Großbritannien lässt weltweit erste CRISPR-Gentherapie zu

Bild: ©Mopic – stock.adobe.com

Die britische Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (MHRA) hat die erste Therapie auf Basis der Genschere CRISPR/Cas zugelassen. Dabei handelt es sich um die Gentherapie „exa-cel“ gegen Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie (britischer Handelsname: Casgevy).

Exa-cel soll die Patienten von den schwächenden und schmerzhaften Auswirkungen der Bluterkrankungen befreien. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat für die Sichelzellanämie eine Entscheidung für den 8. Dezember angekündigt. Anfang Oktober hatte das FDA-Beratungsgremium bereits die Sicherheit und den klinischen Nutzen der Therapie betont. Über den Einsatz der Therapie gegen die Beta-Thalassämie soll im Frühjahr 2024 entschieden werden. Bei der europäischen EMA läuft derzeit noch ein Bewertungsverfahren für exa-cel.

Die heilende Wirkung beruht z. B. im Fall der Sichelzellanämie maßgeblich auf fetalem Hämoglobin. Zunächst werden den Patienten Blutstammzellen entnommen. Im Labor wird in diesen Stammzellen mit der Genschere CRISPR/Cas gezielt ein Gen zerstört, das die andauernde Produktion von fetalem Hämoglobin hemmt.

Fetales Hämoglobin besitzt eine höhere Sauerstoffaffinität, was im Mutterleib die Sauerstoffaufnahme des Fötus erleichtert. Nach der Geburt wird die Produktion naturgemäß zurückgefahren und zunehmend Hämoglobin A gebildet. Die im Labor modifizierten Blutstammzellen werden den Patienten wieder über die Blutbahn zugeführt.

Im Knochenmark werden daraufhin statt der fehlerhaften die modifizierten Stammzellen hergestellt, die Blutkörperchen mit einem hohen Anteil von fetalem Hämoglobin bilden. Dieses verdünnt bei der Sichelzellanämie das krankmachende Hämoglobin S und verhindert somit aktiv die Formveränderung der roten Blutkörperchen. Für den Erfolg der Behandlung ist allerdings vor der Rückführung der veränderten Stammzellen eine hochdosierte Chemotherapie notwendig, um die verbleibenden falschen Blutstammzellen abzutöten.

Die Zulassungsstudien der beiden federführenden Unternehmen Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics beruhen nur auf wenigen Patienten, bei denen jedoch vielversprechende Ergebnisse erzielt werden konnten1. Im Fokus der Arzneimittelbehörden stehen derweil Bedenken, inwieweit durch die CRISPR-Technik auch unbeabsichtigt weitere Genabschnitte verändert werden können. Dass dies grundsätzlich möglich ist, haben Studien bereits gezeigt2.

Prof. Selim Corbacioglu, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Universitätsklinikum Regensburg, erklärte zur Eignung der CRISPR-Gentherapie bei Bluterkrankungen gegenüber dem Science Media Center (SMC), Köln: „Erkrankungen wie die Sichelzellanämie oder auch die ß-Thalassämie kommen vergleichsweise häufig vor. An ihnen leidet eine nennenswerte Zahl an Patienten. Darum sind diese Leiden für die Pharmahersteller natürlich von Interesse. Warum klappt CRISPR in diesen Fällen so gut? Bei diesem CRISPR-basierten Konzept handelt es sich ja nicht um eine echte Genreparatur, sondern es ist eine Gentherapie, bei der man ein bestimmtes Gen kaputt macht. Das hat zur Folge, dass eine genetisch gesunde Hämoglobinvariante, das fetale Hämoglobin, wieder aktiviert wird, sodass man den Gendefekt der Sichelzellanämie und der ß-Thalassämie quasi umgeht.“

„Wir haben hier bei uns in Regensburg im Rahmen der CRISPR-Zulassungsstudie weltweit den ersten Patienten mit CRISPR behandelt und sind vermutlich das größte Zentrum Deutschlands für die kuraktive Behandlung von Sichelzellpatienten im Kindes- und Erwachsenenalter. Der große Vorteil der CRISPR-Therapie ist, dass es anders als bei der Stammzelltransplantation weder eine Immunreaktion des Körpers (die zu einer Abstoßung führt) noch eine Immunreaktion des Spenders gibt (die Graft-versus-Host Erkrankung) gibt. Denn es sind ja die eigenen Zellen, die zurück in den Körper kommen.

