ESMO 2018: Erstmals Nutzen von Sport bei Lungenkrebspatienten nachgewiesen

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Die meisten Lungenkrebspatienten sind sich der Vorteile regelmäßiger sportlicher Betätigung nicht bewusst. Dabei zeigen neue wissenschaftliche Daten, dass ein solches Training zur einer signifikanten Reduktion von Fatigue führen und ganz allgemein das Wohlbefinden verbessern kann. Die Ergebnisse zweier Studien, die gerade auf dem Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO) in München vorgestellt wurden, unterstreichen das – auch für Patienten mit einem fortgeschrittenen oder metastasiertem Lungenkarzinom.

Mehr als die Hälfte (54%) aller Patienten mit Lungenkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium, die in einem Krebszentrum in Queensland, Australien, einen Fragebogen zu körperlicher Aktivität ausfüllten, waren sich der Vorteile eines Trainings nicht bewusst: Nur 22% bewegten sich in einem der Gesundheit förderlichen Ausmaß, wie es von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen wird.

„Sport nützt jedem, nicht nur Menschen, denen es gut geht“, betont der Onkologe Dr. Quan Tran vom Krebszentrum des St. Stephen´s Hospital im australischen Urraween. „Zu wenigen Menschen ist klar, dass leichte aerobe Übungen und Krafttraining genauso ein Teil der Behandlung eines fortgeschrittenen Lungenkarzinoms sein sollten wie eine Anti-Tumor-Therapie.“

Beinahe neun von zehn Patienten, die an der Befragung teilnahmen, litten an einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom. Mindestens sechs von zehn Probanden gaben an, dass sie keinen Sport trieben, weil sie an Fatigue oder Atemnot litten. Mehr als die Hälfte nannte als Grund Niedergeschlagenheit, fehlende Motivation, Schmerzen oder Nebenwirkungen der Therapie.

„Wir müssen die Hindernisse beseitigen, die Patienten davon abhalten, Sport zu treiben – beispielsweise, indem wir die Anämie behandeln, die unter Umständen die Fatigue verursacht“, ergänzt Tran.

Die australische Studie zeigte auch, dass weniger körperlich aktive Patienten signifikant weniger soziale Unterstützung besaßen als aktivere Patienten. Auf die Frage, welche Art von Aktivitätsprogrammen sie am hilfreichsten finden würden, nannten die Patienten Schulungen, Trainingseinheiten in der Gruppe sowie andere unterstützende Maßnahmen an dem Ort, an dem sie auch ihre Krebsbehandlung erhielten.

„Die Patienten wollten lieber Informationen, Unterstützung und ein Aktivwerden in einem Partner- oder Gruppenprogramm als Internet-basierte Maßnahmen“, berichtet Tran. „Sie interessierten sich nicht für Wettbewerbe und andere Anreize, sondern hatten das Gefühl, dass die Gemeinschaft mit anderen Betroffenen in derselben Situation sie dazu motivieren könnte, die Hindernisse zu überwinden, die sie von sportlicher Betätigung abhalten.“

In einer zweiten Studie mit 227 Patienten, die an einem fortgeschrittenen oder metastasierten Lungenkarzinom litten, erfuhren diejenigen eine Verbesserung ihrer Symptom-Scores, die nach der Chemotherapie regelmäßig leichte aerobe Übungen und solche zur Stärkung ihrer Muskeln machten. Die Scores verbesserten sich um rund zehn Prozent.

„Erstmalig ist hier gezeigt worden, dass Lungenkrebspatienten in palliativer Versorgung von Sport profitieren“, berichtet Dr. Joachim Wiskemann, Sportphysiologe und -psychologe am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. „Patienten, die Sport trieben, fühlten sich auch unabhängiger und benötigten weniger Hilfestellung bei Alltagstätigkeiten. Unsere Ergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass sie sich häufiger und länger einer Chemotherapie unterziehen können – was wiederum möglicherweise eine bessere Tumorkontrolle mit sich bringen kann.“

