Gliazellen helfen dem Gedächtnis auf die Sprünge

Das Gehirn der Maus unfasst rund eine Million Ortszellen. (Foto: © Aliaksei Lasevich – stock.adobe.com)

Eine Studie unter Federführung der Universität Bonn hat in Nagetieren eine weitere Funktion der Gliazellen im Gehirn entdeckt: Demnach spielt ein bestimmter Gliazelltyp eine wichtige Rolle beim räumlichen Lernen.

Jeder Ort hat zahlreiche Charakteristika, die ihn in ihrer Summe unverwechselbar machen: Ein urtümlich gewachsener Baum. Ein plätschernder Bach zu seinen Füßen. Duftende Wildblumen auf der Wiese dahinter. Wenn wir einen Ort das erste Mal besuchen, speichern wir diese Merkmalskombination ab. Wenn wir dem Zusammenspiel aus Baum, Bach und Wildblumenwiese dann ein weiteres Mal begegnen, erkennt unser Gehirn das: Wir erinnern uns, schon einmal dort gewesen zu sein.

Möglich machen das Mechanismen wie die dendritische Integration synaptischer Aktivität. „Wir konnten zeigen, dass die sogenannten Astrogliazellen oder Astrozyten bei dieser Integration eine wesentliche Rolle spielen“, erklärt Prof. Christian Henneberger vom Institut für zelluläre Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Bonn. „Sie regulieren, wie empfindlich Nervenzellen auf eine spezifische Kombination von Merkmalen reagieren.“

Eine Millionen Ortszellen im Mäuse-Hirn

Die Forschenden haben in ihrer Studie Neuronen im Hippocampus von Nagetieren unter die Lupe genommen. „Im Hippocampus gibt es Neuronen, die genau darauf spezialisiert sind – die Ortszellen“, sagt Henneberger. Allein im Hippocampus der Maus gibt es davon rund eine Million. Jede davon spricht auf eine spezifische Kombination von Umgebungsmerkmalen an.

Ortszellen erzeugen in regelmäßigen Abständen Aktionspotenziale. Die Geschwindigkeit, in der sie das tun, kann stark variieren. Wenn sich Mäuse in einer neuen Umgebung orientieren, schwingen sich ihre Ortszellen jedoch stets in einem speziellen Rhythmus ein – sie erzeugen dann fünf bis zehn Spannungspulse pro Sekunde. Dieser Rhythmus bewirkt, dass die Nervenzellen bestimmte Botenstoffe abgeben. Und hier kommen die Astrozyten ins Spiel: Sie verfügen über Sensoren, an die diese Botenstoffe andocken, und geben daraufhin ihrerseits eine Substanz namens D-Serin ab.

„Das D-Serin wandert dann zu den Dendriten der Ortszellen“, erklärt Bohmbach. „Dort sorgt es dafür, dass die dendritischen Spikes leichter entstehen können und zudem deutlich kräftiger ausfallen.“ Wenn Mäuse im Orientierungsmodus sind, fällt es ihnen dadurch leichter, neue Orte abzuspeichern und wiederzuerkennen. Es ist ähnlich wie bei einer Taxifahrerin, die konzentriert durch die Innenstadt navigiert und sich veränderte Örtlichkeiten einprägen muss. Der Passagier neben ihr schaut zwar ebenfalls auf die Straße, ist aber mit den Gedanken woanders und merkt sich weniger (allerdings spielen bei solchen Aufmerksamkeitsphänomenen auch noch ganz andere Prozesse eine Rolle).

„Wenn wir die Hilfe der Astrozyten in Mäusen unterbinden, erkennen sie bekannte Orte seltener wieder“, sagt Henneberger. Das gilt aber nicht für Orte, die besonders relevant sind – etwa weil von ihnen eine potenzielle Gefahr ausgeht: Diese werden von den Tieren weiterhin gemieden. „Der von uns entdeckte Mechanismus steuert also die Schwelle, ab der Ortsinformationen abgespeichert oder wiedererkannt werden.“ Den Forschenden zufolge gewähren die Ergebnisse einen neuen Einblick in die Arbeitsweise und Steuerung des Gedächtnisses. Mittelfristig könnten sie auch zu einer Antwort auf die Frage beitragen, wie bestimmte Formen von Erinnerungsstörungen entstehen, glauben die Wissenschaftler.