GKV-Spitzenverband zu Apps auf Rezept: Hohe Kosten, wenig Nutzen

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Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hat seinen Bericht zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) vorgelegt: Der Verband sieht die Apps auf Rezept kritisch – Widerspruch kommt aus der Technikbranche.

„Apps auf Rezept“ hinken auch nach mehr als vier Jahren ihren Möglichkeiten hinterher, die Versorgung maßgeblich zu verbessern, konstatierte der GKV-Spitzenverband in einer Mitteilung und nennt als Grund dafür zu niedrige Zulassungsvoraussetzungen für die Aufnahme als Leistung der GKV. Zudem sei oftmals zu Beginn der ein Nutzen nicht nachgewiesen. Gleichzeitig steigen Ausgaben und Verordnungen kontinuierlich an. Das zeigt der vierte Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit DiGA.

„DiGA schöpfen ihr Potenzial nicht aus“

Demnach wurden zwischen dem 1.September 2020 bis 31.Dezember 2024 insgesamt 861.000 DiGA in Anspruch genommen. Die GKV hat dafür 234 Millionen Euro gezahlt. Allein im Zeitraum 2023 bis 2024 sind die Ausgaben um 71 Prozent angestiegen. Dabei konnten nur deutlich weniger als ein Fünftel der ins DiGA-Verzeichnis aufgenommenen Anwendungen ihren Nutzen von Beginn an nachweisen. Vier von fünf DiGA kommen entsprechend zunächst nur testweise in die Versorgung.

„Nach wie vor schöpfen DiGA ihr ohne Zweifel vorhandenes Potenzial für eine bessere Versorgung bei Weitem nicht aus. Schon seit Beginn ihrer Einführung kritisieren wir den oftmals mangelnden Nutzen von DiGA für die Patientinnen und Patienten. Es ist ernüchternd, dass hier noch immer viel zu wenig Licht am Horizont zu erkennen ist“, konstatiert Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. Zwar sei positiv anzumerken, dass immer mehr vorläufig aufgenommene DiGA nach ihrer Erprobungsphase den Sprung in die dauerhafte Aufnahme geschafft hätten. Aber der Anteil von Anwendungen, die zunächst ohne einen nachgewiesenen Nutzen zu den Patientinnen und Patienten gelangen, sei mit über 80 Prozent unverändert hoch, so Stoff-Ahnis weiter. Sie kritisiert: „Das macht sie zu Versuchskaninchen und sorgt für Unsicherheit und mangelnde Akzeptanz sowohl bei der verordnenden Ärzteschaft als auch bei den Patientinnen und Patienten selbst.“

Trend zu fehlendem Nutzen verfestigt sich

Laut DiGA-Bericht konnten von den zum 31. Dezember 2024 insgesamt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelisteten 68 DiGA lediglich zwölf Anwendungen (18%) direkt mit ihrer Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog einen Nutzen nachweisen. Von den 56 zur Erprobung aufgenommenen DiGA befinden sich zudem 21 Anwendungen noch in laufender Erprobung, die Bewertung durch das BfArM dauert also noch an. Bei den restlichen 35 zur Erprobung aufgenommenen DiGA wurden neun Anwendungen bereits wieder gänzlich aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen, ohne jemals einen Nutzen für die Versorgung nachgewiesen zu haben. Weitere DiGA wurden nicht im vollen Umfang dauerhaft übernommen.

Für den GKV-Spitzenverband eine traurige Bilanz: Damit gelinge es nur etwa jeder zweiten DiGA, die vorläufig zur Erprobung in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wurde, ihren versprochenen Nutzen zu erreichen. Nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbandes verfestigt sich der Trend der vergangenen Jahre, dass bei der Aufnahme von DiGA in das DiGA-Verzeichnis durch das BfArM oftmals der Nutzennachweis fehlt. Obwohl DiGA nur zur Probe aufgenommen würden und eventuell sogar wieder gestrichen werden, müssen die Krankenkassen von Beginn an voll dafür bezahlen.

„Preisgestaltung hat jede Bodenhaftung verloren“

„Unabhängig davon, ob ein Nutzen belegt oder unklar, also nicht nachgewiesen ist, werden die Preise für DiGA im ersten Jahr von den Herstellenden beliebig festgelegt“, kritisiert der GKV-Spitzenverband in einer Mitteilung. Dies führe zu einer enormen Unwucht zum einen im Verhältnis zur Vergütung anderer GKV-Leistungen und zum anderen zur Vergütung von DiGA mit einem nachgewiesenen Nutzen. Laut GKV-Spitzenverband liegt der höchste Herstellerpreis einer DiGA liegt bei 2077 Euro, obwohl diese DiGA sich noch in der Erprobung befinde. Bei Betrachtung aller Herstellerpreise von DiGA zeige sich über die Jahre weiterhin ein deutlicher Anstieg, so der Spitzenverband: Lagen diese im ersten Berichtsjahr noch bei durchschnittlich 411 Euro, so liegen sie im aktuellen Berichtsjahr bei 541 Euro und sind damit um knapp 32 Prozent gestiegen.

