High-Tech-Video-Optimierung im Gehirn: Wie Säugetiere trotz Bewegung scharfe Bilder sehen

Eine In-vivo-Bildgebungseinrichtung. Reflexionen der Co-Erstautoren Tomas Vega-Zuniga und Olga Symonova im Spiegel des Virtual-Reality-Systems, das Teil eines Zwei-Photonen-Mikroskops ist. Dieses System ermöglicht die In-vivo-Bildgebung der Gehirne.©ISTA

Warum bleiben unsere mentalen Bilder auch dann scharf, wenn wir uns schnell bewegen? Ein Team von Neurowissenschaftlern hat im Tierversuch einen Mechanismus identifiziert, der visuelle Verzerrungen korrigiert, die durch die Bewegungen des sehenden Tieres verursacht werden.

Die Studie, die an Mäusen durchgeführt wurde, identifiziert eine Kernfunktion, die auf das visuelle System von allen Wirbeltieren, einschließlich Primaten wie Menschen, übertragen werden kann. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ veröffentlicht.

Action-Kameras sind darauf ausgelegt, Aufnahmen zu machen, die einen im Zentrum des Geschehens wähnen. Dennoch hängt die Videokamerabranche immer noch den Fähigkeiten des menschlichen Auges hinterher. Nachdem wir die Qualität des Filmmaterials und den Bedarf an ausgefallener Ausrüstung und Optimierungssoftware anhand der Fähigkeiten des menschlichen Auges beurteilen, stellt sich eine Frage: Wie können unsere Augen das so gut machen?

Forscher unter der Leitung von Prof. Maximilian Jösch am Institute of Science and Technology Austria, Klosterneuburg, Österreich, (ISTA) haben diese Frage nun mit Hilfe moderner Technik beantwortet. Die drei Erstautoren Tomas Vega-Zuniga, Anton Sumser und Olga Symonova kombinierten eine Reihe von Techniken, um eine Gehirnregion in der Maus zu identifizieren, die Verzerrungen im visuellen Signal während der Bewegung vorhersagen und ausgleichen kann. Diese Hirnregion befindet sich tief im Gehirn und kopiert buchstäblich die motorischen Befehle des Gehirns, um bewegungsinduzierte Verzerrungen zu minimieren. „Wir zeigen, dass die Bildkorrektur sehr früh während der visuellen Verarbeitung stattfindet – bevor die Informationen an andere Bereiche des Gehirns weitergeleitet werden, die bekanntermaßen komplexere visuelle Merkmale darstellen“, erörtert Jösch. „Damit zeigen wir, dass das Gehirn von Säugetieren Strategien entwickelt, um Bewegungen effizient auszugleichen, indem es deren Auswirkungen auf das Sehen vorhersagt.“

Formel-1-Filmmaterial ohne Nachbearbeitung

Die Wissenschaftler stellten fest, dass der seitliche Kniehöcker im Thalamus (Englisch, „ventral lateral geniculate nucleus“ vLGN) für eine Art eingebautes Hightech-Videobearbeitungs-Programm im Gehirn verantwortlich ist. Sie fanden heraus, dass dieser eine Vielzahl von motorischen und sensorischen Signalen aus dem gesamten Gehirn integriert und als Drehscheibe für die Berechnung eines umfassenden Korrektursignals dient. Zum Beispiel „schärfe“ der seitliche Kniehöcker die visuellen Signale, sobald sich das Auge bewegt. Dadurch könnten die späteren Phasen der visuellen Verarbeitung viel effizienter berechnet werden. „Denken Sie an Strategien für gute Videoaufnahmen während eines Formel-1-Rennens. Da sich die Autos so schnell bewegen, muss die Belichtungszeit verkürzt werden, damit das endgültige Filmmaterial nicht zu unscharf wird“, erklärt Jösch. Solche Aufnahmen könnten ohne jegliche Nachbearbeitung live im Fernsehen übertragen werden. Das sei in etwa das, was der seitliche Kniehöcker tue, um uns zu helfen, unsere eigene Bewegung von der der Welt um uns herum zu unterscheiden. Allerdings, im Gegensatz zu einer stationären Kamera, die die vorbeirasenden Autos zeigt, verarbeite der seitliche Kniehöcker Signale ähnlich wie die ‚Fahrerauge‘-Kamera in der Formel 1. Dazu gleiche er die Bewegung dynamisch aus, um das Bild zu stabilisieren.

Eine unentdeckte Kernfunktion des Gehirns

Frühere Arbeiten suchten, den Forschern zufolge, bereits nach einem Mechanismus, der das Sehen während der Bewegung effektiv anpasst. Die sakkadischen Augenbewegungen bei Primaten wurden in diesem Zusammenhang besonders untersucht. Diese Untersuchungen konzentrierten sich jedoch, so heißt es weiter, auf Strukturen in der Großhirnrinde, die viel später im visuellen Verarbeitungsprozesses zum Tragen kämen. Unser sensorisches System werde hingegen ständig mit unterschiedlichen Bewegungsarten stimuliert. Je früher also das Gehirn Bewegungen beim Sehen kompensieren kann, desto besser, erklärt Jösch. „Unsere Ergebnisse wurden wahrscheinlich bisher nicht beobachtet, weil frühere Arbeiten sich mit Phasen der visuellen Verarbeitung befasst haben, in denen das Bild bereits korrigiert wurde.“ Die ISTA-Forscher nehmen nun an, dass ihre Erkenntnisse über den seitlichen Kniehöcker bei Mäusen eine zentrale Funktion im Säugetiergehirn darstellen. „Ähnliche Strukturen gibt es auch bei Primaten, und das ist sehr wahrscheinlich auch beim Menschen der Fall. Das macht unsere Ergebnisse besonders spannend“, betont Jösch.

Ein Virtual-Reality-System zur Abbildung des Gehirns in vivo

Das Team am ISTA verwendete Technologien, etwa ein speziell angefertigtes Zwei-Photonen-Kalzium-Bildgebungsmikroskop. Diese Technik ermögliche es, die Aktivität der Neuronen im seitlichen Kniehöcker im intakten Gehirn zu messen, während die Mäuse wach sind und mit einem Virtual-Reality-System interagieren. „Mit diesem Aufbau können wir in das Gehirn einer Maus schauen und die Aktivität der Neuronen im seitlichen Kniehöcker beobachten, während die Maus durch eine virtuelle Welt wandert“, berichtet Jösch. Mit dieser Methode entdeckte das Team, dass der seitliche Kniehöcker sehr spezifische Kopien von Verhaltensanweisungen erhält, die dazu verwendet werden könnten, visuelle Verzerrungen zu korrigieren. „Diese Arbeit war eine echte technische Meisterleistung, bei der mehrere Ansätze verwendet wurden, um ein umfassendes Verständnis der Rolle des seitlichen Kniehöckers im Mäusegehirn zu erlangen“, so Jösch. „Wir sind gespannt, wohin uns die Fortsetzung dieser Arbeit führen wird.“