Glaukom: Warum weniger Diagnostik und Therapie manchmal besser ist

„Klug entscheiden“ bei Glaukom, um eine Verunsicherung, falsch positive Patienten sowie eine Übertherapie zu vermeiden. Über dieses Thema sprach Prof. Verena Prokosch auf der Hybridpressekonferenz des Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.Foto.©Schulz/Biermann Medizin

Prof. Verena Prokosch erklärte auf der Pressekonferenz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft anlässlich des Jahreskongresses in Berlin warum gerade in der Diagnostik und Therapie des Glaukoms weniger manchmal mehr sein kann.

In der modernen Augenheilkunde stehen beim Glaukom eine Vielzahl hochauflösender diagnostischer Verfahren und differenzierter Therapieoptionen zur Verfügung. Doch nicht jede technologische Möglichkeit bedeutet automatisch einen medizinischen oder patientenzentrierten Fortschritt. „Eine frühzeitige Erkennung ist wichtig. Die Vielzahl der diagnostischen Möglichkeiten führt aber auch zu vielen falsch positiven Patienten. Die Übertherapie stellt beim Glaukom ein echtes Problem dar“, wie Prokosch, Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelles Glaukom am Zentrum für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Köln erklärte.

Diagnose und Therapie gezielt einsetzen

Gerade bei chronischen, langsam progredienten Erkrankungen wie dem primären Offenwinkelglaukom sei es wichtig, diagnostische und therapeutische Maßnahmen gezielt, individualisiert und evidenzbasiert einzusetzen. Auf wiederholte bildgebende Untersuchungen ohne klinisch relevante Fragestellung sowie unnötig engmaschige Kontrollen oder voreilige Eskalationen der Therapie sollten laut der Expertin eher verzichtet werden. Da diese zu unnötigen Verunsicherung bei Patienten führen, die Arzt-Patienten-Beziehung belasten und gesundheitssystemische Ressourcen binden können. „Die Feststellung einer Glaukomerkrankung löst bei vielen Patienten Ängste aus. Man sollte deshalb eher vorsichtig sein mit der Diagnose.“

Lebensqualität sollte im Fokus stehen

Auch in der Glaukomtherapie gelte Prokosch zufolge der Leitsatz: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. „Therapie ist nicht immer sinnvoll. Manchmal ist es besser abzuwarten. Die Lebensqualität sollte hier im Fokus stehen.“ Die Therapie erfordere eine Behandlung mit Augenmaß, Geduld und ein differenziertes Risiko-Nutzen-Abwägen. „Man muss die Patienten individuell betrachten“, wie die Glaukomexpertin betonte.

Gerade in stabilen Fällen, bei älteren Patienten mit begrenzter Progressionswahrscheinlichkeit oder bei nur mildem Druckanstieg, könne ein kontrolliertes Beobachten der bessere therapeutische Weg sein. Prokosch erklärte, dass auch der langfristige Therapieerfolg oft mehr von Adhärenz, Lebensqualität und Nebenwirkungsfreiheit abhänge als von einer Maximaldrucksenkung um jeden Preis.

„Klug entscheiden“ zum Wohle des Patienten

„Klug entscheiden“ heiße hier: individuelle Risikoeinschätzung, partizipative Therapieplanung und kritisches Überdenken der eigenen Interventionsfreude. Nicht jede Progression ist therapiepflichtig – und nicht jede Therapie ist sinnvoll, wie Prokosch unterstrich.

Ein zurückhaltender, aber aufmerksamer Umgang mit Diagnostik und Therapie bedeute nicht Passivität, sondern reflektierte Entscheidung im Sinne des Patientenwohls. „Man muss die Lebenserwartung und das Fortschreiten im Blick haben“, bekräftigte Prokosch. „Klug entscheiden“ bedeute hier, den Verlauf objektiv zu bewerten, funktionelle und strukturelle Parameter im Kontext zu interpretieren und den individuellen Risikoprofilen Vorrang vor pauschalen Algorithmen zu geben. „Wie hoch ist das Risiko wirklich zu erblinden. Wir haben eine Masse an Verfahren, inzwischen mehr als 20, aber manchmal ist weniger doch mehr“, fügte die Expertin hinzu.

Insbesondere in stabilen Verlaufsphasen, bei normwertigem Augendruck oder in Fällen mit begrenzter Lebenserwartung könne laut Prokosch ein Verzicht auf invasive Maßnahmen oder aufwendige Verlaufsdiagnostik nicht nur vertretbar, sondern sinnvoll sein.

Weniger könne in der Glaukomdiagnostik und -therapie also tatsächlich mehr sein – wenn es von klinischer Erfahrung, wissenschaftlicher Evidenz und patientenzentriertem Handeln getragen wird. Weniger Therapie könne beim Glaukom manchmal mehr Lebensqualität und mehr Augenmaß bedeuten, wie Prokosch betonte. (sas/BIERMANN)