Europäische Gesundheitsdaten und EU-Nutzenbewertung: Wie profitieren Patienten?9. Dezember 2025 Gesundheitsdaten und Nutzenbewertung: Mit den Initiativen EHDS und EU-HTA sind die EU-Staaten näher zusammengerückt (Symbolbild). Foto: © Father_Studio – stock.adobe.com Die EU-Staaten rücken mit dem Start des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) und des europäischen Nutzenbewertungsverfahrens (EU-HTA) zusammen. Experten diskutierten vor diesem Hintergrund den Nutzen von EHDS und EU-HTA mit Blick auf den Datenschutz. Den Rahmen hierzu bot das Berliner Forum der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Beide Initiativen haben laut AWMF zwei zentrale Ziele: Erstens soll die medizinische Versorgung von EU-Bürgern durch umfassende Digitalisierung und Datennutzung über die einzelnen Ländergrenzen hinweg verbessert werden. Und zweitens soll für die europäische Forschung „der weltweit größte Datenschatz von Gesundheitsdaten“ geschaffen werden. Im Mittelpunkt der AWMF-Expertendiskussion standen die folgenden Fragen: Welche ersten Erfahrungen mit den beiden Initiativen liegen vor? Wo bestehen derzeit die größten Herausforderungen? Wie wird der Nutzen für Patienten sichergestellt, aber gleichzeitig der Schutz sensibler Gesundheitsdaten gewährleistet? EHDS: Nutzen über Ländergrenzen hinweg Der EHDS hat einen doppelten Nutzen, verdeutlicht die AWMF: In der Primärnutzung sollen EU-Bürger mehr Kontrolle über sowie Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten haben. Gleichzeitig soll die Gesundheitsversorgung über Ländergrenzen hinweg durch einen sicheren und vereinheitlichten Austausch von Gesundheitsdaten viel effizienter werden: Zum einen sollen Ärzten auch im EU-Ausland auf wichtige Diagnosedaten zugreifen können. Zum anderen sollen Bürger ihre eRezepte in jeder Apotheke innerhalb der EU einlösen können. Die EU-Verordnung zum EHDS schafft grenzübergreifende Regelungen zum Austausch von Gesundheitsdaten. Der Zeitplan sieht laut AWMF für 2027 die Festlegung der ersten Schritte vor. Ab 2029 soll es dann mit dem verpflichtenden Start der Datenweitergabe in bestimmten Bereichen konkret werden. Hierzulande ist das am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Forschungsdatenzentrum Gesundheit für die Mitarbeit an der Ausgestaltung zuständig. Gerade werde unter Beteiligung des BfArM europaweit spezifiziert, wie die einzelnen Datenelemente aussehen und welche Standards und Schnittstellen dafür angewendet werden sollen, erläuterte Dr. Stefanie Weber, Abteilungsleiterin „Kodiersysteme und Register“ im BfArM. EHDS liefert Realdaten aus der Versorgungspraxis Zugleich soll der EHDS – in der Sekundärnutzung – Forschung und Innovation in Europa stärken: Mit pseudonymisierten Gesundheitsdaten von bis zu 450 Millionen EU-Bürgern könnte er „einer der weltweit größten Gesundheitsdatenpools“ werden – mit enormen Möglichkeiten für die Erforschung von Krankheiten und der Entwicklung neuer Therapien. AWMF-Präsident Prof. Rolf-Detlef Treede zeigte das Potenzial dieses Datensatzes auf. Er führte aus, dass etwa Leitlinien auf den Ergebnissen kontrollierter klinischer Studien beruhten. Diese seien zwar Goldstandard, aber auch „sehr artifizielle Populationen“. Er hob hervor: „Der EHDS kann helfen, Realdaten aus der Versorgung, aus der echten Praxis zu bekommen.“ Weber ergänzte, dass durch Pseudonymisierung und Auswertung großer Datenmengen bisher verborgen gebliebene Muster und Zusammenhänge erkannt werden könnten. Und das nicht nur bei häufigen Erkrankungen, sondern auch bei seltenen Krankheitskonstellationen. AWMF: Qualität der Daten ist entscheidend Allerdings wandte Treede auch ein: „Aktuell stehen wir noch vor zahlreichen Herausforderungen – etwa bei der Interoperabilität, also der Notwendigkeit, die verschiedenen Kodier- und Abrechnungssysteme der Länder für den Datenaustausch kompatibel zu machen.“ Eine der zentralen Herausforderungen sei aus Sicht der AWMF, die Datenqualität sicherzustellen. Der AWMF-Präsident betonte: „Nur valide und für die medizinische Behandlung und Forschung relevante Daten sollten gespeichert und genutzt werden. Abrechnungs- und Erlösdaten, welche auf die medizinische Behandlung keinen Einfluss haben sollten, sollen nicht berücksichtigt werden.“ Denn solche Informationen könnten die gespeicherten Daten verzerren. EU-HTA: Nutzenbewertung von Medizinprodukten auf europäischer Ebene In diesem Jahr, so erinnert die AWMF, begann außerdem eine neue Epoche in der Nutzenbewertung. Mit Start des EU-HTA werde diese Nutzenbewertung schrittweise von der nationalen auf die europäische Ebene gehoben. „Die Initiative bietet viele Chancen, etwa einen rascheren und egalitäreren Zugang zu neuen Arzneimitteln in allen EU-Staaten“, erläuterte Prof. Bernhard Wörmann, Vorsitzender der ständigen Kommission Arzneimittel der AWMF. Er sah aber auch Risiken: die Ablösung des bewährten nationalen Prozesses des AMNOG-Verfahrens durch ein noch unerprobtes EU-Verfahren (AMNOG = Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, Anm. d. Red.). Dazu komme eine höhere Komplexität, denn: Die Versorgungssituationen in allen EU-Staaten müssten berücksichtigt werden. Wie Wörmann ausführte, sei der EU-Prozess deutlich langsamer gestartet als erwartet. Statt der 25 geplanten Verfahren für 2025 seien bisher erst zehn initiiert worden. Als Hauptgrund nannte er das Gefühl der Unsicherheit seitens der pharmazeutischen Industrie. Der Experte geht davon aus, dass die frühzeitige Beratung (Joint Scientific Consultation), die Qualität des Assessments, die Berechenbarkeit der Bewertung und die Bereitschaft zur Umsetzung in den einzelnen Ländern eine zentrale Rolle bei der Vertrauensbildung spielen werden. AWMF: Fachgesellschaften früh einbinden Ein wichtiges Anliegen für die AWMF: das System der „Comparative Effectiveness“. Hierbei werde der Wert eines neuen Arzneimittels im Vergleich mit dem bisherigen Standard ermittelt, erläutert die Arbeitsgemeinschaft. Das aber setze voraus, dass der aktuelle Therapie- und Versorgungsstatus korrekt erfasst werde. „Dafür ist umfassende Expertise aus Forschung und Leitlinienarbeit essenziell. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Länder müssen bei dem Prozess also zwingend strukturell und frühzeitig eingebunden werden“, betonte Wörmann. (ja/dk/BIERMANN)
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