeit-basierte, löst es aber nicht ab!“ Im Rahmen der Pressekonferenz am 8. Oktober in Berlin erörtern die Experten die aktuelle Studienlage und auch, was davon bislang schon Eingang in die klinische Praxis gefunden hat. Zudem geht es um eine neue Therapieoption für Patienten, für die weder Thrombolyse noch Thrombektomie möglich ist, ebenfalls jenseits des Zeitfensters von 4,5 Stunden: Die elektrische Stimulation des Flügelgaumen-Ganglions, einer Umschaltstation des Nervensystems, die Blutgefäße im Gehirn weit stellen kann. Literatur: Busch M und Kuhnert R. Robert Koch-Institut, Berlin. Journal of Health Monitoring 2017 2(1). DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-010 Thomalla G et al.; WAKE-UP Investigators. MRI-Guided Thrombolysis for Stroke with Unknown Time of Onset. N Engl J Med 2018;379(7):611-22 Ma H et al. EXTEND Investigators. Thrombolysis Guided by Perfusion Imaging up to 9 Hours after Onset of Stroke. N Engl J Med. 2019 May 9;380(19):1795-1803 Campbell BCV et al.; EXTEND, ECASS-4, and EPITHET Investigators. Extending thrombolysis to 4·5-9 h and wake-up stroke using perfusion imaging: a systematic review and meta-analysis of individual patient data. Lancet 2019 Jul;394(10193):139-47 Wollenweber FA et al. Functional Outcome Following Stroke Thrombectomy in Clinical Practice. Stroke 2019 Sep;50(9):2500-06
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