Gewebespende trotz Pandemie weiter ausgebaut – Hohe Zustimmung überwiegt Ausschluss-Diagnosen

Augenhornhautaufbereitung. Foto: Joachim Kloock

Trotz der Corona-Pandemie ist es gelungen, die Gewebespende im Jahr 2021 weiter auszubauen und mehr Patienten mit Gewebepräparaten zu versorgen. Dies berichten übereinstimmend die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) und die Gesellschaft für Transplantationsmedizin Mecklenburg-Vorpommern (GTM-V).

Mithilfe der insgesamt 2897 realisierten Gewebespenden war es der DGFG im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben erstmals möglich, mehr als 7000 Patienten mit einem Gewebetransplantat zu versorgen, darunter 4145 mit einer Augenhornhaut. Damit habe die DGFG die Anzahl der zur Transplantation abgegebenen Gewebe in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppeln können (alle Angaben der DGFG zu den Jahreszahlen 2021 sind vorläufig [Stand 27.12.2021]).
Im Rahmen der 7390 Aufklärungsgespräche wurde 3103-mal einer Gewebespende zugestimmt. Damit lag die Zustimmungsquote 2021 bei 42 Prozent, “erneut höher als im Vorjahr” (2020: 40,7 %), betont die Gesellschaft. Insgesamt meldeten die Kliniken der DGFG 44.231 potenzielle Gewebespender. Obwohl ein Großteil aus medizinischen Gründen wie einer COVID-19-Infektion für eine Gewebespende nicht infrage gekommen sei, habe die hohe Zustimmung in der Bevölkerung zu einem dennoch positiven Ergebnis in den Spendezahlen geführt. Spendenstärkstes Bundesland im Jahr 2021 war Nordrhein-Westfalen: Hier wurden insgesamt 475 Gewebespenden realisiert.

Erfreulich, so die DGFG weiter, sei auch die gestiegene Zahl der bereits zu Lebzeiten getroffenen Entscheidungen: So hätten 28 Prozent 2021 ihren Willen zu einer Gewebespende bereits zu Lebzeiten geäußert oder dokumentiert. Vor zehn Jahren habe dieser Anteil bei nur 14 Prozent gelegen. Sei der Wille nicht bekannt, könnten Angehörige im Sinne der Verstorbenen entscheiden – im vergangenen Jahr sei dies in mehr als zwei Dritteln der Fälle (69,7 %) so gewesen.

Im Netzwerk der DGFG arbeiten 13 Gewebebanken für die Aufbereitung der Gewebe zusammen. „Insgesamt haben die Gewebebanken allein im letzten Jahr 6362 Spendeneingänge bearbeitet“, betont die Gesellschaft. Trotz steigender Zahlen herrsche in Deutschland jedoch noch immer ein Mangel an Gewebe: Im Jahr 2021 habe die DGFG 73 Prozent aller Anfragen für ein Hornhauttransplantat zeitnah bedienen können; bei den Herzklappen seien es 50 Prozent gewesen.
Insgesamt 46 Lebend-Gewebespenden konnte die Gesellschaft im zurückliegenden Jahr realisieren. Zur Lebend-Gewebespende zählt die Spende der Plazenta und der darin enthaltenen Amnionmembran im Rahmen einer geplanten Kaiserschnittgeburt. In der Augenheilkunde kommt sie zur Behandlung der Hornhautoberfläche zum Einsatz. Insgesamt konnte die DGFG 2072 Amniontransplantate vermitteln.

Doppeljubiläum der DGFG, vormals DSO-G
In diesem Jahr feiert die DGFG ihr 15-jähriges Bestehen. Von 1997 bis 2007 organisierte sie noch als Tochter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) als Gesellschaft für Gewebetransplantation (DSO-G) die Gewebespende. Diese beiden Jubiläen nimmt die DGFG zum Anlass, am 2. und 3. Juni in Hannover im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung auf die Entwicklungen in der Gewebemedizin zurückzuschauen sowie Zukunftsperspektiven aufzuzeigen.
Als unabhängige, gemeinnützige Gesellschaft wird die DGFG ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens getragen: Gesellschafter sind das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Universitätsklinikum Leipzig, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Rostock sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg.
Weitere Informationen zur Jubiläumsveranstaltung sind auf der Internetseite www.gewebenetzwerk.de/15-jahre-dgfg/  nachzulesen.