In den aktuellen Studien der Hersteller benötigte ein Großteil der Probanden mit ß-Thalassämie am Ende des Studienzeitraums keine Bluttransfusionen mehr bzw. hatten Sichelzellpatienten auch keine Schmerzkrisen mehr. Hier ist allerdings anzumerken, dass der Nachbeobachtungszeitraum vergleichsweise kurz ist. Nebenwirkungen sind weiterhin denkbar. Wir wissen einfach noch nicht, ob die Patienten womöglich nach einigen Jahren plötzlich doch wieder Transfusionen benötigten oder Schmerzkrisen bekommen, weil die Zellen verschwunden sind.“

Hürden des CRISPR-Ansatzes

Zu den Hürden dieses Therapieansatzes führte Corbacioglu aus: „Wir können nicht zu 100 Prozent sicherstellen, dass durch die Genschere nicht auch andere DNA-Abschnitte verändert werden. Aktuell müssen wir uns darauf ein Stück weit verlassen. Die CRISPR-Therapie ist auch nicht ,mal eben‘ durchführbar. Der Therapie muss eine Chemotherapie mit all ihren bekannten Nebenwirkungen vorweg gehen. So verlieren die Patienten bspw. ihre Fruchtbarkeit. Die Herstellung der Zellen ist sehr aufwendig, sodass die Laborstrukturen dafür momentan auch noch nicht zufriedenstellend ausgebaut sind. Zudem ist die Therapie sehr teuer: Mehr als zwei Millionen Euro soll sie pro Patient kosten. Die Stammzelltransplantation liegt bei maximal 300.000 Euro. Dadurch, dass zum Start erst einmal nur eine Firma die Therapie anbieten wird, dürfte sich der Preis so schnell auch nicht verändern.“

Sein Ausblick: „Die CRISPR-Therapie wird auf absehbare Zeit nicht die Stammzelltransplantation ersetzen, sondern sie ergänzen. Spannend für die Klinik sind vor allem Verfeinerungen des CRISPR-Ansatzes. Denn die klassische Genschere verursacht Doppelstrangbrüche der DNA, welche dann zu Leukämien führen könnten. Weiterentwicklungen der Genschere greifen nur an einem Strang der DNA an (das sogenannte base editing; Anm. d. Red.). Die körpereigenen Reparaturmechanismen verändern dann auch den anderen Strang. Sehr subtil und elegant.“

Das SMC bat auch PD Dr. Joachim Kunz, Oberarzt der Klinik für pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie sowie ärztlicher Leiter der Spezialsprechstunde für seltene Anämien und Hämoglobinkrankheiten, Universitätsklinikum Heidelberg, um eine Stellungnahme. Zur
Eignung der CRISPR-Gentherapie bei Bluterkrankungen erklärte er: „Mithilfe der CRISPR-Therapie kann die Produktion von fetalem Hämoglobin auch jenseits des Neugeborenenalters wieder so weit angekurbelt werden, dass die roten Blutkörperchen ihre Funktion wieder erfüllen können und die Symptome der Sichelzellkrankheit verschwinden. Bei der Thalassämie kann die Gentherapie erreichen, dass die Patienten selbst wieder Blut bilden können und keine Transfusionen mehr benötigen. […] Bei dieser Gentherapie werden nur die blutbildenden Stammzellen verändert. Diese muss man erst einmal in ausreichender Zahl und Qualität vom Patienten gewinnen. Dafür erhält der Patient Medikamente, die diese Stammzellen in das Blut ausschwemmen. Die Stammzellen werden dann mit einem Verfahren ähnlich einer Blutwäsche gewonnen. Im Labor wird mit CRISPR das entsprechende Gen inaktiviert. Dieser Vorgang ist extrem komplex, erfordert eine aufwendige Logistik und wird absehbar aufgrund der benötigten Ressourcen nicht unbegrenzt skalierbar sein, sondern nur für eine begrenzte Zahl von Patienten pro Jahr zur Verfügung stehen.“