In der genannten Studie erhielt eine Gruppe nach Randomisierung lediglich einmal in der Woche Anleitungen per Telefon (care management phone calls [CMPC]). Die andere Gruppe absolvierte zusätzlich – teils unter Aufsicht – über einen Zeitraum von 24 Wochen dreimal wöchentlich in 45-Minuten-Einheiten an aerobes und Krafttraining. Die Studienautoren beobachtete zwar in Woche 12 keine signifikanten Auswirkungen des Trainingsprogrammes auf das körperliche Wohlbefinden und die allgemeine Fatigue, dennoch profitierten diejenigen Patienten, die an mindestens 70 Prozent der Trainingseinheiten teilnahmen, signifikant davon. Die Fatigue-Scores verbesserten sich in der Interventionsgruppe um zehn Prozent – im Vergleich zu nur zwei Prozent in der Gruppe mit alleinigen CMPC (p=0,01). Das körperliche Wohlbefinden stieg um elf Prozent gegenüber drei Prozent (p=0,03) und das funktionale Wohlbefinden (Trial Outcome Index) um acht gegenüber nur vier Prozent (p=0,04).

Wiskemann schätzt, dass 50 bis 60 Prozent der Patienten mit Lungenkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium gerne Sport treiben würden und auch dazu in der Lage wären; er empfiehlt, die Art der Übungen an die individuellen Bedürfnisse anzupassen. Er betont außerdem, wie wichtig es ist, die Versorgung zu koordinieren und dass eine einzelne Person dafür verantwortlich sein sollte, dass der jeweilige Patient ein auf ihn zugeschnittenes Trainingsprogramm angeboten bekommt und ihn in dieser Hinsicht berät und anleitet.

“Früher haben wir angenommen, dass nur die gesündesten und fittesten Krebspatienten Sport treiben können. Unsere Untersuchung hat aber gezeigt, dass das nicht stimmt, und das auch diejenigen mit einer fortgeschrittenen Erkrankung davon profitieren können”, sagt Wiskemann. “Wir müssen heute in Bezug auf die Art und Weise, wie wir den Patienten ein Training anbieten, flexibel sein, sodass die Patienten dort trainieren können, wo sie sich damit am wohlsten fühlen – zuhause, in einer Gruppe im Krankenhaus oder in der Sporthalle.”

Dr. Martijn Stuiver, Professor von der Amsterdam University of Applied Sciences kommentierte die beiden auf dem ESMO-Kongress vorgestellten Studien und betonte, dass die Clinical Oncology Society of Australia bereits empfiehlt, dass Sport ein Bestandteil der standardmäßigen Versorgung von Krebspatienten sein soll. Stuiver unterstrich auch, wie wichtig es ist, dass man sich den Nutzen körperlicher Aktivität insbesondere bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen stärker bewusst macht.

“Wir müssen jetzt herausfinden, welche Trainingsprogramme für Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen in verschiedenen Stadien am besten funktionieren und wie wir unterschiedliche Outcomes erreichen – wie die Reduktion von Fatigue oder eine Verbesserung der Fitness – sodass wir den optimalen Benefit erzielen”, erklärt Stuiver.

Laut Stuiver haben ältere Studien zu körperlichem Training in Bezug auf eine Verbesserung der Fatigue bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung uneinheitliche Ergebnisse erbracht. Bei den meisten aber zeigte sich eine positive Wirkung im Hinblick auf die körperliche Fitness.

“Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus müssen wir verstehen, wie sich mit körperlichem Training diese Ergebnisse erzielen lassen. Klinisch müssen wir Möglichkeiten entwickeln, um Patienten zu der Art von Sport zu motivieren, die ihnen mutmaßlich am besten hilft – basierend auf unserem Gefühl dafür, was sich am stärksten auf ihre Lebensqualität auswirken wird”, fügt Stuiver hinzu.

Wie Wiskemann machte auch Stuiver darauf aufmerksam, dass Sport Patienten in die Lage versetzen kann, eine Chemotherapie weiterzuführen: Ältere Daten aus einer Brustkrebsstudie deuten darauf hin, dass Patientinnen, die ein angeleitetes körperliches Training absolvieren, mit dreimal geringerer Wahrscheinlichkeit einer Änderung der Therapie bedürfen als diejenigen, die keinen Sport treiben.

“Körperliche Fitness ist ein entscheidender Faktor dabei zu bestimmen, ob ein Patient mit einer Therapie beginnen und die gewählte Dosierung beibehalten kann”, sagt Stuiver. “Sport könnte somit zu einer primären adjuvanten Therapie zur Verbesserung der Fitness werden, sodass Patienten sich in der bestmöglichen körperlichen Form befinden, um eine Behandlung zu beginnen oder durchzustehen und Toxizitäten, die andere Therapien mit sich bringen, auszuhalten.”