Heilsames Klettergerüst für Nervenzellen

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme eines verletzten Gesichtsnerv (grün), welcher mit Nanofibrillen behandelt wurde (rot). Die Nanofibrillen haften in der Läsionsstelle zwischen den beiden Nervenden. (Aufnahme: Corinna Schilling)

Chemiker der Universität Ulm und des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung haben Nanofibrillen aus Peptiden identifiziert, die bei der Heilung verletzter Nerven des Peripheren Nervensystems helfen. Diese faserbildenden Eiweißverbindungen fördern sowohl Wachstum und Regeneration der Neuronen als auch deren Anhaftung.


Werden bei einem Unfall Nervenfasern durchtrennt, ist die ruhige Hand eines Neurochirurgen gefragt: Die offenliegenden Nervenenden müssen wieder miteinander verbunden werden. Doch es gibt auch Biomaterialien, die ein enormes Potenzial zur Regeneration von verletztem Nervengewebe haben. Neu entdeckte Nanofibrillen aus Peptiden fördern sowohl Wachstum und Regeneration von Neuronen als auch deren Anhaftung.

„Bei diesen Nanofasern handelt es sich um künstlich hergestellte Formen von bestimmten selbstfaltenden Eiweißstrukturen, die sich selbst zu faserartigen Strukturen organisieren“, erklärt Prof. Tanja Weil, die für die Synthese der Peptid-Nanofibrillen (PNF) verantwortlich ist. Sie forscht am Institut für Anorganische Chemie I der Universität Ulm und als Direktorin am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz an bioaktiven Nanofibrillen und deren Anwendungen in der Medizin.

Gerüst für den neuronalen Lückenschluss

Gemeinsam mit Forschern des Ulmer Instituts für Physiologische Chemie und der Universität Cambridge ist es nun gelungen, Peptid-Nanofibrillen zu identifizieren, die ein hohes Potenzial für die Regeneration von Neuronen des Peripheren Nervensystems haben. „Diese Nanofibrillen bilden eine Art bioaktive Matrix oder Unterlage und dienen den neugebildeten Nervenzellen sozusagen als Gerüst für den neuronalen Lückenschluss“, sagt Prof. Bernd Knöll vom Institut für Physiologische Chemie, der gemeinsam mit Weil die Studie koordiniert hat.

Peptidverbindungen, die sich aufgrund ihrer Beschaffenheit und Struktur von selbst zu bestimmten makromolekularen Strukturen formieren, also die sogenannten „Self-assembling peptides“ (SAPs), werden bereits in Gehirn und Rückenmark auf ihr regeneratives Potenzial zur Behandlung von Verletzungen des Zentralen Nervensystems erforscht. Die Ulmer Studie untersucht nun erstmals den Einsatz solcher Biomaterialien bei Verletzungen des Peripheren Nervensystems. „Im Gegensatz zu anderen Ansätzen brauchen wir dafür weder spezielle Röhrchen oder Hydrogele. Stattdessen können wir diese faserbildenden Peptidverbindungen direkt in die Wunde einbringen“, erklärt das Ulmer Forscherteam.

Die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützen

Getestet wurden für die Studie bestimmte SAPs mit kurzen Peptidsequenzen und einer speziellen Neigung, sich zu einer sogenannten ß-Faltblatt-Struktur zu organisieren. Die so entstehenden Nanofibrillen sind besonders „klebrig“ und sorgen so für eine gute Anhaftung an die Nervenzellen. Die dafür künstlich synthetisierten Peptid-Strukturen gelten als biomimetisch, weil sie in Aufbau und Zusammensetzungen bestimmten körpereigenen Eiweißverbindungen ähneln.

Dass diese speziellen Nanofibrillen tatsächlich in der Lage sind, die Heilung verletzter Nerven des Peripheren Nervensystems zu fördern, untersuchten die Wissenschaftler nicht zuletzt anhand eines Gesichtsnerv-Modells bei Mäusen. Hierfür haben die Forscher die Nervenfasern der Motoneuronen der Tasthaare durchtrennt und das verletzte Nervengewebe direkt mit den speziellen Peptid-Nanofasern behandelt. Mithilfe von Hochgeschwindigkeitskameras wurde schließlich die Beweglichkeit der Tasthaare gemessen. Einmal direkt nach der Operation, dann nach sieben Tagen und schließlich nach drei Wochen. Dabei zeigte sich, dass die Regeneration der Schnurrhaarbewegung besser ablief, wenn die Mäuse mit den SAPs behandelt wurden.

Sicherlich werden solche bioaktiven Spezialmaterialien den neurochirurgischen Eingriff nicht ersetzen können. „Aber möglicherweise können diese Peptid-Nanofasern dabei helfen, die Selbstheilungskräfte des Organismus für die Regeneration von mechanischen Nervenschäden besser zu nutzen“, sagt Corinna Schilling, Doktorandin aus der Arbeitsgruppe Knöll.

Originalpublikation:
Schilling C., Mack, T. et al.: Sequence-Optimized Peptide Nanofibres as Growth Stimulators for Regeneration of Peripheral Neurons.  Advanced Functional Materials, 15. April 2019