Forscher erstellen Karte der DNA-Modifikationen während der Gehirnentwicklung

Fluoreszenz-Aufnahme eines sich entwickelnden Hippocampus. (Quelle: © Oier Pastor-Alonso/UCSF)

Eine von Wissenschaflern der University of Californinia, USA, geleitete Studie hat die Genregulation während der Entwicklung des menschlichen Gehirns untersucht, und gezeigt, dass die 3D-Struktur des Chromatins hierbei eine entscheidende Rolle spielt.

Wie Dr. Chongyuan Luo und Dr. Mercedes Paredes in Zusammenarbeit mit Forschern des Salk Institute, der UC San Diego, beide USA, und der Seoul National University, Südkorea, in „Nature“ berichten, handelt es sich um die erste Karte für DNA-Veränderungen im Hippocampus und im präfrontalen Kortex – zwei Hirnregionen, die für das Lernen, das Gedächtnis und die emotionale Regulierung entscheidend sind. Diese Bereiche sind auch häufig an psychischen Erkrankungen wie Autismus und Schizophrenie beteiligt.

„Neuropsychiatrische Störungen, auch solche, die erst im Erwachsenenalter auftreten, sind oft auf genetische Faktoren zurückzuführen, die die frühe Gehirnentwicklung stören“, erklärt Luo, Mitglied des Eli and Edythe Broad Center of Regenerative Medicine and Stem Cell Research an der University of Californinia in Los Angeles. „Unsere Karte bietet eine Grundlage, um sie mit genetischen Untersuchungen an erkrankten Gehirnen zu vergleichen und festzustellen, wann und wo molekulare Veränderungen auftreten.“

Innovativer Sequenzierungsansatz

Um die Karte zu erstellen, verwendete das Forschungsteam einen innovativen Sequenzierungsansatz, den Luo mit Unterstützung des UCLA Broad Stem Cell Research Center Flow Cytometry Core entwickelt und skaliert hat: Single Nucleus Methyl-Seq und Chromatin Conformation Capture oder snm3C-Seq.

Mit dieser Technik können Forscher gleichzeitig zwei epigenetische Mechanismen analysieren, die die Genexpression auf Einzelzellbasis steuern: chemische Veränderungen der DNA, die als Methylierung bekannt sind, und die Chromatinkonformation der Chromosomen.

Herauszufinden, wie diese beiden regulatorischen Elemente auf Gene wirken, die die Entwicklung beeinflussen, ist den Forschenden zufolge ein entscheidender Schritt zum Verständnis, wie Fehler in diesem Prozess zu neuropsychiatrischen Erkrankungen führen.

„Die überwiegende Mehrheit der krankheitsverursachenden Varianten, die wir identifiziert haben, befinden sich zwischen Genen auf dem Chromosom, sodass es schwierig ist zu wissen, welche Gene sie regulieren“, erklärte Luo. „Indem wir untersuchen, wie die DNA in den einzelnen Zellen gefaltet ist, können wir sehen, wo genetische Varianten mit bestimmten Genen in Verbindung stehen, was uns helfen kann, die Zelltypen und Entwicklungsphasen zu bestimmen, die für diese Krankheiten am anfälligsten sind.

So wird beispielsweise die Autismus-Spektrum-Störung häufig bei Kindern ab zwei Jahren diagnostiziert. Wenn es den Forschern jedoch gelingt, das genetische Risiko für Autismus und dessen Auswirkungen auf die Entwicklung besser zu verstehen, können sie möglicherweise Interventionsstrategien entwickeln, um die Symptome von Autismus wie Kommunikationsprobleme zu lindern, während sich das Gehirn entwickelt.

Untersuchung des kritischen Zeitfensters

Das Forscherteam analysierte mehr als 53.000 Gehirnzellen von Spendern aus der Mitte der Schwangerschaft bis zum Erwachsenenalter und entdeckte dabei signifikante Veränderungen in der Genregulation während kritischer Entwicklungsfenster. Durch die Erfassung eines so breiten Spektrums von Entwicklungsphasen waren die Forscher in der Lage, ein bemerkenswert umfassendes Bild der massiven genetischen Neuverdrahtung zu erstellen, die während kritischer Zeitpunkte der menschlichen Gehirnentwicklung stattfindet.

Einer der dynamischsten Zeiträume liegt etwa in der Mitte der Schwangerschaft. Zu diesem Zeitpunkt stellen die neuralen Stammzellen, die sogenannten radialen Gliazellen, die während des ersten und zweiten Trimesters Milliarden von Neuronen produziert haben, die Produktion von Neuronen ein und beginnen mit der Bildung von Gliazellen, die die Neuronen unterstützen und schützen. Gleichzeitig reifen die neu gebildeten Neuronen heran, wobei sie die Eigenschaften erlangen, die sie für die Erfüllung bestimmter Funktionen benötigen, und die synaptischen Verbindungen bilden, die ihnen die Kommunikation ermöglichen.

Dieses Entwicklungsstadium wurde in früheren Studien übersehen, so die Forscher, da nur wenig Hirngewebe aus dieser Zeit zur Verfügung steht.

„Unsere Studie befasst sich mit der komplexen Beziehung zwischen DNA-Organisation und Genexpression im sich entwickelnden menschlichen Gehirn in einem Alter, das normalerweise nicht untersucht wird: im dritten Trimester und im Säuglingsalter“, erklärte Paredes, außerordentlicher Professor für Neurologie an der University of Californinia in San Francisco. „Die Verbindungen, die wir durch diese Arbeit über verschiedene Zelltypen hinweg identifiziert haben, könnten die derzeitigen Herausforderungen bei der Identifizierung aussagekräftiger genetischer Risikofaktoren für neurologische Entwicklungsstörungen und neuropsychiatrische Erkrankungen lösen.“

Bilden Organoide die echten Vorgänge ab?

Die Ergebnisse haben auch Auswirkungen auf die Verbesserung stammzellbasierter Modelle, wie Gehirnorganoide, die zur Untersuchung von Gehirnentwicklung und -erkrankungen verwendet werden. Den Forschenden zufolge bietet die neue Karte einen Maßstab für Wissenschaftler, um sicherzustellen, dass ihre Modelle die menschliche Gehirnentwicklung genau nachbilden.

„Ein gesundes menschliches Gehirn zu züchten ist eine enorme Leistung“, erklärte Mitautor Dr. Joseph Ecker, Professor am Salk Institute und Forscher am Howard Hughes Medical Institute. „Unsere Studie schafft eine wichtige Datenbank, die wichtige epigenetische Veränderungen während der Gehirnentwicklung erfasst, was uns wiederum dem Verständnis näher bringt, wo und wann in dieser Entwicklung Fehler auftreten, die zu neurologischen Entwicklungsstörungen wie Autismus führen können.“