Glaukom: Rolle des Alzheimer-assoziierten ApoE-Gens beim Schutz vor Erblindung26. September 2022 Illustration: © sakurra-adobe.stock,.com Amerikanische Wissenschaftler konnten zeigen, dass das Alzheimer-assoziierte Apolipoprotein E4 (ApoE4)-Gen Mäuse vor Glaukom schützen kann. Das Forschungsteam verhinderte zudem durch eine Blockierung des ApoE-Signalweges den Tod retinaler Ganglienzellen. Das könnte eine neue potenzielle Behandlungsoption für das Glaukom eröffnen. Die Forschungsergebnisse, erhoben unter der Leitung von Wissenschaftlern des Mass Eye and Ear und des Brigham and Women’s Hospital, wurden im Fachjournal „Immunity“ veröffentlicht. Konkret zeigten die Wissenschaftler, dass die ApoE4-Genvariante eine Krankheitskaskade blockiert, die zur Zerstörung retinaler Ganglienzellen beim Glaukom führt. Darüber hinaus beobachteten sie, dass im separaten Mausmodellen der Tod retinaler Ganglienzellen durch Hemmung des Moleküls Galectin-3, das vom ApoE-Gen reguliert wird, verhindert werden kann. Diese Ergebnisse unterstreichen die entscheidende Rolle von ApoE beim Glaukom und legen den Autoren zufolge nahe, dass Galectin-3-Inhibitoren zur Glaukombehandlung vielversprechend sind. „Unsere Forschung liefert ein besseres Verständnis des genetischen Wegs, der zu irreversibler Erblindung beim Glaukom führt, und weist, was noch wichtiger ist, auf eine mögliche Behandlung hin, um die Grundursache des Sehverlusts anzugehen“, erkläret Milica Margeta, Hauptautorin der Studie, Glaukom-Spezialistin, Wissenschaftlerin bei Mass Eye and Ear und Assistenzprofessorin für Augenheilkunde an der Harvard Medical School. „Diese Studie zeigt, dass die ApoE-vermittelte Krankheitskaskade beim Glaukom eindeutig schädlich ist und dass man die Krankheit tatsächlich stoppen kann, wenn man genetisch oder pharmakologisch eingreift.“ Die Ursache des Sehverlusts beim Glaukom verstehen und stoppenDas Glaukom ist eine der Hauptursachen für Erblindung und betrifft weltweit schätzungsweise 80 Millionen Menschen. Trotz der Häufigkeit der Krankheit ist wenig über die zugrunde liegenden Mechanismen bekannt, die zum Tod retinaler Ganglienzellen und damit letztendlich zum Sehverlust führen. Dementsprechend gibt es keine Behandlung, um das Überleben dieser Zellen zu sichern. Aktuelle Therapien, einschließlich Medikamente, Laserbehandlungen und Operationen, zielen darauf ab, den Augendruck zu senken, den einzigen modifizierbaren Risikofaktor für Glaukom. Die Krankheit schreitet trotz dieser Eingriffe jedoch oft fort und kann zur vollständigen Erblindung führen. Wissenschaftler haben vermutet, dass Glaukom ein Ergebnis eines mikroskopischen Entzündungsprozesses in den Augen sein könnte. Frühere Studien dieses und anderer Forschungsteams zeigten, dass dieser Entzündungsprozess im Sehnerv von Glaukompatienten durch das Vorhandensein aktivierter Mikroglia angezeigt wird. In gesundem Gewebe kann Mikroglia von Vorteil sein, bei Augenkrankheiten und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson können Mikroglia jedoch toxische Moleküle produzieren, lebende Neuronen zerstören und Nachbarzellen entzünden. Eine wegweisende Studie aus dem Jahr 2017 unter der Leitung von Oleg Butovsky, PhD, in der Abteilung für Neurologie des Brigham and Women’s Hospital, fand heraus, dass bei neurodegenerativen Erkrankungen, einschließlich Alzheimer, Amyotropher Lateralsklerose und Multipler Sklerose, Mikroglia auftreten die zu einem mikroglialen neurodegenerativen Phänotyp (MGnD) wechseln, der durch das ApoE-Gen vermittelt wird. Aus der neurologischen Forschung ist bekannt, dass eine Variante dieses ApoE4-Gens mit einem erhöhten Risiko für die spät einsetzende Alzheimer-Krankheit verbunden ist. Interessanterweise zeigte eine frühere Studie unter der Leitung von Dr. Margeta, dass ApoE4 mit einem verringerten Risiko für die Entwicklung eines Glaukoms verbunden ist. Jedoch wurde nicht verstanden, warum das so ist. Die neue Studie von Margeta und Butovsky beleuchtet diesen Mechanismus. Die Wissenschaftler nutzten die RNA-Sequenzierung, um einen unvoreingenommenen Blick darauf zu werfen, welche Gene in Mikroglia in verschiedenen