Gentherapie bei Synapsen-bedingter Schwerhörigkeit

Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen und Sprecher des Exzellenzclusters Multiscale Bioimaging. Foto: mbexc/spförtner

Aufbauend auf Pionierarbeiten von Forschenden der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wurden erstmals Kinder, die an Synapsen-bedingter Schwerhörigkeit leiden, mit einer Gentherapie behandelt. Im Fokus stand einmal mehr das Otoferlin-Gen.

Die Schwerhörigkeit betrifft laut dem Center for Disease Control and Prevention (CDC) etwa ein bis zwei von 1000 neugeborenen Kindern und ist damit eine der häufigsten angeborenen Sinnesbeeinträchtigungen. Über 140 verschiedene Gene sind derzeit bekannt, deren Defekte zu Hörminderung führen.

Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der UMG und Sprecher des Göttinger Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC), und sein Team haben vor etwa 20 Jahren in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe um Prof. Christine Petit, Pasteur Institut, Paris, diese Schlüsselrolle des Otoferlins an den Synapsen nachgewiesen.

Seither haben Moser und Wissenschaftler des ehemaligen Göttinger Sonderforschungsbereichs 889 „Zelluläre Mechanismen der sensorischen Verarbeitung“ und des Exzellenzclusters MBExC, beides Förderprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, maßgeblich zur Aufklärung der Funktion von Otoferlin und zum Verständnis synaptischer Krankheitsmechanismen im Innenohr beigetragen. Anders als bei anderen Formen der genetischen Schwerhörigkeit, bleiben die Haarsinneszellen der Hörschnecke dennoch über Jahre erhalten, sodass eine ursächliche Therapie möglich ist. Ähnliche Krankheitsmechanismen wurden inzwischen auch für weitere genetische und erworbene Formen der Schwerhörigkeit nachgewiesen.

Vor zirka sieben Jahren ist es Prof. Ellen Reisinger, inzwischen Professorin an der Universität Tübingen, und weiteren Forschenden des Göttinger InnenOhrLabors sowie des Sonderforschungsbereichs 889 gelungen, das Hören bei tauben Mäusen mit Otoferlin-bedingter Synapsen-Schwerhörigkeit mittels Gentherapie teilweise wiederherzustellen. Dabei wurde der korrekte genetische Bauplan für die Herstellung des Proteins Otoferlin mittels nichtkrankmachender Viren in die Haarsinneszellen der Hörschnecke eingeschleust und eine teilweise Wiederherstellung der Synapsen- und Hörfunktion nachgewiesen.

Seither wurde in Göttingen, so auch am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), und an vielen anderen Orten weiter intensiv an diesem therapeutischen Ansatz geforscht. Am DPZ soll die Wirksamkeit und Sicherheit der Gentherapie nun auch an genetisch veränderten Weißbüschelaffen mit Otoferlin-bedingter Schwerhörigkeit weiter erforscht werden.

In einem weltweiten Wettstreit mit maßgeblicher Beteiligung von Start-Up-Unternehmen in den USA, Frankreich und China wurde intensiv an der Übertragung des gentherapeutischen Ansatzes zur Anwendung bei Patientinnen und Patienten gearbeitet. Kürzlich wurden erste klinische Studien zur Gentherapie für die Otoferlin-bedingte Synapsen-Schwerhörigkeit begonnen und inzwischen vielversprechende erste Ergebnisse veröffentlicht (DOI: 10.1002/advs.202306788; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02874-X). Bislang konnten keine ernsten unerwünschten Wirkungen der Gentherapie festgestellt werden. Wie aus den Arbeiten am Mausmodell abgeleitet, konnten die mit der Gentherapie versorgten, vormals hochgradig schwerhörigen oder tauben Kinder Schall und Sprache wahrnehmen. Es liegen aktuell noch keine ausreichenden Daten darüber vor, wie gut das Sprachverstehen im Alltag ist.

Auch an der UMG und am Göttinger Exzellenzcluster MBExC wurde inzwischen ein Patientenregister für die Otoferlin-bedingte Synapsen-Schwerhörigkeit eingerichtet, um betroffene Familien umfänglich zu informieren und in der Zukunft eine optimale Gentherapie anbieten zu können. Die Chancen stehen gut, dass zumindest für einige Formen der Taubheit eine Heilung möglich sein wird.

Der Machbarkeitsnachweis für die Gentherapie des Innenohres ist den Forschenden zufolge auch für die Entwicklung des optogenetischen Cochlea-Implantats von großer Bedeutung. Diese Technologie wird seit 2008 in Göttingen entwickelt und soll unabhängig von der Ursache der Taubheit ein besseres Hören als die aktuell üblichen elektrischen Cochlea-Implantate erlauben. Dabei werden mittels der Gentherapie des Innenohrs lichtempfindliche Eiweiße in den Hörnerv eingebaut, sodass dieser durch Lichtreize eines optischen Cochlea-Implantats aktiviert werden kann – Hören mit Licht wird möglich.

„Wir stehen nach vielen Jahren der Forschung erstmals am Beginn einer ursächlichen Therapie von Erkrankungen des Innenohrs. Göttinger Forschung unter anderem am Exzellenzcluster trägt maßgeblich dazu bei“, sagt Moser.