„Der Zeitpunkt der Therapie ist entscheidend. Bereits eingetretene Organschäden durch die Sichelzellkrankheit können durch die CRISPR-Therapie nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die Behandlung muss also beginnen, bevor solche nicht wieder gut zu machende Schäden eingetreten sind, die gemeinsam mit der Chemotherapie im ungünstigsten Fall zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen könnten. Für die Patienten ist wichtig, dass durch diese Gentherapie nicht die DNA verändert wird, die für die Vererbung wichtig ist. Das Sichelzellmerkmal kann also weiterhin auf die Nachkommen vererbt werden.“

„Die aktuellen klinischen Studien zur CRISPR-Therapie sind vielversprechend, aber selbst die zuerst behandelten Patienten wurden erst etwa vier Jahre nachbeobachtet. Auch wenn es bisher keine Hinweise darauf gibt, könnte es sein, dass die Wirkung der Gentherapie über die Jahre nachlässt, weil bspw. die Lebensdauer der manipulierten Blutstammzellen verkürzt ist. Darüber hinaus ist das fetale Hämoglobin nicht so perfekt für den Erwachsenen optimiert wie das reguläre adulte Hämoglobin. Werden Frauen nach der Gentherapie schwanger, kann die Sauerstoffversorgung des ungeborenen Kindes vermindert sein, weil das mütterliche Hämoglobin den Sauerstoff nicht leicht genug abgibt.“

Sein Ausblick: „Die Gentherapie mittels CRISPR ist trotz ihrer Limitationen hoch willkommen, weil aktuell für nur rund 20 Prozent der Patienten mit Sichelzellkrankheit ein geeigneter Stammzellspender für eine Transplantation zur Verfügung steht. Die Kosten der CRISPR-Therapie werden aber die Anwendung beschränken. Die Rede ist von 1,5 bis 2 Millionen Euro pro Patient. In Deutschland leben geschätzt 3000 bis 4000 Patienten mit Sichelzellanämie. Davon kämen aufgrund des Alters etwa 500 bis 1000 für die CRISPR-Therapie infrage. Damit kämen allein in Deutschland Kosten von ein bis zwei Milliarden Euro auf die Krankenkassen zu. Dem stehen zwar Einsparungen gegenüber, weil die Patienten nicht mehr wegen der Komplikationen der Sichelzellkrankheit behandelt werden müssten. Diese werden aber auch im günstigen Fall erst nach Jahrzehnten die einmaligen Kosten der Gentherapie aufwiegen.“

„Die Gentherapie mittels CRISPR ist nicht die erste Gentherapie, die bei Sichelzellkrankheit und Thalassämie mit Erfolg eingesetzt wird. 2022 kam hierzulande bereits eine Gentherapie gegen die ß-Thalassämie auf den Markt. Hierbei wurden funktionale Kopien eines modifizierten Globin-Gens mithilfe eines lentiviralen Vektors in die Stammzellen eingebracht. Aus Sicht des Patienten funktioniert diese Gentherapie ähnlich wie die durch CRISPR. Insgesamt neun Patienten wurden über ein Jahr mit dieser lentiviralen Gentherapie geheilt. Allerdings hat sich das Unternehmen, das diese Therapie angeboten hat, vom deutschen Markt zurückgezogen, weil in den Verhandlungen mit den Kostenträgern nicht der erwünschte Preis erzielt werden konnte. Auch bei der CRISPR-Therapie wird es eine Diskussion darüber geben, welchen Preis die Solidargemeinschaft der Krankenkassen bereit ist zu zahlen und welche Patienten in Anbetracht der voraussichtlich limitierten Verfügbarkeit mit Priorität behandelt werden.“