Gehirn-Organoide: Neue Einblicke in seltene Hirnentwicklungsstörung LIS1 – Lissencephalie3. November 2025 Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, ein Modell für die LIS1-Erkrankung in Form von Gehirn-Organoiden zu entwickeln (Symbolbild, generiert mi KI). Bild: © Lila Patel – stock.adobe.com Eine Mannheimer Forschungsgruppe hat gemeinsam mit internationalen Partnern erstmals patientenabgeleitete Gehirn-Organoide entwickelt, um die seltene genetische Erkrankung LIS1 – Lissencephalie besser zu verstehen. Die Studie zeigt, wie genetische Veränderungen die Zellstruktur und Proteinfunktion stören und damit unterschiedliche Krankheitsverläufe verursachen. Erste Laborergebnisse deuten darauf hin, dass bereits verfügbare Medikamente helfen könnten. Kinder mit LIS1 – Lissencephalie werden mit einem Gehirn geboren, bei dem die typischen Furchen und Windungen stark vermindert sind oder ganz fehlen. Diese seltene genetische Erkrankung führt zu schweren Entwicklungsstörungen – teils auch zu Augenanomalien und Seheinschränkungen –, epileptischen Anfällen und einer eingeschränkten Lebenserwartung. Für die betroffenen Familien bedeutet die Diagnose oft große Unsicherheit, denn bislang sind die Ursachen und Verläufe der Erkrankung nur unzureichend verstanden. Organoid gibt Einblick in Krankheitsverlauf Einem internationalen Forschungsteam unter Federführung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim ist es nun gelungen, ein Modell für die Erkrankung in Form von Gehirn-Organoiden zu entwickeln. So wollen sie neue Einblicke in die Entstehung von LIS1 – Lissencephalie zu erhalten. Das Team um ZI-Forscherin Dr. Julia Ladewig nutzte Stammzellen von LIS1-Patienten, um im Labor dreidimensionale Gehirn-Organoide zu erzeugen. Diese bilden die frühe Entwicklung der Großhirnrinde nach. So konnten die Forschenden erstmals nachvollziehen, warum Mutationen im LIS1-Gen unterschiedlich starke Krankheitsverläufe verursachen. Gestörte Organisation und Teilung von Nervenvorläuferzellen Zellen behalten ihre Form und Stabilität durch ein inneres Gerüst, das Zytoskelett. Eines seiner wesentlichen Bestandteile sind Mikrotubuli, winzige röhrenförmige Strukturen im Inneren der Zelle. Die aktuelle Studie zeigt, dass die genetischen Veränderungen bei LIS1 die innere Stützstruktur der Zellen, die Mikrotubuli, destabilisieren. Dadurch wird die Organisation und Teilung von Nervenvorläuferzellen gestört. Diese Störungen können dazu führen, dass die Zellschichten der Großhirnrinde unregelmäßig angelegt werden – ein zentrales Merkmal der Erkrankung. Veränderungen auf molekularer Ebene erfassen Das internationale Forscherteam führte Einzelzell-RNA-Sequenzierunsanalysen durch. Diese Methode bildet die Genexpression in tausenden von einzelnen Zellen ab. Das Wissen, welche Gene in einzelnen Zellen aktiv sind, kombinierten die Forschenden mit Daten zum Proteom, also der Gesamtheit aller Proteine in den jeweiligen Zellen. So konnten sie die krankheitsbedingten Veränderungen auf verschiedenen molekularen Ebenen erfassen. Dieser Ansatz zeigte, dass zusätzlich zu den Veränderungen im Aufbau des Zytoskeletts die Zellproteine bei der Erkrankung unter Stress geraten und ihre normale Faltung nicht mehr aufrechterhalten können – ein Prozess, der als Proteostase-Dysregulation bezeichnet wird. Dieser Mechanismus könnte ein gemeinsamer Faktor vieler neuroentwicklungsbedingter Störungen sein. „Die Proteom-Analysen haben uns geholfen, die funktionellen Folgen der Genveränderungen besser zu verstehen und molekulare Schwachstellen zu identifizieren“, erklärt Dr. Matteo Gasparotto, Forscher am Hector Institut für Translationale Hirnforschung (HITBR) am ZI und einer der Erstautoren der Studie. Verfügbare Medikamente könnten helfen Das Team suchte anschließend nach bekannten Wirkstoffen, die diese gestörten Signalwege beeinflussen. Dabei zeigte sich, dass unter anderem das bereits klinisch zugelassene Medikament Everolimus in den Organoiden eine teilweise Wiederherstellung der zellulären Balance erzielen konnte. „Das ist ein spannender Hinweis darauf, dass bereits verfügbare Medikamente auch bei seltenen Entwicklungsstörungen helfen könnten“, sagt Dr. Lea Zillich, Forscherin am HITBR und Erstautorin der Studie. „Unsere Organoid-Modelle erlauben es uns, die Krankheit in einem sehr frühen Stadium auf zellulärer Ebene zu beobachten und die Effekte verschiedener Mutationen direkt zu vergleichen“, erklärt Dr. Julia Ladewig, Leiterin der Arbeitsgruppe Entwicklungsassoziierte Erkrankungen des Gehirns am ZI und Letztautorin der Studie. „Das hilft uns zu verstehen, warum manche Kinder schwerer betroffen sind als andere“, ergänzt sie. Beitrag zur Reduktion von Tierversuchen Die Forschenden betonen, dass die Nutzung der Organoid-Technologie auch dazu beitragen kann, Tierversuche zu reduzieren, da sie ermöglicht, Prozesse der menschlichen Gehirnentwicklung direkt in der Zellkulturschale zu untersuchen und die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen. Die Arbeit entstand in enger Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und wurde in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht. Sie unterstreicht, wie patientenabgeleitete Organoide helfen können, individuelle Krankheitsverläufe zu verstehen und personalisierte Therapieansätze zu entwickeln.
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