Geburt: S2k-Leitlinie zur Schulterdystokie veröffentlicht10. Oktober 2024 Foto: © tomertu/stock.adobe.com Eine neue AWMF-Leitlinie widmet sich einer seltenen, aber gefürchteten Komplikation unter der Geburt mit potenziell weitreichenden medizinischen Konsequenzen für Mutter und Kind: der Schulterdystokie. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG), die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (OEGGG) sowie die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (SGGG) haben die Leitlinie zur Schulterdystokie erstellt, um die wissenschaftlichen Empfehlungen zum Management zu bündeln. Die Empfehlungen werden dahingehend ausgesprochen, das geburtshilfliche Handeln unter der Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gebärenden zu leiten. Der Leitlinie zufolge werden etwa ein Prozent aller Geburten durch eine Schulterdystokie kompliziert. Es handelt sich dabei um einen akut auftretenden Geburtsstillstand nach Austritt des kindlichen Kopfes. Die nachfolgende Geburt des Rumpfes verzögert sich. Geburtsmechanisch werden zwei Varianten unterschieden: Hoher Schultergeradstand: Beim hohen Schultergeradstand treten die Schultern nicht in den querovalen Beckeneingang der Mutter ein. Der Kopf wird geboren und gleich danach zurückgezogen; die Schultern sind nicht tastbar. Das Erscheinungsbild wird als „Schildkrötenphänomen“ bezeichnet. Tiefer Schulterquerstand: Beim tiefen Schulterquerstand kann das Kind durch eine fehlende Rotation in der Beckenhöhle und der damit fehlenden Anpassung an den längsovalen Beckenausgang nicht austreten. Der Kopf wird nicht zurückgezogen; die Schultern sind seitlich des Kopfes in der Vagina tastbar. Ein Expertenkonsens der Leitlinie lautet: „Nach dem Austritt des kindlichen Kopfes sollte die physiologische Rotation der Schultern bis zur nächsten Wehe abgewartet werden, um nicht durch eine forcierte Kindsentwicklung eine Schulterdystokie zu provozieren.“ „Ziel dieser Leitlinie ist es, potenziellen Schaden und Langzeitfolgen von Mutter und Kind abzuwenden. Dafür wurden die zahlreichen evidenzbasierten Empfehlungen auf Grundlage vorliegender internationaler Leitlinien, systematischer Reviews sowie prospektiver und retrospektiver Beobachtungsstudien zum Management einer Schulterdystokie konsentiert“, kommentiert Prof. Harald Abele, Leitlinienkoordinator. Die Leitlinie befasst sich in einzelnen Kapiteln mit den Risikofaktoren und der Prävention, Logistik und konkreten Maßnahmen im Eintrittsfall, darunter Fist- und Second-Line-Manöver, sowie Last-Resort Manöver: Gaskin-Manöver Klassisches McRoberts-Manöver Modifiziertes McRoberts-Manöver Suprapubischer Druck Walcher’sche Hängegelage Hintere Armlösung Vordere Armlösung Interne Rotationsmanöver Abdominaler Rettungsversuch Zavanelli-Manöver Brechen der kindlichen Klavikula Symphysiotomie Experten: Optimiertes Umfeld notwendig Die Autorengruppe betont, dass es für den Geburtsort bei einer Schulterdystokie grundsätzlich keine ideale Raumausstattung gäbe. Zu fordern sei jedoch ein möglichst optimiertes Umfeld, sodass die notwendigen Lösungsmanöver ohne Verzug durchgeführt werden können und die Notfallversorgung des Kindes unmittelbar nach der Geburt erfolgen kann. Die Leitlinie fasst außerdem mütterliche und kindliche Komplikationen zusammen. So sollte nach einer durch eine Schulterdystokie verkomplizierten Geburt eine vaginale Untersuchung auf Geburtsverletzungen durchgeführt werden. Expertenkonsens herrsche darüber, dass eine Schulterdystokie das Risiko für eine höhergradige Geburtsverletzung erhöht, heißt es in der Pressemitteilung der DGGG. Der Gesundheitszustand des Neugeborenen soll nach einer Schulterdystokie idealerweise durch kinderärztliches Fachpersonal beurteilt werden. Die Komplikationsrate bei Säuglingen liegt bei circa fünf bis zehn Prozent. Die Autorengruppe ist sich dahingehend einig, dass direkter Hautkontakt, Stillen oder die Gabe von Paracetamol effektive Methoden sind, die Schmerzen des Neugeborenen nach einer Schulterdystokie zu reduzieren. Die Dokumentation bei Geburten mit Schulterdystokie soll minutengenau, exakt handlungsgetreu und für fachkundige Dritte nachvollziehbar dokumentiert werden. Allen Beteiligten (Eltern und geburtshilflichem Fachpersonal) sollten nach einem entsprechenden Vorfall Nachgespräche und ggf. psychologische Unterstützung angeboten werden; für die involvierten Teammitgliedern beispielsweise durch das Angebot einer Nachbesprechung (Debriefing). Regelmäßige interprofessionelle Trainings gefordert Schließlich betont die Autorengruppe auf Basis der gesichteten Literatur einstimmig, dass kindliche und mütterliche Verletzungen auch bei regelrechter Durchführung der zur Lösung einer Schulterdystokie erforderlichen Manöver nicht vollständig vermeidbar sind. Alle in die Geburtshilfe eingebundenen Fachkräfte sollten regelmäßig und idealerweise im multiprofessionellen Team an Trainings zur Behandlung einer Schulterdystokie teilnehmen. Die Autoren weisen darauf hin, dass der Begriff einer „erschwerten Schulterentwicklung“ nicht definiert sei und daher in der geburtshilflichen Praxis nicht verwendet werden soll. Die Leitlinie richtet sich an Mitarbeitende in der stationären Geburtshilfe, aus dem ambulanten und aus dem teilstationären Versorgungssektor. Zudem ist sie informativ für Pädiater, Anästhesisten, Pflegefachkräfte und andere in die Geburtshilfe einbezogene Gesundheitsfachberufe sowie schließlich auch Schwangere und Gebärende. An der Erstellung der insgesamt 110 Seiten umfassenden Handlungsempfehlung waren 20 Autoren aus verschiedenen Fachgesellschaften beteiligt. Das DGGG-Leitlinienprogramm hat dieses Leitlinienprojekt mit 5000 Euro gefördert. Hinweis der DGGG: Leitlinien sind Handlungsempfehlungen. Sie sind rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung.
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