Forscher lüften Geheimnis der synaptischen Plastizität

Prof. Siegrid Löwel (Foto: Anne Günther/Uni Jena)

Das Verständnis der zellulären und molekularen Mechanismen, die der Plastizität des Gehirns zugrunde liegen, ist entscheidend für die Erklärung vieler Krankheiten und Leiden. Neurowissenschaftlern der Universität und Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist es nun gelungen, Synapsen in wachen, erwachsenen Mäusen wiederholt abzubilden.

Während der frühen Gehirnentwicklung gibt es kritische Phasen, in denen das Gehirn besonders plastisch ist und individuelle Erfahrungen dazu führen, dass neuronale Schaltkreise neu organisiert und angepasst werden. In sich entwickelnden Gehirnen sind stille Synapsen häufig, sie helfen, die Verbindungen zwischen den Hauptneuronen funktionell zu optimieren. Die Forschungsteams von Prof. Siegrid Löwel (Universität Göttingen) und Prof. Oliver Schlüter (UMG) hatten bereits herausgefunden, dass die Reifung stiller Synapsen das postsynaptische Dichteprotein-95 (PSD-95) benötigt und frühe kritische Perioden schließt. Die spezifischen Prozesse, die bestimmen, ob synaptische Verbindungen erfahrungsabhängig erhalten oder abgebaut werden, waren jedoch weitgehend unbekannt.

Um dies zu untersuchen, bildeten die Teams Neuronen aus der Sehrinde der Maus vor und nach spezifischer Reizung eines Auges mit einem Zwei-Photonen-Mikroskop ab. Erstautor Rashad Yusifov von der Universität Göttingen erklärt: „Frühere Studien haben in der Regel anästhesierte Mäuse verwendet, aber wir wissen jetzt, dass die Narkose selbst die neuronale Plastizität beeinflussen kann, weshalb wir die aktuelle Studie an wachen Tieren durchgeführt haben. Diese anspruchsvolle Technik, mit der wiederholt sehr kleine Strukturen – etwa ein Tausendstel eines Millimeters – abgebildet werden können, ist nur in wenigen Labors weltweit möglich. Es können damit dendritische Dornen beobachtet werden.“

Die Forscher entdeckten, dass Neuronen im Gehirn erwachsener Tiere, denen PSD-95 fehlt, einen verstärkten erfahrungsabhängigen Dornenabbau aufweisen – ein Effekt, der bisher nur bei jungen Tieren beobachtet wurde. Aufbauend auf ihren früheren Entdeckungen zeigt dies, dass Neuronen ohne PSD-95 sowohl funktionelle als auch strukturelle Merkmale der Plastizität aufweisen, die mit einer kritischen Periode verbunden sind. Das bedeutet, dass diese Neuronen eine „jugendliche Fähigkeit“ haben, die Nervenzellverschaltungen, also Verbindungen zwischen Nervenzellen bis ins Erwachsenenalter umzustrukturieren.

„Unsere Ergebnisse werden helfen, die Regeln der Gehirnentwicklung, welche dem Lernen zugrunde liegen, besser zu verstehen. Zudem eröffnen sie neue Wege, um Konzepte für den klinischen Alltag zu entwickeln, welche die Regeneration und Rehabilitation erkrankter und verletzter Gehirne fördern”, ist Seniorautorin Prof. Siegried Löwel von der Universität Göttingen optimistisch.

Originalpublikation:
Yusifov R et al. Spine dynamics of PSD-95-deficient neurons in the visual cortex link silent synapses to structural cortical plasticity. PNAS 2021;118(10):e2022701118.