GKV-Versicherte bevorzugen Hilfsmittel ohne Mehrkosten

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Hörhilfen, Gehilfen, Bandagen – laut GKV-Spitzenverband entscheiden sich Versicherte in 20 Prozent der Fälle für die zuzahlungspflichtige Alternative. Über die Gründe ist nichts bekannt. Die Kassen fordern mehr Transparenz. Der Industrieverband Spectaris hält den Bericht für „verzichtbar“.

Versicherte der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) haben in jedem Fall einen Anspruch auf eine mehrkostenfreie Versorgung mit medizinisch notwendigen Hilfsmitteln. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für das medizinisch notwendige und gleichzeitig wirtschaftlichste Hilfsmittel. Mehrkosten, für Extras — zum Beispiel aus Gründen der Ästhetik oder des Komforts — müssen die Versicherten selbst zahlen.

Die Höhe von Mehrkosten in der Hilfsmittelversorgung wird öffentlich immer wieder diskutiert. Welche Mehrkosten sind gerechtfertigt? Müssen Versicherte durch gesetzliche Regelungen besser vor Mehrkosten geschützt werden? Wie müssen diese Regelungen aussehen? Informationen über Entwicklung und Höhe der Mehrkosten bei Hilfsmitteln liefert seit 2019 der Mehrkostenbericht des GKV-Spitzenverbandes.

„Endlich gesetzliche Meldepflicht für Gründe von Mehrkosten festlegen“

„Unser Mehrkostenbericht zeigt, dass gut 80 Prozent der GKV-Hilfsmittelversorgungen mehrkostenfrei erfolgen. Für die verbleibenden 20 Prozent zahlen GKV-Versicherte im Durchschnitt rund 149 Euro aus eigener Tasche. Bringen diese Mehrkosten aber auch eine bessere Versorgung?“, erklärt Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.

„Die Gründe kennen Gesetzliche Krankenkassen leider nicht. Das muss sich unbedingt ändern!“, fordert Blatt. Er ergänzt: „Denn nur wenn wir die Gründe kennen, weshalb sich Versicherte für Hilfsmittel mit Mehrkosten entscheiden, können wir einschätzen, ob es sich um die bewusste Entscheidung für eine Leistung handelt, die über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht, oder ob es gegebenenfalls andere Gründe gibt. Erst wenn wir das wissen, können unsere Versicherten besser vor ungerechtfertigten Mehrkosten geschützt werden. Wir fordern den Gesetzgeber daher auf, endlich eine gesetzliche Meldepflicht für die Gründe von Mehrkosten festzulegen.“

Hilfsmittelausgaben der GKV steigen auf 11,5 Milliarden Euro

Der aktuelle Mehrkostenbericht analysiert GKV-Abrechnungsdaten für Hilfsmittel aus dem Jahr 2024. Hierfür wurden 31,75 Millionen Hilfsmittelversorgungen (2023: 31,97 Millionen) mit einem Ausgabevolumen von rund 11,5 Milliarden Euro (2023: 11 Milliarden Euro) ausgewertet. Erneut bestätigt die Datenanalyse, dass auch im Jahr 2024 GKV-Versicherte rund 80 Prozent der Hilfsmittel regelhaft mehrkostenfrei bezogen haben.

Bei rund sieben Millionen Fällen (etwa 22 %) haben Versicherte jedoch eine Hilfsmittelversorgung mit Mehrkosten gewählt. Die Summe aller Mehrkosten betrug etwa 1,04 Milliarden Euro. Bei diesen etwa 22 Prozent zahlten Versicherte im Schnitt 148,70 Euro (2023: 149,48 Euro) dazu, damit sind die durchschnittlichen Mehrkosten je Versicherten im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 Prozent (2023: 5,5 Prozent) gesunken.

