Freie Ärzteschaft zur “Opt-out”-EPA: Schweigepflicht als Auslaufmodell?

Wieland Dietrich, Silke Lüder (v.l.). Foto: Manfred Wigger

Die Freie Ärzteschaft e. V. hat das Vorhaben, eine elektronische Patientenakte (EPA) für jeden Patienten per “Opt-out”-Lösung einzuführen, scharf kritisiert. Für den Verband bedeutet dies faktisch die Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht.  

Diese Woche sei in Berlin ein “völliger Paradigmenwechsel” in Bezug auf die zentrale Speicherung und Nutzung der sensiblen Krankheitsdaten nahezu der gesamten Bevölkerung beschlossen worden, heißt es in einer aktuellen Mitteilung. Der Hintergrund: Das Bundesgesundheitsministerium hat der Gematik den Auftrag erteilt, ein EPA-Konzept zu entwickeln, welches im scharfen Kontrast zur bisherigen Planung steht (wir berichteten). War bisher geplant, die patientengeführte EPA auf freiwilliger Basis für die Bürger bereitzustellen, soll nun die Freiwilligkeit abgeschafft werden zugunsten einer völlig automatisierten Speicherung aller Arztbriefe. Die Patientendaten sollen zudem automatisch allen möglichen Medizinbereichsteilnehmern und auch einem Forschungsdatenzentrum zugänglich sein. Man soll sich nur noch durch eine dezidierte Ablehnung davor schützen können – neudeutsch “Opt-out”.

“Dieser Paradigmenwechsel bedeutet faktisch die Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht, die seit 2000 Jahren weltweit durch den Eid des Hippokrates festgelegt wurde und auch heute noch weltweit die Grundlage ärztlicher Tätigkeit ist”, sagt Dr. Silke Lüder, stellvertretende Vorsitzende der Freien Ärzteschaft und niedergelassene Ärztin in Hamburg. “Dieser Paradigmenwechsel ist die Reaktion auf das bisherige völlige Scheitern aller Anwendungen der Telematik-Infrastruktur, sei es das E-Rezept, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung , der E-Notfalldatensatz oder die EPA”, so Lüder.

Datenschutz fragwürdig

Mit der “Opt-out”-Lösung ist nach Ansicht der Freien Ärzteschaft der Schutz der sensiblen Patientendaten gefährdet: Der Chaos Computer Club habe kürzlich nachgewiesen, dass die EPA in Deutschland auch ohne größere Computerfähigkeiten zu hacken sei. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber habe die “Opt-out”-Lösung bereits für “datenschutzpolitisch falsch” erklärt. “Wir sehen gerade wieder in Australien, was das Hacking von Krankheitsdaten für die betroffenen Bürger bedeutet,” sagt Wieland Dietrich, Bundesvorsitzender der Freien Ärzteschaft und niedergelassener Arzt in Essen. In Australien haben Hacker kürzlich Millionen Patientendaten von einer Krankenkasse gestohlen und im Darknet veröffentlicht, nachdem die Krankenkasse einer Geldforderung nicht nachgekommen war (wir berichteten). Und das war kein Einzelfall, wie Schmied berichtet: “Nach einem Datenschutzskandal für zentrale gespeicherte E-Akten in Finnland hat es bei den Betroffenen sogar Suizide gegeben. Dort sind nach jüngster Mitteilung über 9 Millionen Gesundheitsdatensätze gehackt und im Darknet veröffentlich worden, obwohl das zuständige Unternehmen nach Angaben der Regierung ‘alles richtig gemacht’ hätte.” Gerade unter den Bedingungen der sozialen Netzwerke werde der Schutz der ärztlichen Schweigepflicht immer wichtiger, betont der Dermatologe. “Wir als Freie Ärzteschaft werden unsere Kritik an ihrer Abschaffung weiterhin konsequent aufrechterhalten. Zum Schutz der Patienten und unserer ärztlichen Tätigkeit.”

“Milliardengrab” für Versichertenbeiträge

Der Ärzteverband weist außerdem auf die hohen Kosten der EPA und der anderen Digitalisierungsprojekte hin. “Seit 20 Jahren unter der aktiven Beteiligung des heutigen Gesundheitsministers, der Krankenkassen und der interessierten Industrie geplant, aber ohne echte Beteiligung der betroffenen Ärzte und Patienten, hat sich das ganze Projekt in ein Milliardengrab für Versichertenbeiträge verwandelt”, kritisiert Lüder. Gleichzeitig würden 400 Millionen Euro Versichertengelder für einen aus Sicht der Freien Ärzteschaft “völlig unnötigen” Konnektoren-Tausch ausgegeben. “Statt endlich die Reißleine zu ziehen und sinnvolle, sichere und praktikable Lösungen für die Medizin zu entwickeln, versucht man jetzt, den Datenschutz zu schleifen und damit auch gleich die ärztliche Schweigepflicht abzuschaffen”, so die Allgemeinmedizinerin.

(Freie Ärzteschaft / ms)