Hirnschrittmacher stärkt die Impulskontrolle

Prof. Lars Timmermann (Foto: UKGM Marburg)

Ob Spielsucht, Hypersexualität oder Fressattacken – Parkinsonkranke zeigen unter tiefer Hirnstimulation eine bessere Impulskontrolle als unter rein medikamentöser Behandlung. Zu diesem Ergebnis kommt ein deutsch-französisches Konsortium in einer umfangreichen Studie, an der auch ein Team der Philipps-Universität beteiligt ist.

Mehr als vier Millionen Menschen weltweit leiden an der Parkinson-Krankheit, die damit eine der häufigsten neurologischen Störungen ist. „Aufgrund des zunehmenden Altersdurchschnitts ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Betroffenen sich bis zum Jahr 2030 auf weltweit 8,7 Millionen verdoppelt“, sagt der Marburger Neurologe Prof. Lars Timmermann, der dem Steuerungskomitee für die Studie angehört.

„Durch moderne Medikamente sind die Symptome gut zu behandeln“, erklärte Timmermann weiter. Allerdings bewirken die Arzneimittel oftmals schwerwiegende Verhaltensstörungen, gerade bei jungen Patienten: Der Neurologe nennt Spielsucht, zu viel Lust auf Sex, Fressattacken und krankhaften Kaufrausch als Beispiele.

Ein Hirnschrittmacher zur Behandlung der klassischen motorischen Symptome des Morbus Parkinson erlaubt es, die Medikamentenverabreichung erheblich zu reduzieren. „Wir wollten herausfinden, ob sich damit auch Verhaltensstörungen verringern“, erkärte Koautorin Carmen Schade-Brittinger, die das Koordinierungszentrum für Klinische Studien der Philipps-Universität Marburg leitet.

Schon vor fünf Jahren hatte die „EARLYSTIM“-Studie gezeigt, dass sich die Lebensqualität von Parkinsonpatienten verbessert, wenn sie zusätzlich zu Medikamenten frühzeitig Hirnstimulationen erhielten. Die Forschungsgruppe nahm sich die Daten nunmehr erneut vor. Um die Verhaltensänderungen der Patienten zu messen, griff sie auf einen neu entwickelten psychiatrischen Bewertungsmaßstab zurück, den „Ardouin Scale of Behavior in Parkinson’s Disease“. Die Ergebnisse sprechen für sich: Verhaltensauffälligkeiten der Patienten verringern sich, ohne dass diese vermehrt das gegengerichtete Verhalten zeigen, etwa Apathie, Depression oder Ängstlichkeit.

„Unsere Befunde erlauben einen Kurswechsel in der Behandlung“, schlussfolgerte Timmermann: Während bislang jede Form von Verhaltensstörung als Hindernis für chirurgische Eingriffe gegolten habe, sollte ein Kontrollverlust eher dazu führen, Parkinsonpatienten eine Tiefenstimulation angedeihen zu lassen.

„Die Ergebnisse sind aufschlussreich, weil sie nahelegen, dass die tiefe Hirnstimulation des Subthalamus selbst nicht zu Verhaltensstörungen führt“, bestätigen die Neurowissenschaftler Angelo Antonini und Jose Obeso in einem Kommentar zu der Studie.

„Der Erfolg einer Hirnschrittmacher-Behandlung ist immer abhängig von einer optimalen Operation“, ergänzte Prof. Christopher Nimsky, der die Marburger Neurochirurgie leitet, an der solche Eingriffe vorgenommen werden. Timmermann gibt außerdem zu bedenken, dass die Studien-Ergebnisse bei Patienten unter 61 Jahren erzielt worden seien. „Ob die Resultate auf alle Altersgruppen zu übertragen sind, ist in künftigen Studien zu überprüfen.“

Originalpublikation:
Lancet Neurology 2018;17(3):223–231.