Forschern gelingt neuronale Reprogrammierung in vivo

Abbildung einer reprogrammierten Gliazelle. (Quelle: © Dr. Ana Beltrán Arranz | Universitätsmedizin Mainz)

Einem Forscherteam der Universitätsmedizin Mainz ist es in Zusammenarbeit mit dem King’s College London, Großbritannien, im Tiermodell gelungen, nichtneuronale Zellen direkt im Gehirn in Nervenzellen mit spezifischen funktionellen Eigenschaften umzuwandeln. 

Im Gehirn befinden sich unterschiedliche Zellpopulationen, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Die zwei wichtigsten Zelltypen sind die nichtneuronalen Gliazellen und die Neuronen. Die häufigste Art von Gliazellen im Gehirn sind Astrozyten (Astroglia). Sie bieten strukturellen Halt für die Neuronen, versorgen sie mit Nährstoffen und tragen zur Bildung und Aufrechterhaltung der Blut-Hirn-Schranke bei, die das Gehirn vor schädlichen Stoffen schützt. Ist die Funktion von Nervenzellen beeinträchtigt oder verloren gegangen, kann dies zu neurologischen Störungen wie der Epilepsie oder neuropsychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie führen.

Unter der Leitung von Prof. Benedikt Berninger haben Wissenschaftler des Instituts für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin Mainz gemeinsam mit Forschenden des King’s College London einen neuartigen Ansatz untersucht, um abgestorbene Nervenzellen zu ersetzen: die direkte neuronale Reprogrammierung. „Ziel unserer Arbeit war es, eine Methode zu entwickeln, mit der im erkrankten Gewebe vorkommende Astroglia direkt im Gehirn in Nervenzellen mit spezifischen Eigenschaften umgewandelt werden können“, erläutert Berninger, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin Mainz.

Zu diesem Zweck schleusten die Wissenschaftler im Tiermodell Gene in die Astroglia ein, die den Bauplan für die Bildung von Transkriptionsfaktoren codieren. Diese bestimmen wiederum, welche Abschnitte des Erbmaterials im Zellkern abgelesen werden und damit auch, welche Form und Funktion eine Zelle hat. So gelang es den Forschenden, die Astrozyten so umzuprogrammieren, dass sie die Funktion hochfrequent-feuernder (Fast-spiking) hemmender Parvalbumin-positiver Interneuronen annahmen. Diese spielen im Zusammenhang mit neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen eine wichtige Rolle.

„Die Neubildung dieser spezifischen Neurone mithilfe der direkten neuronalen Reprogrammierung von Gliazellen könnte es eines Tages ermöglichen, erkrankte Nervennetzwerke im menschlichen Gehirn zu reparieren. Unsere im Tiermodell gewonnenen Erkenntnisse haben damit das Potenzial, einen entscheidenden Beitrag für die Entwicklung von neuen Ansätzen zur Behandlung von neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen zu leisten“, betont  Berninger.