FÄ: „Digitaler Burnout“ der Praxisärzte droht3. Mai 2021 Foto: ©HNFOTO – stock.adobe.com Krise als Treiber für die Digitalisierung nutzen – so schallt es aus allen Kanälen von Politik, Krankenkassen und Industrie. Auch die Bundesärztekammer überschreibt so einen Teil ihres Leitantrags für den am Dienstag beginnenden 124. Deutschen Ärztetag. Nicht nur die Freie Ärzteschaft (FÄ) übt Kritik und fordert eine Fristverlängerung für die Einführung etwa des elektronischen Rezeptes. „Die Haus- und Facharztpraxen sind mit der Bewältigung der Corona-Pandemie sowie der Verlagerung der Impfkampagne aus den Impfzentren in die Praxen bereits massiv belastet“, sagte FÄ-Vize Dr. Silke Lüder a. „Trotzdem plant das Bundesministerium für Gesundheit eine 180-Grad-Wendung des Telematik-Projekts hin zu ausschließlich softwarebasierten Anwendungen mit der komplizierten Sicherheitsarchitektur ‚Zero Trust‘. Vielen Ärzten droht ein digitales Burnout – wir fordern ein sofortiges Moratorium für dieses staatliche Vernetzungsprojekt.“ Bisher gebe es nicht die geringste Evidenz dafür, dass die Umstellungen des bisherigen Praxis-Workflows auf elektronische Rezepte (eRezept), Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) oder Patientenakten (ePA) in der geplanten Form irgendeinen Fortschritt für PatientInnen und ÄrztInnen bringen würde, erläutert die Hamburger Allgemeinärztin. „Ganz im Gegenteil erleben die Praxen häufig Ausfälle der zentralen Infrastruktur.“ Gematik als Kontrollbehörde? Einem internen Papier zufolge plant die Gematik als Einführungsorganisation der Telematikinfrastruktur (TI) mit „Zero Trust“, also „Null Vertrauen“, dass PatientInnen, ÄrztInnen und ApothekerInnen bei jedem Zugriff auf die Daten in der TI ihre Identität neu bestätigen müssen. Lüder betont: „Die Gematik droht so, zu einer umfassenden Kontrollbehörde zu werden.“ Selbst der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen kritisiert sowohl die Planungen für das eRezept und die ePA als auch die neue Rolle der Gematik. So mahnt Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes: „Die gematik schafft sich immer mehr direkte Schnittstellen und Zugänge zu den Versicherten und kann so direkten Einfluss auf die Art und Weise nehmen, wie die Versicherten die Digitalisierung des Gesundheitssystems erleben, ihre Gesundheit verstehen, welche Pfade beschritten und Produkte genutzt werden.“ Als staatliche Unterbehörde grenze sie die wesentlichen Player im System wie Ärzte und Krankenkassen aus. Außerdem seien die vom Gesetzgeber geplanten Fristen zur Einführung in die Praxis nicht haltbar, heißt es weiter in einer Mitteilung GKV-Spitzenverbandes – auch wenn der Verband den Ansatz, der auch erlaube mit Apps der Krankenkasse den Zugriff auf das eRezept zu ermöglichen, grundsätzlich begrüßt. KBV: Fristen nicht haltbar Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht ebenfalls davon aus, dass die Frist nicht haltbar ist und fordert konkrete Fristverlängerungen für mehrere Projekte: „Wir appellieren auch, die Fristen für mehrere Starts zu verschieben: Für die elektronische Patientenakte, Frist 1. Juli; für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Frist 1. Oktober; für das elektronische Rezept, Frist 1. Januar“, so Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied KBV, auf der heutigen digitalen Vertreterversammlung. Diese Fristen seien unrealistisch, es fehlten Konnektoren, elektronischer Psychotherapeutenausweis und elektronischer Heilberufeausweis. Er betonte außerdem: „Wir brauchen keine Gimmicks, Apps und pseudo-digitalisierten Verwaltungsabläufe. Wir müssen analysieren, welche Versorgungsprobleme und Defizite am drängendsten sind, welche davon Verbesserungspotenzial durch Digitalisierung aufweisen und dann schauen, welche technischen Lösungen wir dafür benötigen – und nicht umgekehrt.“ Ebenso bleibt der Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber bei seiner Einschätzung, dass die geplante ePA gegen die Datenschutzgrundverordnung verstößt. FÄ-Vize Silke Lüder erläutert, was das Digitalisierungsvorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn derzeit für die ÄrztInnen bedeutet: „Die Praxen werden wöchentlich mit Aufforderungen zur Implementierung neuer technischer Voraussetzungen für eRezept, ePA, eNotfalldatensatz, eMedikationsplan, eAU und eKommunikation (KIM) regelrecht bombardiert. Für die Praxen entsteht dadurch starker zusätzlicher Druck.“ Vor allem in den Hausarztpraxen führe das aktuell zu einer Art digitalen Burnouts. Immer mehr Anforderungen statt Unterstützung Denn über Mangel an Aufgaben können sich die Praxen derzeit wahrlich nicht beklagen: ÄrztInnen sowie ihre Mitarbeitenden müssen den großen Patientenandrang am Telefon sowie in der Sprechstunde bewältigen, mehr als 90 Prozent aller Covid-Kranken und alle anderen Kranken behandeln und darüber hinaus zunehmend die Corona-Impfungen der Bevölkerung stemmen. Die FÄ-Vize kritisiert: „Statt die Praxen zu unterstützen, werden sie zum einen im Gegensatz zu den Impfzentren mit lächerlichen Honoraren für die Impfungen abgespeist und zum anderen mit digitalen Anforderungen überschüttet sowie weiteren finanziellen Sanktionen bedroht, falls sie sich nicht an die zentralisierte TI anschließen.“ Unter diesen Bedingungen seien ein sofortiges Moratorium der TI sowie die Rücknahme aller Sanktionsdrohungen zwingend nötig. Nur so könnten die Praxen weiterhin als Schutzwall in der Coronakrise dienen.(red/ja)
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