Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Harnsäure schon im Normbereich ein unterschätzter Risikofaktor – Frauen stärker betroffen

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Eine aktuelle Studie der Universitätsmedizin Halle hat herausgefunden, dass Harnsäurewerte sogar im Normbereich ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein können.

„Die Meisten denken bei Harnsäure an Gicht und einen dicken Zeh. Doch diese Sichtweise ist sehr einseitig, denn evolutionär gesehen bot sie einst einen physiologischen Vorteil in Zeiten der Salzknappheit. Aufgrund unseres modernen Lebensstils gelten hohe Harnsäurewerte heute als Risikofaktor für Gefäßerkrankungen, die wiederum mit Bluthochdruck und Organschäden einhergehen können“, erklärt Prof. Michael Gekle, Letztautor der neuen Studie und Direktor des Julius-Bernstein-Instituts für Physiologie an der Universitätsmedizin Halle.

Bislang war unklar, wie genau das Risiko für Gefäßerkrankungen mit Harnsäure verknüpft ist. Dieser Frage ist ein Studienverbund aus Wissenschaftlern der Physiologie, Nephrologie, Biometrie, Biobank und der Arbeitsgruppe Digitale Forschungsmethoden der Universitätsmedizin Halle sowie des ansässigen NAKO-Studienzentrums nachgegangen. Die Forschenden untersuchten die Harnsäurekonzentration im Blutserum von 70.649 Teilnehmenden der NAKO Gesundheitsstudie im Alter von 19 bis 74 Jahren im Zusammenhang mit deren Gefäßsteifigkeit. Dafür wurde die Pulswellengeschwindigkeit gemessen. Die neuen Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal „BMC Medicine“ veröffentlicht.

Grenzwerte überdenken?

Neun von zehn der analysierten Personen lagen beim Harnsäurewert im Normbereich. Doch: „Bereits im physiologischen, also als unbedenklich geltenden Konzentrationsbereich, war Harnsäure positiv mit der Gefäßsteifigkeit und daher mit dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft. Dieser Zusammenhang war bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern“, so Gekle.

Deshalb müssten die bisherigen Harnsäure-Grenzwerte überdacht werden, so die Autoren. Diese liegen derzeit für Frauen bei 140-360 µmol/l und für Männer bei 180-420 µmol/l. „Als die Grenzwerte festgelegt wurden, war der Zusammenhang mit der Gefäßsteifigkeit als Risikofaktor noch nicht bekannt. Es ist möglich, dass die anzustrebenden Konzentrationsbereiche deutlich enger gefasst werden müssen als bisher angenommen“, so Prof. Oliver Thews, Erstautor der Studie und Facharzt für Physiologie an der Universitätsmedizin Halle. Laut einer Schätzung des Studienteams entspricht eine Erhöhung der Harnsäurekonzentration um 100 µmol/l einer Gefäßalterung von etwa sieben Jahren bei Frauen bzw. vier Jahren bei Männern.

Präventive Therapie im Normbereich denkbar

Es gibt weitere Geschlechterunterschiede: Frauen weisen grundsätzlich eine niedrigere Pulswellengeschwindigkeit auf. Zudem hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass eine Harnsäuretherapie bei Frauen mit hohen Werten besser wirkt als bei Männern. „Der Körper scheidet Harnsäure über die Nieren abhängig vom Geschlecht unterschiedlich aus. Eventuell hat der Anstieg der Harnsäure bei Frauen deshalb einen stärkeren Effekt. Möglicherweise lassen sich die Beobachtungen auch durch verschiedenartige molekulare Signalwege zwischen den Geschlechtern erklären“, so Thews weiter.

Die Erkenntnisse legen laut den Autoren der neuen Studie nahe, dass eine vorbeugende Therapie mit harnsäuresenkenden Medikamenten unter Umständen bereits bei „normalen“ Werten sinnvoll sein könnte. Insbesondere Frauen mit weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, wie beispielsweise Übergewicht oder Stoffwechselerkrankungen, könnten dadurch gesundheitlich profitieren. In der Studie, in der ein großer Datensatz ausgewertet wurde, konnte außerdem ein maschinelles Lernverfahren (Random Forest) zum Einsatz kommen, um bisher unbekannte Risikofaktoren für Gefäßsteifigkeit zu identifizieren und zu gewichten. Dabei lag Harnsäure noch vor Aspekten wie Rauchen, Langzeitblutzucker und Alkoholkonsum.

Zusammenhang zwischen Harnsäure und Gefäßsteifigkeit

Die Studie deckt einen klaren Zusammenhang zwischen Harnsäure und Gefäßsteifigkeit auf – der Beweis für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung steht allerdings noch aus: „Wir haben jetzt eine mechanistische Erklärung dafür, warum Harnsäure als kardiovaskulärer Risikofaktor gilt. Um den kausalen Zusammenhang zu klären, sind jedoch weitere Untersuchungen nötig, beispielsweise experimentelle Studien mit primären Gefäßzellkulturen beider Geschlechter oder interventionelle Studien am Menschen“, berichtet Gekle.

Das Forschungsteam arbeitet bereits an einer Folgeuntersuchung mit rund 7.000 Teilnehmenden des NAKO-Studienzentrums Halle. Dafür wurden Daten zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben und zusätzliche Parameter einbezogen.