ESC2025: Positive Wirkung von Digitoxin bei Herzinsuffizienz nachgewiesen

Fingerhut hilft bei Herzschwäche: Die Kardiologen Professor Udo Bavendiek (links) und Professor Johann Bauersachs haben die lebensverlängernde Wirkung von Digitoxin erstmals wissenschaftlich nachgewiesen. (Foto: ©Pixabay, Karin Kaiser/MHH)

Die jüngst vorgestellte Studie DIGIT-HF belegt, dass das Herzglykosid Digitoxin die Sterblichkeit und Hospitalisierungsrate bei Patienten HFrEF senken kann. Das altbekannte Medikament hat aber noch weitere Vorteile.

Seit mehr als 200 Jahren wird Digitalis aus den Blättern des roten Fingerhuts zur Behandlung der Herzschwäche eingesetzt. Zu dieser Wirkstoffgruppe der Herzglykoside zählt auch das Medikament Digitoxin. Auch wenn es Hinweise für den Nutzen von Digitalis bei Herzschwäche gab, ist es erst jetzt wissenschaftlich erwiesen, dass Digitoxin einen deutlich positiven Effekt bei einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) hat. Zehn Jahre lang haben Forschende um Prof. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), und Oberarzt Pro. Udo Bavendiek in einer klinischen Studie mit mehr als 1200 Teilnehmenden den Wirkstoff gründlich auf seine Sicherheit und Wirksamkeit hin untersucht.

Nun ist die von ihnen koordinierte, großangelegte Studie DIGIT-HF, an der über 50 Zentren in Deutschland, Österreich und Serbien beteiligt waren, abgeschlossen und liefert ein eindeutiges Ergebnis: Eine Zusatztherapie mit Digitoxin verringert bei Patienten mit fortgeschrittener HFrEF die Sterblichkeit und die Anzahl der Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz. Die Ergebnisse sind im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht worden. Zeitgleich wurden sie jüngst auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Madrid (Spanien) vorgestellt.

Erster Wirknachweis nach wissenschaftlichen Standards

„In der DIGIT-HF-Studie haben wir Patientinnen und Patienten untersucht, bei denen die üblichen Therapien ausgereizt sind“, erläutert Bauersachs das eingeschlossene Patientenkollektiv. Inkludierte Patienten hatten:

  • eine chronischer HFrEF mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) ≤40% und einer NYHA(New York Heart Association)-Funktionsklasse III oder IV oder
  • eine LVEF ≤30% und eine NYHA-Funktionsklasse II.

Diese wurden zusätzlich zur leitliniengerechten Standardversorgung mit Digitoxin in einer Anfangsdosis von 0,07 mg pro Tag oder Placebo behandelt. Dosisanpassungen von Digitoxin wurden vorgenommen, um den therapeutischen Zielbereich von 8–18 ng/ml zu erreichen. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Gesamtmortalität oder Krankenhausaufnahme aufgrund einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz, je nachdem, was zuerst eintrat.

Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 36 Monaten trat ein primäres Endpunkt-Ereignis bei 242 Patienten (39,5%) in der Digitoxin-Gruppe und bei 264 (44,1%) in der Placebogruppe auf (Hazard Ratio [HR] für Tod oder erste Krankenhausaufnahme wegen Verschlechterung der Herzinsuffizienz 0,82; 95%-Konfidenzintervall [KI], 0,69 bis 0,98; p=0,03). In der Digitoxin-Gruppe verstarben 167 Patienten (27,2%) und 177 (29,5%) in der Placebogruppe (HR 0,86; 95%-KI 0,69–1,07). Eine erste Krankenhauseinweisung aufgrund einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz erfolgte bei 172 Patienten (28,1 %) in der Digitoxin-Gruppe und bei 182 (30,4 %) in der Placebo-Gruppe (Hazard Ratio 0,85; 95 % KI 0,69 bis 1,05). Zu einem schwerwiegenden unerwünschten Ereignis kam es bei 29 Patienten (4,7%) in der Digitoxin-Gruppe und bei 17 (2,8%) in der Placebogruppe.

„Dass wir bei diesen sehr gut vorbehandelten Studienteilnehmenden mit der Digitoxin-Zusatzbehandlung eine so deutliche Verbesserung erzielen konnten, hat uns selbst überrascht“, hebt Bauersachs hervor.

Digitoxin auch für Patienten mit Niereninsuffizienz ein Gewinn

Für die HFrEF wird standardmäßig die medikamentöse Behandlung mit den „Fantastic Four“ empfohlen, bestehend aus einem Betablocker, einem ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Hemmer (ARNI), einem Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten (MRA) und einem SGLT-2-Inhibitor. Dank der DIGIT-HF-Studie könnte Digitoxin nun eine weitere feste Säule bei der Behandlung von Menschen mit HFrEF-Diagnose werden.

Bisherige klinische Studien wurden nahezu ausschließlich mit dem ebenfalls zu den Herzglykosiden gehörenden Wirkstoff Digoxin durchgeführt. Der Einsatz von Digoxin ist aber bei einer gestörten Nierenfunktion – dies ist bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz häufig der Fall – nur begrenzt möglich, da es nahezu ausschließlich über die Niere ausgeschieden wird. „Bei Digitoxin liegt der Fall jedoch anders“, erklärt Bavendiek. Denn Digitoxin wird bei einer gestörten Nierenfunktion entsprechend vermehrt über Leber und Darm ausgeschieden. Das bereits zugelassene Medikament ist somit auch für vorbelastete Patienten mit Nierenschwäche gut einsetzbar.

Sicher und kostengünstig

Zudem konnten die Ergebnisse von DIGIT-HF die Befürchtung entkräften, Digitoxin sei für bestimmte Patientengruppen mit Herzschwäche gefährlich und könne zum Tod führen. „Richtig dosiert ist Digitoxin eine sichere Therapie bei Herzinsuffizienz und eignet sich auch zur Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern, wenn Betablocker allein nicht ausreichen“, betont Bavendiek.

Ein weiterer Vorteil des Medikaments klingt banal, ist aber angesichts steigender Kosten im Gesundheitssystem durchaus interessant: Digitoxin ist ein Centartikel und drastisch günstiger als andere Medikamente gegen Herzinsuffizienz. Denn: Noch bis etwa 2020 standen Digitalis-Präparate auf der Produktionsliste großer Pharmakonzerne. Aktuell wird Digitoxin nur noch als Generikum produziert. 

Basierend auf den bisherigen Studiendaten haben die Herzspezialisten bereits Empfehlungen für eine einfache und sichere Dosierung erarbeitet. Während früher oft 0,1 mg Digitoxin verordnet wurden, liegen die aktuellen Empfehlungen bei 0,07 Milligramm pro Tag oder sogar noch weniger. Die DIGIT-HF-Studie konnte zeigen, dass bei dieser Dosierung ohne Sicherheitsprobleme Sterblichkeit und Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz vermindert wurden.

(ah/BIERMANN)