Stoff-Ahnis bemängelt: „Die vom Gesetzgeber gewollte Preisgestaltung bei DiGA hat mittlerweile jede Bodenhaftung verloren. Die Unternehmen nutzen das gesetzlich festgelegte Recht auf einen beliebig hohen Preis im ersten und teilweise auch im zweiten Jahr voll aus.“ Das zeige sich in kontinuierlich steigenden durchschnittlichen Herstellerpreisen und in der Spitze in einem Herstellerpreis von mehr als 2000 Euro für eine einzige DiGA. Die GKV müsse solche „Fantasiepreise“ zahlen, selbst wenn der Nutzen der Anwendung nicht nachgewiesen sei, so Stoff-Ahnis weiter. „Jedes Wirtschaftlichkeitsgebot wird damit ad absurdum geführt. Dieser Zwang zur Wirtschaftsförderung auf Kosten der Betragszahlerinnen und Beitragszahler gehört beendet,“ erklärt die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.

Forderungen für ein gesetzliches Update

Der GKV-Spitzenverband gesteht den DiGA das Potenzial zu, die Versorgung der Patientinnen und Patienten „substanziell zu verbessern“. Dafür seien allerdings drei zentrale Anpassungen bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig.

Erste Forderung des GKV-Spitzenverbandes: Es dürften nur Produkte bezahlt werden, deren Nutzen, Qualität und medizinische Notwendigkeit hinreichend nachgewiesen sind. Die Prüfung sollte dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) obliegen. Zudem müssten die zwischen GKV-Spitzenverband und den Verbänden der Herstellenden verhandelten DiGA-Preise ab dem ersten Tag der Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis gelten. Vor dem Hintergrund, dass durch das Digital-Gesetz seit 2024 auch DiGA höherer Risikoklassen mit dem üblichen Schnell-Verfahren ohne die Möglichkeit zur Erprobung in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden können fordert der Verband, insbesondere für diese Produkte die etablierten Verfahren beim G BA für eine tiefere Nutzen- und Risikobewertungen anzuwenden. Patientensicherheit und Patientenwohl müssten auch bei DiGA das oberste Gebot der Versorgung von Patientinnen und Patienten sein, so der GKV-Spitzenverband.

Nicht neutral, fachlich falsch und irreführend?

Deutlicher Widerspruch zur Darstellung der GKV kommt von Branchenverbänden. So weist der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. den DiGA-Bericht zurück. Dieser weise „gravierende inhaltliche und qualitative Mängel“ auf und erfülle den Anspruch einer „sachlichneutralen Ergebniszusammenfassung“ nicht. In dem Bericht fänden sich wiederholt Aussagen, die „entweder fachlich falsch sind oder die Faktenlage unvollständig bis irreführend darstellen“, heißt des in einer Mitteilung des Verbandes der DiGA-Hersteller.

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung weist insbesondere die Darstellung, dass die Hersteller Preise beliebig festlegen, vehement zurück. Auch dass ungeprüfte DiGA, ohne Evidenznachweis in die Versorgung kommen sei ein „irrführender Eindruck“. Der Verband sieht DiGA „diskreditiert“ und verweist darauf, dass Hersteller auch bei einem Antrag auf vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis Studienergebnisse im Rahmen einer systematischen Datenauswertung vorlegen müssten. Nach Angaben des Herstellerverbandes wurden im ersten Jahr dann fast ausschließlich randomisierte, kontrollierte Studien durchgeführt.

„Innovationshemmende Hürden abbauen“

Auch der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) bemängelt fehlende Objektivität und Neutralität des vierten DiGA-Berichts. So blicke der GKV-SV ausschließlich negativ auf DiGA, kommentierte die BVMed-Digitalexpertin Natalie Gladkov den Bericht. Sie betont: „Unsere Botschaft lautet: In Sachen DiGA ist Deutschland EU-weit Vorreiter. Der DiGA-Markt etabliert sich gerade erst und bietet großes Potenzial zur Verbesserung der Patient:innen-Versorgung. Wir müssen die innovationshemmenden Hürden abbauen, um digitale Medizinprodukte schneller in die Versorgung zu bringen.“

Weder der Mehrwert von DiGA angesichts knapper Ressourcen im Gesundheitswesen noch die Herausforderungen, die für DiGA-Hersteller durch die andauernde Verschärfung der Anforderungen bestehen, fänden im GKV-Bericht Erwähnung, so Gladkov weiter. Als Beispiele nennt die BVMed-Digitalexpertin die mangelhafte Gestaltung des zeitlichen Ablaufs der Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie die von Übergangslösungen und planerischen Unsicherheiten geprägte Umsetzung der ePA-Anbindung. Auch mangele es an Verbindlichkeit der im Rahmen von DiGA-Beratungen durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte getroffenen Aussagen. (ja)