FSME: Verschiebung von Risikogebieten und ungewöhnlich viele Erkrankungen im Jahr 2017

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Bei fast 500 Menschen wurde im vergangenen Jahr eine FSME-Erkrankung diagnostiziert – so viele, wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Gleichzeitig wandern neue Zecken ein, verschieben sich die Hot-Spots und die Krankheit breitet sich nach Norden aus. Zu diesem Ergebnis kamen Experten im Vorfeld des 4. Süddeutschen Zeckenkongresses.

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist die wichtigste durch Zecken übertragene Virusinfektion. In Eurasien treten schätzungsweise mehr als 10.000 Erkrankungsfälle jährlich auf.

Im vergangenen Jahr seien allein in der Bundesrepublik bislang 497 Erkrankungen gemeldet wurden. Dabei handelt es sich um die zweithöchste je registrierte Zahl von Erkrankungsfällen, erklärte PD Dr. Gerhard Dobler auf einer Pressekonferenz der Universität Hohenheim. Der Mediziner ist Leiter der Abteilung für Virologie und Rickettsiologie am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München und des Nationalen Konsiliarlabors für FSME und auch Dozent an der Uni Hohenheim .

Krankheits-Rekord in Bayern, Baden-Württemberg an zweiter Stelle

85 Prozent der Erkrankungsfällen traten in Bayern und Baden-Württemberg auf. Bayern meldete mit 239 Erkrankungsfällen die höchste Zahl seit Einführung der Meldepflicht durch das Infektionsschutzgesetz IfSG im Jahr 2001. Den deutlichsten Anstieg der Erkrankungsfälle habe es entlang des Alpenkamms gegeben. Dagegen sei die Zahl der Erkrankungsfälle beispielsweise in Unterfranken 2017 deutlich zurückgegangen.

Auch in Baden-Württemberg sei die Zahl der Erkrankungen im Jahr 2017 hoch gewesen, bestätigte Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Stuttgart. Mit 186 Fällen liege sie allerdings noch unter den Rekordjahren von 2011 und 2006 mit 210 beziehungsweise 288 Fällen.

FSME auch in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin

Gleichzeitig beobachten die Wissenschaftler, dass sich die Regionen, in denen FSME-Erkrankungen gehäuft auftreten, verschieben. „Einige Landkreise, die über Jahre hinweg Erkrankungen meldeten, blieben im vergangenen Jahr völlig unauffällig. In anderen trat die Krankheit erstmals und gleich auch besonders gehäuft auf“, berichtete Prof. Ute Mackenstedt, Parasitologin der Universität Hohenheim und Initiatorin des Süddeutschen Zeckenkongresses.

Zudem breite sich die Krankheit nach Norden aus. „Die Statistik zeigt uns ganz neue Hot-Spots in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Zum allerersten Mal erhalten wir sogar Erkrankungsberichte aus den Niederlanden“, so die Zeckenexpertin.

Gefahr durch neu eingewanderte Zecken-Arten lässt sich noch nicht einschätzen

Bisher schwer einzuschätzen sei dagegen die Gefahr, die von neuen Zeckenarten in Deutschland ausgehe. So stießen die Parasitologen der Universität Hohenheim und Virologen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr und der Uni Leipzig 2016 erstmals auf das FSME-Virus in der in Deutschland zunehmend einwandernden Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus).

Ebenfalls 2016 entdeckte die Zeckenforscherin Dr. Chitimia-Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München, eine in Deutschland neue Art (Ixodes inopinatus), die wohl aus dem Mittelmeerraum eingewandert ist. „Noch ist nicht klar, wie lange diese Art schon in Deutschland heimisch ist und ob sie als FSME-Überträgerin in Frage kommt. Wichtig wäre auch abzuklären, ob mit ihr nicht neue Krankheiten nach Deutschland gelangten, wie etwa das Mittelmeerfieber“, sagte Mackenstedt.

Großprojekt zu Zecken-Lebensraum und -Verhalten

„Das erstaunliche ist, dass Zecken-Hot-Spots oft nicht größer als ein Fußballfeld oder nur halb so groß sind und über Jahre stabil bleiben“, erklärte Dobler. Zusammen mit Landschaftsökologen wollen die Zecken-Fachleute herausfinden, ob die Hot-Spots typische Gemeinsamkeiten haben – etwa im Pflanzenbestand oder in den Tiergesellschaften.

„Eine Theorie ist, dass Nagetiere bei den Hot-Spots eine wichtige Rolle spielen. Nager sind ortstreu, was erklären würde, warum die Hot-Spots wenig wandern. Gleichzeitig befallen Zecken im Larvenstadium bevorzugt Nager und nicht Rot- oder Schwarzwild. Die Nager sind auch die Quelle, an der sich die Zecken die FSME-Erreger holen.“

Ein weiteres Untersuchungsziel ist, wie FSME das Verhalten von Zecken ändert: „Wenn Zecken einen Wirt suchen, wandern sie an Grashalmen nach oben und warten dort auf Warmblütler. Eine neue Studie aus Osteuropa deutet an, dass FSME-Viren dieses Suchverhalten von Zecken verlängern könnten“, berichtete Mackenstedt.

Infizierte Rohmilch birgt besonders hohes Erkrankungsrisiko

Den zuverlässigsten Schutz bietet jedoch nach wie vor nur eine FSME-Impfung, so das einhellige Urteil der Rednerinnen und Redner auf der Pressekonferenz. Allerdings seien in Deutschland nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung geimpft. In Österreich sind es mehr als 80 Prozent. Gleichzeitig schütze die Impfung auch vor einer besonderen Art der FSME-Ansteckung: durch Rohmilch von Weidetieren.

„Im Jahr 2016 machte ein Fall Schlagzeilen, bei dem zwei Menschen nach dem Genuss von Rohmilch-Käse aus Ziegenmilch erkrankten“, berichtete Mackenstedt. „Im vergangenen Jahr erkrankten 8 Personen nach dem Genuss von Ziegen-Rohmilch.“

Tatsächlich sei das Krankheits-Risiko nach dem Genuss von FSME-infizierter Rohmilch um das Dreifache höher, als nach dem Biss von infizierten Zecken: „Von 100 Personen, die von infizierten Zecken gebissen werden, bricht die Krankheit bei 30 Personen aus. Bei infizierter Rohmilch beobachten wir den Krankheitsausbruch bei 100 von 100 Personen.“

In den 1950er Jahren seien FSME-Erkrankungen durch infizierte Rohmilch deshalb vergleichsweise häufig gewesen. Durch die Pasteurisierung von Milch sei die sogenannte „alimentäre FSME“ heute jedoch eher eine Randerscheinung.

Angesichts der zunehmenden Beliebtheit von Rohmilch betonte die Runde: „Wer Rohmilch-Produkte in einem Risikogebiet für FSME zu sich nimmt, muss FSME-geimpft sein!“