FDA erkennt reduzierten Alkoholkonsum als Therapieziel für Alkoholabhängige offiziell an

Eine vollständige Abstinenz wäre wünschenswert, ist für viele Betroffene mit Alkoholkonsumstörung ein unrealistisches Ziel. (Foto: © Sonya – stock.adobe.com; generiert mit KI)

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte (FDA) erkennt eine relevante Verringerung der Trinkmenge bei alkoholabhängigen Menschen künftig als Behandlungsziel in Zulassungsstudien für neue Therapieansätze an. Experten versprechen sich hiervon neue Anreize für Therapiestudien zur Behandlung der Alkoholsucht.

Für viele Menschen ist die Alkoholabhängigkeit eine chronisch-wiederkehrende Erkrankung. Dauerhaft abstinent zu bleiben, ist extrem schwierig. Geringe Erfolgsaussichten, eine Abstinenz zu erreichen, gehören zu den Hauptgründen, weshalb nur rund zehn Prozent der Betroffenen eine Therapie beginnen. So lag am Ende einer großen US-amerikanischen Studie der Erfolg gemessen an Abstinenz bei zirka 35 Prozent, gemessen an einer definierten Trinkmengenreduktion jedoch bei 75 Prozent. Dieses Ergebnis wurde in weiteren Studien bestätigt. Die deutlich höhere Erfolgsaussicht ist bedeutsam, wenn es um den Entschluss zu einer Behandlung geht, oder auch um Hoffnung bei den Angehörigen zu erzeugen.

Trinkmengenreduktion als Paradigmenwechsel

Vor mehr als fünfzig Jahren wurde die Methadon-Substitution für Heroinabhängige eingeführt. Diese medizinische Verordnung eines Suchtstoffs, um gesundheitliche und soziale Schäden zu verringern, war ein enorm erfolgreicher Paradigmenwechsel in der Behandlung von Suchtpatienten. Bei Alkoholabhängigen dagegen stand das Gebot der Abstinenz als einziges Therapieziel einem schadenminimierenden Ansatz bisher im Wege. Daher habe die Entscheidung der FDA grundlegende Bedeutung, erklärt das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. Sie erweitere die therapeutischen Optionen erheblich und stelle die Trinkmengenreduktion als gleichwertiges Therapieziel neben die Abstinenz. Damit würden frühere Ansätze der europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte (EMA) aufgegriffen, so das ZI. Dort war eine Trinkmengenreduktion bereits anerkannt worden, allerdings nur als intermediäres (sekundäres) Therapieziel.

Neue Wirkstoffe und differenziertere Therapie

Die Entscheidung der FDA basiert auf der Re-Analyse von umfassenden Studiendaten, die von einer Arbeitsgruppe von US-Experten zusammengestellt wurden. Entgegen weit verbreiteter Überzeugungen ist danach eine signifikante Verringerung der Trinkmenge auch für Abhängige über mehrere Jahre möglich. Prof. Karl Mann, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Suchtforschung am ZI, ist Mitglied der Arbeitsgruppe. Er sieht in der neuen Entwicklung eine große Chance: „Die Anerkennung durch die FDA wird dazu führen, dass die Schwelle zum Antritt einer Therapie deutlich gesenkt wird. Weltweit werden mehr Menschen den Weg in die Behandlung finden. So kommt die gesamte Breite der bewährten Sozio-, Psycho- und Pharmakotherapien besser zum Tragen. Zudem sollten die verbesserten Erfolgschancen die pharmazeutische Industrie zu neuen Studien anregen, zum Beispiel um die Reduktion der Trinkmengen auch medikamentös zu unterstützen.“

Mann hebt zudem den konkreten Nutzen des Ansatzes für die Betroffenen, ihr persönliches Umfeld und die Gesellschaft hervor: „Die Studiendaten zeigen, dass Betroffene mit reduziertem Konsum über klinisch signifikante Verbesserungen ihres Befindens und ihrer Leistungsfähigkeit berichten. Das Abhängigkeitsrisiko und die Gesundheitskosten gehen zurück, während sich die psychische Gesundheit und die Lebensqualität verbessern. Als anerkanntes Therapieziel neben der Abstinenz ermöglicht der Ansatz der Trinkmengenreduktion eine differenziertere und individuellere Therapie.“

Wer ist alkoholabhängig?

Eine Alkoholabhängigkeit liegt vor, wenn mindestens drei von sechs definierten Kriterien erfüllt sind: 1. ein starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren, 2. Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (bzgl. Beginn, Ende und Menge), 3. ein körperliches Entzugssyndrom bei Reduktion oder Absetzen, 4. eine Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen, 5. eine fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten der Alkoholeinnahme sowie 6. fortdauernder Alkoholgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, etwa Leberschädigung durch exzessives Trinken. Demnach sind in Deutschland rund zwei Millionen Menschen vom Alkohol abhängig. Derzeit sind 70 Prozent von ihnen Männer, allerdings holten die Frauen in den vergangenen Jahren sehr stark auf. Weitere zirka zwei Millionen Menschen erfüllen zwar nicht die Kriterien einer Abhängigkeit, konsumieren aber in eindeutig gesundheitsschädlichem Ausmaß. Etwa 70.000 Menschen sterben jährlich an den Auswirkungen der Sucht.