Genetisch bedingte ALS: Es besteht Anlass zur Hoffnung

Bislang ist es nicht gelungen, eine wirksame Therapie der Amyotrophen Lateralsklerose zu entwickeln. (Foto: © tashatuvango – stock.adobe.com)

Seit der medienwirksamen „Icebucket-Challenge“ im Jahr 2014 hat die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) nicht mehr viel öffentliche Aufmerksamkeit mehr erhalten – wohl auch, weil alle Therapiestudien negativ ausfielen. Nun berichtet die DGN jedoch von einem Fortschritt, der mehr zu sein scheint „als nur ein vager Hoffnungsschimmer“.

Bis zu 15 Prozent der ALS-Fälle sind genetisch bedingt, bei den restlichen 85 Prozent ist bislang keine eindeutige Ursache nachweisbar. Jetzt gibt es der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zufolge berechtigte Hoffnung, dass für eine Gruppe der Betroffenen mit genetischer ALS eine wirksame Therapie zur Verfügung stehen könnte. Es handelt sich um die Patientinnen und Patienten, bei denen die Erkrankung auf eine Mutation im FUS-Gen zurückzuführen ist, das bei der DNA-Reparatur und dem RNA-Metabolismus beteiligt ist. Diese Mutationen gehen mit einer sehr aggressiven Erkrankungsform einher, die oft bereits in jüngeren Jahren auftritt. Die Mutationen auf dem FUS-Gen führen zu einer „Gain-of-Function“-Toxizität, infolge derer es zu einer Bildung unlöslicher Proteinaggregate kommt, welche wiederum den Neuronenuntergang verursachen.

Bei dem Therapieansatz mit Antisense-Oligonukleotiden (ASO) wird das mutante FUS-Gen durch das ASO Jacifusen praktisch stillgelegt („gene silencing“). Die Therapie greift somit an der Krankheitsursache an.

Eine aktuelle Fallserie1 gibt nun Anlass zur Hoffnung, dass Jacifusen den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann: Zwölf Patientinnen und Patienten (median 26 Jahre alt; 58 % weiblich) wurden in ein Studienprogramm an fünf Standorten (vier Krankenhäuser in den USA und eines in der Schweiz) aufgenommen. Alle hatten eine FUS-Variante und wiesen klinische Anzeichen einer beginnenden Motoneuronerkrankung oder elektrophysiologische Anomalien auf, sofern keine ALS diagnostiziert wurde. Die Beatmung über Tracheostoma war ein Ausschlusskriterium.

Die Studienteilnehmenden erhielten über einen Zeitraum von 2,8 – 33,9 Monaten Jacifusen. Da ASO die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, wird das Medikament intrathekal injiziert. Die Dosis wurde mit dem Vorliegen neuer Sicherheitsdaten im Studienverlauf hochtitriert – von anfangs 20 mg bis 120 mg, wobei die Teilnehmenden, die zuletzt in die Studie aufgenommen wurden, von Beginn an monatlich eine Dosis von 120 mg erhielten. Die Sicherheit wurde anhand der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“, Version 4.0, und anhand von Standardmessungen der Liquorflüssigkeit (CSF) bewertet.

Als Biomarker für axonale Schädigung und Neurodegeneration wurde die Konzentration der Neurofilament-Leichtkette (NfL) im Liquor, als Gesamtmaß für die motorische Funktion wurde der ALS-Functional-Rating-Scale-Revised(ALSFRS-R)-Score herangezogen. Im Studienverlauf kam es zu zwei Todesfällen, die nach Ansicht der Studienautorinnen und -autoren aber nicht mit dem Prüfpräparat in Zusammenhang standen. An postmortalem ZNS-Gewebe wurden biochemische Analysen und immunhistochemische Färbungen durchgeführt, um die FUS-Proteinexpression zu quantifizieren und die Belastung durch die FUS-Pathologie zu bewerten.

Die NfL-Konzentration im Liquor wurde nach sechsmonatiger Behandlung um bis zu 82,8 % gesenkt – und könnte, so die Expertinnen und Experten, als Surrogatmarker für die ALS-Progression herangezogen werden. Biochemische und immunhistochemische Analysen von ZNS-Gewebeproben von vier Teilnehmern zeigten reduzierte FUS-Proteinspiegel und eine offensichtliche Abnahme der Belastung durch FUS-Pathologie.

Wie übersetzten sich die Laborbefunde in klinische Ergebnisse?

Bei den meisten Teilnehmenden kam es nach Beginn der Behandlung mit Jacifusen zwar weiterhin zu einer funktionellen Verschlechterung (gemessen anhand des ALSFRS-R), bei einer Teilnehmerin wurde nach zehn Monaten jedoch eine objektive funktionelle Erholung dokumentiert. Sie war mit 16 Jahren die jüngste Patientin in der Fallserie und erhielt die Therapie früh im Krankheitsverlauf. Ein weiterer Patient war zu Studienbeginn asymptomatisch und blieb es über drei Jahre, wobei auch eine Verbesserung der elektromyografischen Anomalien dokumentiert wurde. Aufgrund dieser Ergebnisse und der relativ guten Verträglichkeit sollen nun Phase-II- und -III-Studien aufgelegt werden.

Prof. Tim Hagenacker, Essen, Sprecher der DGN-Kommission Motoneuron- und Neuromuskuläre Erkrankungen, ordnet die Ergebnisse so ein: „Je genauer wir die Patientinnen und Patienten genetisch charakterisieren und selektieren, desto mehr Aussicht auf Erfolg besteht. Auch scheint der Zeitpunkt der Therapieinitiierung Einfluss auf das Therapieergebnis zu nehmen. Perspektivisch wird eine Früherkennung von Patientinnen und Patienten mit hohem genetischen Risiko entscheidend sein, derzeit wird bereits an Bluttests auf ALS gearbeitet.“

Prof. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär, hebt hervor: „In jedem Fall stellt die aktuelle Fallserie einen Meilenstein dar und zeigt, dass eine Gentherapie bei ausgewählten Patientinnen und Patienten wirksam sein kann. Weitere Studien müssen nun klären, welche Betroffenen besonders von der Therapie profitieren, um die Behandlung weiter personalisieren zu können.“ Er verweist in dem Zusammenhang auf eine kürzlich publiziertes Konsensuspapier aus Deutschland2, das eine neue Einteilung von Phänotypen der ALS vorgenommen hat.