Mausmodellen mit Glaukom ein- und ausgeschaltet wurden. Sie identifizierten eine Krankheitskaskade, in der ApoE den Mikroglia-Übergang von einer gesunden Zelle zu einer toxischen neurodegenerativen Zelle steuert, indem es das Molekül Galectin-3 reguliert. Die Forschenden versuchten bei einer Maus mit der ApoE4-Variante ein Glaukom zu induzieren. Sie stellten jedoch fest, dass die Mikroglia trotz des erwarteten erhöhten Augendrucks diese toxische Kaskade nicht einschalten konnten und kein Galectin-3 produzierten. Stattdessen verbleiben die Mikrogliazellen in einem homöostatischen Zustand mit Erhalt der retinalen Ganglien der Netzhaut. Die gleichen Ergebnisse wurden bei Mäusen ohne ApoE beobachtet: Die toxische Signalkaskade war nicht eingeschaltet, Galectin-3 wurde nicht produziert und die Neuronen geschützt. Die Wissenschaftler analysierten auch menschliche Augengewebeproben, welche vom Duke University Medical Center bereitgestellt wurden. Sie bestätigten, dass Galectin-3 in der Netzhaut von Glaukompatienten mit der verbreiteten ApoE3-Variante erhöht, aber bei Patienten mit der ApoE4-Variante fast nicht nachweisbar war. „Dies war ein bemerkenswerter Befund und führte zu Tests, ob eine pharmakologische Intervention Galectin-3 blockieren und somit möglicherweise Glaukom behandeln könnte“, erklärte Dr. Butovsky, leitender Studienautor und außerordentlicher Professor für Neurologie an der Harvard Medical School. Die Wissenschaftler verwendeten Galactin-3-Hemmer, die aus natürlichen Quellen gewonnen werden können und sich derzeit in klinischen Studien für die Lungenfibrose befinden. Sie stellten fest, dass die Injektion dieser Inhibitoren in das Auge bei Mäusen mit Glaukom die Krankheitskaskade blockierte und die retinalen Ganglienzellen trotz erhöhten Augendrucks geschützt waren. „Unsere Ergebnisse liefern eine Erklärung dafür, warum ApoE4 mit einem verringerten Glaukomrisiko assoziiert ist, und zeigen, dass der ApoE-Signalweg ein vielversprechendes Ziel für neuroprotektive Behandlungen dieser blind machenden Krankheit ist. Warum das gleiche Allel bei der Alzheimer-Krankheit schädlich, aber bei neurodegenerativen Augenerkrankungen schützend ist, muss noch geklärt werden“, sagte Butovsky. Den Weg für klinische Studien ebnenDiese Studie ist den Autoren zufolge die erste, die die Rolle von Galectin-3 bei der Entstehung des Glaukoms untersucht hat und den Wert der Hemmung dieses Moleküls zeigt. Zukünftige Untersuchungen dieses Forschungsteams werden sich genauer mit den Galectin-3-Inhibitoren zur Behandlung des Glaukoms befassen und sie in zusätzlichen Tiermodellen testen. Zudem müssen minimal-invasivere Ansätze der Inhibitorabgabe, wie eine orale Verabreichung oder über ein Gel mit langsamer Freisetzung analysiert werden. Um die Patientenpopulation besser zu verstehen, bei der die Hemmung von Galectin-3 ein potenzieller therapeutischer Ansatz wäre, beschäftigen sich laufende Arbeiten mit Augenflüssigkeits- und Serumproben von Glaukom Betroffenen. Bei zum Beispiel erhöhtem Galectin-3 in den Bioflüssigkeiten, könnte dies darauf hindeuten, dass dieser Patient ein Kandidat für die Behandlung mit dem Inhibitor-Medikament sein könnte. Solche Studien können laut den Autoren den Weg ebnen, diese Forschung in klinische Studien am Menschen zu überführen. „Das Glaukom bleibt für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt eine zu Blindheit führende Erkrankung, und diese aufregenden Erkenntnisse von Dr. Margeta, Butovsky und ihrem Team geben einen Einblick in die Rolle genetischer Varianten und das Versprechen der Umsetzung in eine Behandlung für Patienten“, sagte Joan W. Miller, David Glendenning Cogan Professorin für Augenheilkunde und Chair der Augenheilkundeabteilung an der Harvard Medical School sowie Leiterin der Ophthalmologie am Massachusetts Eye and Ear und Massachusetts General Hospital. Originalpublikation: Margeta MA et al. Apolipoprotein E4 impairs the response of neurodegenerative retinal microglia and prevents neuronal loss in glaucoma. Immunity (2022) DOI:https://doi.org/10.1016/j.immuni.2022.07.014
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