Gemeinsamer Signalweg von Krebs und chronischen Schmerzen entdeckt

Der Signalweg EGFR/KRAS scheint eine Rolle sowohl bei Lungenkrebs als auch bei chronischen Schmerzen zu spielen. Foto: ©Sergey Novikov – stock.adobe.com

Auf der Suche nach Medikamenten gegen chronische Schmerzen haben Forschende eine spannende Verbindung mit dem bei Lungenkrebs involvierten EGFR/KRAS-Signalweg gefunden. Auf diesen Signalweg abzielende Wirkstoffe könnten womöglich auch chronische Schmerzen lindern. 

Millionen Menschen weltweit sind von chronischen Schmerzen betroffen. Zur Identifikation neuer pharmakologischer Behandlungsansätze ist das Verständnis der Mechanismen hinter der Entstehung und Regulation chronischer Schmerzen entscheidend. Forschende des IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Harvard Medical School und des Boston Children’s Hospital konnten hier möglicherweise einen wichtigen Beitrag leisten.

Es ist bekannt, dass verletzte sensorische Neurone den Metaboliten Tetrahydrobiopterin (BH4, auch bekannt als Sapropterin) ausschütten, der zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit und deren Persistenz beiträgt. Das Enzym GTP-Cyclohydrolase 1 (GCH1) ist ausschlaggebend für die Synthese von BH4. Studien zum menschlichen Einzelnukleotid-Polymorphismus haben zusammen mit genetischen Modellierungen an Mäusen gezeigt, dass eine verminderte GCH1-Expression sowohl zu vermindertem BH4 als auch zu Schmerzen führt. Die IMBA-Forschungsgruppe wollte nun herausfinden, wie die GCH1-Expression bei Nervenverletzungen reguliert wird und ob sich diese Regulation mit bereits bekannten Wirkstoffen als schmerzlindernde therapeutische Maßnahme modulieren lässt.

Identifikation von „Off-Target“-Wirkstoffen

Das Team führte dazu ein phänotypisches Arzneimittelscreening mit 1000 verschiedenen, größtenteils von der FDA zugelassenen Medikamenten durch, um Wirkstoffe zur Senkung der BH4-Konzentration in Schmerzneuronen zu finden. Die Ergebnisse der Studie publizierten sie jüngst im renommierten Fachjournal „Science Translational Medicine“.

Unter anderem konnten sie hierbei die bereits bekannten schmerzstillenden Medikamente Clonidin und Capsaicin mit dem BH4-Signalweg in Verbindung bringen. Sie identifizierten aber auch Wirkstoffe, die bislang für andere Indikationen eingesetzt werden und die somit „Off-Target“-schmerzlindernde Eigenschaften besitzen. Einer dieser Wirkstoffe ist Fluphenazin, ein Antipsychotikum, das zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt wird.

„Wir fanden heraus, dass Fluphenazin den BH4-Signalweg in verletzten Nerven blockiert. Wir haben auch seine Wirkung bei chronischen Schmerzen nach Nervenverletzungen in vivo nachgewiesen“, erklärt Projektleiter und Mitautor Shane Cronin, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Penninger-Labor am IMBA und ehemaliger Postdoc im Woolf-Labor an der Harvard Medical School und dem F.M. Kirby Neurobiology Center, Boston Children’s Hospital. Experimente im Mausmodell zeigten, dass die wirksame schmerzlindernde Dosis von Fluphenazin mit dem unteren Ende der Dosen vergleichbar ist, die für Schizophrenie beim Menschen eingesetzt werden.

Verbindung zu Lungenkrebs

Darüber hinaus entdeckten die Forschenden eine neue und unerwartete molekulare Verbindung zwischen dem BH4-Signalweg und dem EGFR/KRAS-Signalweg, der bei zahlreichen Krebsarten eine Rolle spielt. Die Gene EGFR und KRAS sind die beiden am häufigsten mutierten Gene bei Lungenkrebs, was die Forscher dazu veranlasste, BH4 bei Lungenkrebs zu untersuchen. Demnach verringerte die Blockade des EGFR/KRAS-Signalweges die Expression von GCH1, die BH4-Konzentration und die Schmerzintensität. 

Außerdem entwickelten die Mausmodelle von KRAS-bedingtem Lungenkrebs weniger Tumore und überlebten viel länger, wenn GCH1 im BH4-Signalweg ausgeschaltet wurde. Die Forscher entdeckten also mit EGFR/KRAS einen gemeinsamen Signalweg für chronische Schmerzen und Lungenkrebs, der die Expression von GCH1 und BH4 beeinflusst und damit neue Wege für die Behandlung beider Erkrankungen eröffnet.

Josef Penninger, Mitautor der Studie, Gründungsdirektor des IMBA und Leiter einer IMBA-Forschungsgruppe, hält das Verständnis dieser Querverbindungen nicht nur für die Krebsbehandlung von entscheidender Bedeutung. „Die gleichen Auslöser, die das Tumorwachstum vorantreiben, scheinen auch an der Entstehung chronischer Schmerzen beteiligt zu sein, die Krebspatientinnen und -patienten häufig erleben. Wir wissen, dass sensorische Nerven Krebs vorantreiben können, was den Teufelskreis von Krebs und Schmerz erklären könnte“, erläutert er. Dementsprechend könnten die Erkenntnisse ihm zufolge auch dazu beitragen, die Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten in Richtung weniger Schmerzen zu verbessern.

(ah)