Graphen Nanoflocken: ein neues Instrument für die Präzisionsmedizin22. August 2019 Foto: © ParamePrizma – Adobe Stock Ein vom SNF unterstütztes Team hat eine chemische Verbindung entwickelt, die Wirkstoffe gegen Tumore direkt zur Prostata bringt. Sie besteht aus Graphen Nanoflocken, mit jeweils vier angehängten Molekülen. Die Verbindung hemmt die Vermehrung der Zellen, lässt sich durch bildgebende Verfahren im Körper beobachten und verweilt lange im Blutkreislauf. Normalerweise verbreitet sich ein Medikament im ganzen Körper, weshalb ein Grossteil das kranke Gewebe nicht erreicht. Die Präzisionsmedizin soll unter anderem die Effizienz von Wirkstoffen erhöhen, indem diese ausschliesslich zum Zielgewebe gebracht werden. Dazu ist ein massgeschneidertes System zur kontrollierten Freisetzung des Wirkstoffs (Drug Delivery System) erforderlich. Ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstütztes Team verfolgt einen neuen Ansatz mit Nanoflocken aus Graphen (eine regelmässige Anordnung von Kohlenstoffatomen in einer einzelnen Schicht): Indem die Nanoflocken mit bestimmten Molekülen bestückt werden, um Medikamente gezielt an bestimmten Stellen im Körper abzugegeben. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Chemical Science veröffentlicht. Wie Legosteine Dem Team von Jason Holland an der Universität Zürich gelang es, vier Arten von Molekülen an einzelne Graphen Nanoflocken zu heften und diesen dadurch spezifische Fähigkeiten zu verleihen: Wirksamkeit gegen Krebs, Erkennen bestimmter Krebszellen, Sichtbarkeit durch medizinische Bildgebungsverfahren, längerer Verbleib im Blutkreislauf. In einem zweiten Schritt testete das Team alle Funktionalitäten, um zu prüfen, ob sich die neue Verbindung wie erwartet verhält. „Unsere Arbeit zeigt, wie sich Graphen Nanoflocken als flexibler Freisetzungsmechanismus einsetzen lassen“, erklärt die Doktorandin Jennifer Lamb, Erstautorin der Publikation. „Sie funktionieren wie ein Gerüst, das mit massgeschneiderten Komponenten nach dem Legosteinprinzip erweitert werden kann. Möglich ist dies dank ihrer chemischen Struktur: Der Rand der Flocken besteht aus Carboxygruppen (CO2H), an die weitere Moleküle gekoppelt werden können.“ Neue Möglichkeiten in der Krebsbehandlung Zuerst produzierte ein Team am University College in London die Graphen Nanoflocken aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen. Dann bestückte das Zürcher Team einzelne Flocken mit vier Molekülen. Das erste, Ispinesib, ist ein Wirkstoff, der die Zellteilung und somit das Krebswachstumg stoppt. Das zweite Molekül (ein Peptid) bindet an das Prostata-spezifische Membran-Antigene, die bei Prostatakrebszellen in grosser Zahl vorhanden sind. Beim dritten, Deferoxamin, handelt es sich um ein käfigartiges Molekül, das radioaktives Gallium effizient einfängt. Dieses Isotop wird bei der Positronen-Emissions-Tomographie verwendet, einem in der Medizin häufig verwendeten bildgebenden Verfahren. Es hilft bei der Diagnose von Prostatakrebs und lässt überprüfen, dass Nanoflocken zum kranken Gewebe gelangen. Schliesslich liess das Forschungsteam die Verbindung im Blut an Albumin andocken, was eine rasche Filterung durch die Niere verhindert und bewirkt, dass sie länger im Blutkreislauf verbleibt. In einem zweiten Schritt testete das Team die neue Verbindung. Studien an Kulturen von Prostatakrebszellen zeigten, dass deren Teilung und Wachstum tatsächlich gestoppt werden kann. „Bei lebenden Mäusen bestätigten PET-Bilder, dass sich die Verbindung im kranken Gewebe sammelt, jedoch nicht lange genug“, erklärt Jennifer Lamb. „Weil sie sehr klein sind, werden die Konstrukte immer noch so schnell ausgeschieden, dass kein nachhaltiger Behandlungseffekt resultiert. Doch unsere Experimente zeigen Ansätze, mit denen sich die Wirkstoffausscheidung durch veränderte Graphenstrukturen beeinflussen lässt.“ Das Team experimentiert nun mit anderen Kombinationen, bei denen Antikörper statt kleine Peptide eingesetzt werden: Diese binden besser an Krebszellen und sollten länger im Blutkreislauf verbleiben, weil sie grösser sind. „Unsere Arbeit bewegt sich im Bereich der Grundlagenforschung, und es wird noch viel Arbeit nötig sein, bevor wir ein neues Medikament haben“, räumt Projektleiter Jason Holland ein. „Aber die Ergebnisse eröffnen vielversprechende, neue Möglichkeiten für die onkologische Präzisionsbehandlung und die Theranostik. Die Kombination von Behandlung und Diagnose kann dazu beitragen, Krankheiten wirksam und auf die Patienten abgestimmt zu behandeln.“ Diese Forschungsarbeit wurde an der Universität Zürich und am University College London (GB) durchgeführt. Finanziert wurde sie durch den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Krebsliga Schweiz, das EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation Horizon 2020 und die Royal Society.
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