Hirnscan als BMI-Orakel für psychisch kranke Menschen

Symbolbild: Mit einer simplen Standard-MRT-Aufnahme des Gehirns könnte sich künftig vorhersagen lassen, welche psychisch kranken Menschen nach ihrer Erstdiagose zunehmen werden und damit ihr Risiko für körperliche Erkrankungen erhöhen – und welche nicht. (Bild: © Teeradej/stock.adobe.com)

Eine Standard-MRT des Gehirns könnte künftig vorhersagen, welche psychisch kranken Menschen nach der Erstdiagnose an Gewicht zunehmen. Dies zeigen Ergebnisse einer neuen Studie, die in „Nature Mental Health“ veröffentlicht wurde.

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sterben im Durchschnitt zehn bis 15 Jahre früher – meist aufgrund körperlicher Leiden, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Studienleiter Prof. Nikolaos Koutsouleris von der LMU München betont daher die Bedeutung der Kontrolle von Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen und Übergewicht. „Deshalb“, erklärt der Professor für Präzisionspsychiatrie, „lohnt es sich, dass die Patienten auf Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen oder Übergewicht respektive Fettleibigkeit achten.“

Zwar sei noch nicht vollständig geklärt, warum so viele psychisch Kranke zunehmen. „Neben den bekannten Nebenwirkungen bestimmter Medikamente vermuten wir aufgrund einiger Befunde, dass das mit Gehirnveränderungen zu tun hat, die wiederum mit der psychischen Erkrankung zusammenhängen“, erläutert Koutsouleris. Der Wissenschaftler fragte sich daher, ob sich diese Gehirnveränderungen – im Sinne eines Orakels – nutzen lassen, um bei der Erstdiagnose zu prognostizieren, bei welchen Betroffenen in der Folgezeit der Body-Mass-Index (BMI) steigen wird.

Machine-Learning-Modell als BMI-Orakel

Um ein solches Orakel zu etablieren, entwickelten die Forschenden für ihre Studie in einem ersten Schritt ein Machine-Learning-Modell. Diese Art der Künstlichen Intelligenz trainierten sie mit MRT-Bildern von Gehirnen gesunder Menschen. Das Modell sollte anhand der Hirnscans selbstständig lernen, das individuelle Gewicht der Personen zu bestimmen. „Und unser Algorithmus schafft das recht gut“, freut sich der Münchner Psychiater.

Im zweiten Schritt wendeten die Forschenden ihr System dann auf die MRT-Hirnscans von Patienten mit psychischen Erkrankungen an. „In diesen Fällen hat unser Prognose-Modell systematische Fehler gemacht. Es hat das Gewicht der dazugehörigen Patienten falsch ermittelt“, erklärt Koutsouleris. „Bei Vorliegen einer Schizophrenie zum Beispiel hat es das Gewicht überschätzt, weil bestimmte Hirnregionen dieser Menschen kleiner sind als üblich. Dieses System steuert maßgeblich unser Essverhalten“, erläutert der Psychiater weiter, „und unser Vorhersagemodell hatte zuvor bei den gesunden Leuten gelernt: Weniger Volumen in diesen Gehirnregionen bedeutet höheres Gewicht.“ Schizophrenie-Patienten haben bei Erstdiagnose zwar kleinere Hirnvolumina, aber nicht zwingend einen höheren BMI.

Im dritten Schritt verfolgten die Forschenden den BMI der Patienten nach der Erstdiagnose und der anfänglichen Gewichtseinschätzung über ein Jahr. „Und da sehen wir, dass tatsächlich jene Patienten stark zunehmen, bei denen sich unser KI-Modell in Richtung eines zu hohen BMIs verschätzt hatte.“ Das ist vor allem bei Schizophrenie-, aber auch bei Depressionspatienten der Fall. Koutsouleris führt aus: „Die Differenz zwischen dem geschätzten und dem wirklich beobachteten BMI, der sogenannte BMI-Gap, hat eine Vorhersagekraft für die weitere Gewichtsentwicklung der Patienten.“

Der Nutzen für die Patienten

Mit diesem BMI-Orakel bietet sich den Forschenden zufolge die Chance einer gezielten Prävention, um eine zukünftige Gewichtszunahme zu verhindern. „Wir können versuchen, die betreffenden Personen zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen, können zum Beispiel sagen: Versuchen Sie doch mal ein Gewichtsreduktionsprogramm, machen sie mehr Sport, ernähren Sie sich gesünder“, erklärt der Psychiater. „Oder wir können Medikamente wie Metformin geben, die das Risiko für Stoffwechselerkrankungen reduzieren oder verhindern. Damit wäre viel gewonnen, zumal es Hinweise gibt, dass mit weniger Gewichtszunahme Entzündungsprozesse im Gehirn weniger aktiv sind und damit auch weniger psychiatrische Symptome im Krankheitsverlauf einhergehen.“

Sobald das neue Tool durch zusätzliche Parameter wie die individuelle Genetik der Patienten oder Blutwerte wie Cholesterin verfeinert und damit noch genauer ist, soll es allen Ärzten für die Bestimmung des BMI-Gap zur Verfügung gestellt werden.