Rostocker Gewebemedizin verzeichnet erstmals mehr als 4000 Spendermeldungen
Die 2015 in Rostock gegründete gemeinnützige Gesellschaft für Transplantationsmedizin Mecklenburg-Vorpommern (GTM-V gGmbH) konnte auch im zweiten Pandemiejahr eine Vielzahl an Gewebespenden realisieren und gemeinsam mit den kooperierenden Gewebebanken Patienten bundesweit mit Transplantaten versorgen. Als größte Gewebeentnahmeeinrichtung in Mecklenburg-Vorpommern wurden laut GTM-V im vergangenen Jahr insgesamt 4290 (+ 15%/2020: 3730) Spendermeldungen aus 19 Krankenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen aufgenommen. „So viele wie nie zuvor“, betont die GTM-V. Dabei seien jedoch viele Spenden durch coronabedingte Ausschlusskriterien „ausgebremst“ worden. Im Vergleich zum Vorjahr sei die Anzahl an Ausschluss-Diagnosen durch die Pandemie um 90 Prozent auf 26 Prozent (1128) gestiegen. Normal wären etwa 15 Prozent. Somit hätten circa 100 Gewebeentnahmen nicht durchgeführt werden können.
Nach Prüfung medizinischer Ausschlussgründe, fehlender gesetzlicher Grundlagen für ein Aufklärungsgespräch und logistischer Gründe führten die Mitarbeiter der GTM-V bei circa 2520 möglichen Spendern Gespräche mit den Angehörigen. “In 41 Prozent aller Gespräche wurde nach entsprechender Aufklärung der Familienmitglieder eine Zustimmung zur Gewebeentnahme gegeben”, teilt die Gesellschaft weiter mit.
Im Rahmen der 927 Gewebeentnahmen (2020: 852) wurden insgesamt mehr als 5390 Gewebepräparate (2020: 4630) entnommen und aufbereitet. Der größte Teil der Gewebeentnahmen betrifft Augenhornhäute (1820) und Präparate wie Knochen, Sehnen, Haut und Faszien. Durchschnittlich wurden pro Spende etwa fünf Gewebe entnommen. Der jüngste Spender war 18 Jahre und der älteste 93. Das Durchschnittsalter der Spender betrug 74,6 Jahre. „Altersgrenzen für eine Gewebespende existieren nicht“, betont die GTM-V. „Gewebespenden sind bis in das hohe Alter, auch über 100 Jahre, möglich.“
Als einen der größten Erfolge der vergangenen Jahre sehen die GTM-V und die Gewebebank Mecklenburg-Vorpommern (GBM-V) den Abbau der Wartelisten für Augenhornhauttransplantationen. Mehr als 95 Prozent aller Anfragen der Kooperationskliniken für Augenhornhauttransplantate hätten zum avisierten Operationstermin mit einem Präparat aus Rostock erfüllt werden können.
Die GTM-V unterstreicht im Rückblick auf 2021, dass alle Netzwerkpartner in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen trotz der enormen Zusatzbelastungen durch die Corona-Pandemie die Gewebemedizin stabil unterstützt hätten. Inzwischen stoße man sogar an die eigenen Grenzen, betonen GTM-V und GBM-V. Daher liefen bereits Planungen, die Aufbereitungs- und Lagerungskapazitäten in Rostock deutlich zu erweitern und räumlich neue Möglichkeiten zu erschließen.

Hintergrund Gewebemedizin: Die Gewebemedizin bleibt laut GTM-V „ein sich rasant entwickelnder Bereich“ der Transplantationsmedizin. In Deutschland liegt die Zahl der transplantierten Gewebe jährlich bei mehr als 55.000 (*3. Bericht der Bundesregierung 2018). Neben der Transplantation von Knochenmaterial gehört der Austausch von Augenhornhäuten mit mehr als 8000 Transplantationen pro Jahr zu den häufigsten Operationen in Deutschland. Obwohl sich die Versorgungslage verbessert hat, warten laut GTM-V mehr als 10.000 Patienten in Deutschland auf ein Gewebetransplantat. Im Gegensatz zu Herz- und Muskelgeweben, die bis zu fünf Jahren haltbar seien, müssten Augenhornhäute nach maximal 34 Tagen transplantiert werden. Das führe in der Corona-Pandemie immer wieder zu Problemen, wenn planbare Operationen abgesagt werden müssten.
*Dritter Bericht der Bundesregierung über die Situation der Versorgung der Bevölkerung mit Gewebe und Gewebezubereitungen
https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/056/1905675.pdf