Gen S100A1 als potenzieller Frailty-Biomarker bei Herzpatienten entdeckt

Viele Menschen werden im Alter gebrechlich. Das individuelle Risiko dafür könnte möglicherweise über einen neuen Biomarker identifiziert werden. (Symbolfoto: ©Kmat/stock.adobe.com)

Gebrechlichkeit ist ein relevantes Syndrom im höheren Alter und hat insbesondere bei Herzerkrankungen eine erhebliche klinische Bedeutung. Eine Genanalyse könnte Aufschluss über das Frailty-Risiko geben.

Gebrechlichkeit, auch als Frailty-Syndrom bezeichnet, stellt ein zunehmendes Problem in der alternden Bevölkerung dar. Das Syndrom ist durch eine erhöhte Anfälligkeit für Stürze, Krankenhausaufenthalte, Komplikationen nach Operationen und eine allgemeine Verschlechterung der körperlichen Funktionsfähigkeit gekennzeichnet.

Als entscheidender Faktor für die Gebrechlichkeit älterer Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt die eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit. Um die gesundheitlichen und funktionellen Behandlungsergebnisse dieser Patientengruppe gezielt zu optimieren, ist ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden biologischen Mechanismen unerlässlich.

Analyse der Gebrechlichkeit bei 63 älteren Herzpatienten

Ein interdisziplinäres Forschungsteam wollte nun das Genexpressionsmuster verschiedener Phänotypen körperlicher Gebrechlichkeit bei Älteren identifizieren, die sich einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen mussten. Die Untersuchung stand unter Leitung vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE; PD Dr. Heike Vogel), der Fakultät für Gesundheitswissenschaften (FGW) an der Universität Potsdam (PD Dr. Annett Salzwedel und Prof. Heinz Völler) und dem Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC; PD Dr. Simon Sündermann). Die Ergebnisse wurden im „Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle“ veröffentlicht.

Die Forschungsgruppe nahm in ihre Studie insgesamt 63 Patienten (74 % männlich) im Alter von durchschnittlich 78 Jahren auf, die sich einer Herzoperation (54 %) oder einer Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI; 46 %) unterzogen. Vor den Eingriffen untersuchten die Forschenden die Patienten für drei Frailty-Phänotypen:

  • Ganggeschwindigkeit: Ermittelt mithilfe des Fünf-Meter-Gehtests, wobei eine Dauer von ≥ sechs Sekunden als niedrig galt, was bei 19 Patienten der Fall war.
  • Handgreifkraft: Gemessen mittels Dynamometer. Einstufung als gering bei Frauen ≤ 16 kg, bei Männern ≤ 27 kg. Ebenfalls 19 Patienten wurden darüber als gebrechlich eingestuft.
  • Allgemeine Mobilität: Beurteilt mittels Timed-Up-and-Go-(TUG)-Test. Dabei sitzt der Patient auf einem Stuhl mit Armlehne, steht nach Aufforderung auf, läuft eine Strecke von drei Metern, kehrt um und setzt sich wieder auf den Stuhl. Hilfsmittel wie Gehhilfen sind erlaubt, Hilfe von anderen Personen nicht. Währenddessen wird die Zeit gemessen. Einstufung: ≥ 10 Sekunden mäßig eingeschränkte Mobilität; ≥ 20 Sekunden starke Beeinträchtigung der Mobilität. Hierüber galten 43 Patienten als gebrechlich.

Allen Patienten wurden während der Herz-Operation bzw. TAVI Gewebeproben aus dem Oberschenkelmuskel entnommen, um eine umfassende Genexpressionsanalyse durchzuführen und mittels bioinformatischer Auswertungen die molekularen Veränderungen in der Skelettmuskulatur zu erfassen. Die Wissenschaftler nutzten zudem einerseits Daten einer separaten Kohorte älterer, gesunder Personen und andererseits Untersuchungen im Zellkultur- und Tiermodell, um die ermittelten Ergebnisse zu validieren.

Schlüsselgen S100A1 im Fokus

Anhand der Genexpressionsanalysen identifizierte das Forschungsteam zehn Gene, deren veränderte Expression mit allen drei Frailty-Phänotypen in Verbindung stand. Besonders auffällig war das Gen S100A1. Dessen Protein S100-A1 (S100 Calcium-bindendes Protein A1) wird vor allem im Herz- und Skelettmuskel exprimiert und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Kontraktionskraft und Calcium-Homöostase. Patienten mit niedriger Muskelkraft und verlangsamter Bewegung zeigten eine signifikant verminderte S100A1-Expression in den Muskelproben. Parallel dazu zeigte die Validierungskohorte, dass höhere S100A1-Blutwerte mit einer besseren Handgreifkraft korrelierten.

Auch ein funktioneller Zusammenhang konnte nachgewiesen werden. So bestätigten die Experimente in Muskelzellen, dass eine reduzierte S100A1-Expression zu einer gestörten Muskelentwicklung führt. Die verwendeten Mausmodelle zeigten zudem, dass genetisch bedingte höhere S100A1-Werte mit einer erhöhten Muskelmasse korrelieren und dass regelmäßiges Training die Genexpression zusätzlich verstärkt.

Erhalt der Mobilität und Lebensqualität im Alter

„Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass eine verringerte Genexpression von S100A1 in der Muskulatur mit Frailty-Phänotypen korreliert“, so Omar Baritello, Erstautor und Doktorand an der FGW. Studienleiterin Vogel interpretiert das Studienergebnis wie folgt: „Wir gehen davon aus, dass S100A1 eine zentrale Rolle bei der Regulation der Muskelgesundheit spielt und damit als Schlüssel zur Prävention von Gebrechlichkeit dienen könnte.“

Die gewonnenen Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen der altersbedingten Gebrechlichkeit legen nahe, dass S100A1 ein potentieller Biomarker für das Gebrechlichkeitsrisiko von älteren Menschen sein könnte. Zusätzlich bietet sich S100A1 als therapeutisches Ziel an, um die Muskelkraft und Mobilität bei älteren Patienten mit Herzerkrankungen frühzeitig zu verbessern.

Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich dem DIfE zufolge darauf konzentrieren, S100A1 als klinischen Marker zu validieren und seine therapeutische Nutzbarkeit zu untersuchen. Dies beinhaltet die Entwicklung von Diagnostika, die den S100A1-Spiegel messen können, sowie die Erforschung von Strategien zur Modulation der S100A1-Expression, beispielsweise durch gezieltes Muskeltraining oder pharmakologische Interventionen. „Die Studie bringt uns dem Ziel näher, Gebrechlichkeit nicht nur besser zu verstehen, sondern sie frühzeitig zu erkennen und ihr aktiv entgegenzuwirken – und damit die Lebensqualität und Sicherheit älterer Menschen zu verbessern“, so Vogel.