Fachgesellschaften und Juristen kritisieren Verbot der Ex-post-Triage29. August 2022 Foto: ©HNFOTO – stock.adobe.com Der im Bundeskabinett abgestimmte und am 24. August 2022 veröffentlichte Gesetzentwurf zur Triage intensivmedizinischer Behandlung im Fall pandemiebedingter Ressourcenknappheit wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Medizin, Ethik und Recht deutlich kritisiert. Der Gesetzentwurf schließt aus, bereits laufende lebenserhaltende Therapien bei sehr schlechter Erfolgsaussicht zugunsten der Behandlung von Menschen mit einer besseren Überlebenschance zu beenden. Vertreterinnen und Vertreter zahlreicher medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften und Juristinnen und Juristen hatten diese Regelung bereits im Vorfeld kritisiert, da sie ihnen zufolge die Anwendung des Kriteriums der Überlebenswahrscheinlichkeit erschwert und zu mehr vermeidbaren Todesfällen führt. Grundsätzlich Unterstützung für gesetzliche Regelung Bereits im Juli hatten in zwei aufeinander abgestimmten Stellungnahmen 25 medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und 16 ausgewiesene Rechtsexpertinnen und -experten Position zum Referentenentwurf bezogen. „Die zügige und konstruktive Abstimmung sowie die breite interdisziplinäre Unterstützung für die Inhalte machen deutlich, wie wichtig das Thema aus Sicht der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften ist“, sagt Prof. Rolf-Detlef Treede, Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Sowohl die medizinischen Fachgesellschaften als auch die Juristinnen und Juristen begrüßen eine gesetzliche Regelung der Zuteilung pandemiebedingt nicht ausreichender intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten. Inhaltlich wird die im Gesetzesentwurf vorgesehene Zuteilung nach dem Kriterium der Erfolgsaussicht begrüßt, da dies nach Einschätzung der Fachexpertinnen und Fachexperten die Anzahl der knappheitsbedingten Todesfälle minimieren kann, falls einmal die Nachfrage die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten überschreiten sollte. „Die gesetzliche Regelung ist darüber hinaus wichtig, damit Ärztinnen und Ärzte eine demokratisch legitimierte Grundlage für die schwierigen Zuteilungsentscheidungen und Rechtssicherheit haben“, erläutert Prof. Uwe Janssens, Intensivmediziner und Mitinitiator der Stellungnahme. Breiter Konsens für Ex-post-Triage in Ausnahmesituationen Der Gesetzesentwurf wird allerdings sowohl in der Stellungnahme der Fachgesellschaften (federführende Autoren Prof. Uwe Janssens, Intensivmedizin sowie Prof. Georg Marckmann und Prof. Jan Schildmann, Medizinethik) als auch von Seiten der Rechtswissenschaften (Federführung Prof. Tatjana Hörnle) kritisiert. Dies gilt insbesondere für das Verbot der sogenannten Ex-post-Triage – also der Möglichkeit bei schlechten Erfolgsaussichten eine bereits laufende Intensivtherapie zu beenden, um andere Menschen mit besserer Erfolgsaussicht lebensrettend behandeln zu können. Anders als in der Diskussion bisweilen dargestellt, stelle dies keinen Tabubruch dar, erklärt Marckmann, Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin. Vielmehr sprächen medizinische und ethische Gründe dafür, bei Zuteilungsentscheidungen im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen einzubeziehen. „Wenn bereits zugeteilte intensivmedizinische Behandlungskapazitäten von den Zuteilungsentscheidungen ausgenommen werden, wie dies der Referentenentwurf vorsieht, werden viele Menschen sterben, die Bedarf und eine realistische Chance auf ein Überleben haben“, ergänzt Hörnle. Das Verfassungsrecht gibt nicht vor, dass nur die zufällig zuerst eintreffenden Patientinnen und Patienten behandelt werden dürften. Öffentlicher Diskurs notwendig Während die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme sich klar positionieren, wird anerkannt, dass Priorisierungsentscheidungen unvermeidlich tragische Entscheidungen sind. Um den notwendigen Austausch zu befördern, haben sie kurzfristig eine öffentliche Online-Veranstaltungen zum Thema geplant. Am 6. September von 18.00 bis 19.30 Uhr werden Fachexpertinnen und Fachexperten aus Medizin, Ethik und Recht Stellung zum Gesetz und den umstrittenen Themen nehmen. Öffentliche Diskussionsveranstaltung – Online:Wer soll intensivmedizinisch behandelt werden, wenn die Ressourcen nicht ausreichen? Beiträge aus wissenschaftlicher und Patient*innen-Perspektive6.9.2022, 18.00-19.30Anmeldung bis 4.9.2022 hier.
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