Qualitative Daten fehlen – GKV-Spitzenverband fordert Transparenz

Schon heute müssen zuerst mehrkostenfreie Hilfsmittel angeboten werden Leistungserbringende für Hilfsmittel wie beispielsweise Sanitätshäuser oder Hörakustiker sind gesetzlich verpflichtet, GKV-Versicherten zuerst eine mehrkostenfreie Versorgung anzubieten, bevor sie über eine Versorgung mit Mehrkosten beraten. Die Höhe der Mehrkosten muss bei der Abrechnung mit der Krankenkasse angegeben werden

Damit Versicherte von Leistungserbringenden nicht zu teuren, übermäßigen Versorgungen gedrängt oder unzureichend über ihren Leistungsanspruch beraten werden, sei jedoch mehr Transparenz über die Gründe von Mehrkosten erforderlich, wie der GKV-Spitzenverband in einer Mitteilung betont. Krankenkassen sollten erfahren, warum Versicherte Hilfsmittel auswählen, die von der Regelversorgung abweichen und somit zu zusätzlichen Kosten führen.

Der Verband bemängelt, dass nach wie vor qualitative Daten fehlen, für die es gegenwärtig immer noch keine gesetzliche Grundlage gibt. Deshalb fordert der GKV-Spitzenverband bereits seit Längerem eine gesetzlich festgelegte Meldepflicht für die unterschiedlichen Gründe von Mehrkosten bei Hilfsmitteln.

Industrie-Verband: GKV-Mehrkostenbericht verzichtbar

„Was als Beitrag zur Transparenz gedacht war, hat sich längst zu einer Belastung für Patienten, Leistungserbringer und das gesamte Gesundheitssystem entwickelt“, konstatiert Marcus Kuhlmann, Leiter des Fachverbands Medizintechnik bei dem Industrieverband Spectaris mit Blick auf den GKV-Mehrkostenbericht.

Der Bericht liefere ein verzerrtes Bild der Versorgung, verursacht unnötigen Verwaltungsaufwand und führe in der Praxis zu keinerlei spürbaren Verbesserungen für Betroffene, so Kuhlmann weiter, der betont: „Statt Klarheit zu schaffen, produziert der Bericht vor allem eines: Bürokratie.“ Leistungserbringer stünden durch die komplexe Datenerhebung unter Druck.

Laut Spectaris ist die Methodik des Berichts nicht geeignet, die tatsächlichen Zuzahlungen korrekt abzubilden. In einer Mitteilung hebt der Verband hervor, dass relevante Kostenpositionen nicht erfasst würden, wenn sie zeitlich außerhalb der Leistungserbringung anfallen. Zudem zeigten die bisherigen Ausgaben der Berichte keinerlei Wirkung auf das Verhalten der Krankenkassen – ein Nutzen für die Versorgungsqualität sei nicht erkennbar, so die Kritik.

Mehrkostenbericht abschaffen als „klares Signal für Bürokratieabbau“

Statt weitere Daten zu erheben, wie es der GKV-Spitzenverband fordert mahnt Spectaris die ersatzlose Streichung von § 302 Abs. 5 SGB V an, der die jährliche Erstellung des Berichts vorschreibt. „Die Abschaffung des Mehrkostenberichts wäre ein klares Signal für Bürokratieabbau und Patientennähe“, so Kuhlmann.

Als praxistaugliche Alternativen schlägt der Verband unter anderem die Entwicklung klarer, vereinfachter Standards zur Kostenübernahme vor, die sich auf die im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Produkte beziehen und nicht mehr aufwendig dokumentiert werden müssen. Auch ein direkterer Zugang zu Hilfsmitteln auf Basis ärztlicher Verordnung und nachgewiesener medizinischer Notwendigkeit könne die Versorgung verbessern.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine automatische Kostenübernahme bei ärztlich verordneten Hilfsmitteln. Für Spectaris wäre das ein Systemwechsel von dem sich der Verband langfristig mehr Effizienz und weniger Verwaltungsaufwand erhofft. (ja/BIERMANN)