Hypercholesterinämie: Versorgungsrealität in Deutschland25. April 2025 Symbolfoto: ©vchalup/stock.adobe.com Neue Daten des Versorgungsforschungsprojekts LipidSnapshot zeigen: In Deutschland ist mit Blick auf die Zielwert-Einstellung des LDL-Cholesterins noch viel zu tun – sowohl in der fach- als auch in der hausärztlichen Versorgung. Die Hypercholesterinämie ist der Hauptrisikofaktor für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD). Zur Ereignisprävention wird eine Senkung des LDL-Cholesterinspiegels empfohlen. Doch über den Zielwert scheiden sich unter deutschen Medizinern die Geister. Während die Nationale VersorgungsLeitlinie zur chronischen Koronaren Herzkrankheit (NVL Chronische KHK) – mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) – einen Zielwert von <70 mg/dl anstrebt, wird von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) sowie von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) der von der ESC/EAS-Leitlinie zum Management von Dyslipidämien empfohlene Zielwert von <55 mg/dl anerkannt. Die Empfehlungen zur Testung auf Lipoprotein(a) (kurz: Lp[a]) unterscheiden sich ebenfalls zwischen den nationalen (Testung wird nicht empfohlen) und den europäischen Leitlinien (Testung wird mindestens einmal im Leben empfohlen) – und damit zwischen den hiesigen Fachgesellschaften. Unter anderem aufgrund dieser Diskrepanz haben weder DGK noch DGIM in einem bislang beispiellosen Verfahren die im letzten Jahr aktualisierte NVL nicht konsentiert (wir berichteten). Erhebung bei niedergelassenen Kardiologen versus Allgemeinmedizinern Die Abweichungen spiegeln sich auch in der deutschen Versorgungsrealität wider, wie aktuelle Daten des Forschungsprojekts LipidSnapshot verdeutlichen, die von Prof. Oliver Weingärtner, Universitätsklinikum Jena, und Studienleiter Dr. Winfried Haerer, Cardiologicum Herzklinik Ulm MVZ, auf der Jahrestagung der DGK in Mannheim präsentiert wurden. Lipidsnapshot ist ein Gemeinschaftsprojekt des Zentrums für Kardiologische Versorgungsforschung der DGK (DGK-ZfKVF), dem Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK), der Deutschen Gesellschaft für Lipidologie DGFL e.V. (Lipid-Liga) und der Novartis Pharma GmbH. Es bewertet das Erreichen von LDL-C-Zielwerten sowie die Anzahl der Lp(a)-Bestimmung bei ASCVD-Patienten in Deutschland abhängig von der Betreuung durch niedergelassene Kardiologen im Vergleich zur Betreuung durch Allgemeinmediziner über einen Zeitraum von drei Jahren in jährlichen Momentaufnahmen (= Snapshots). Dabei sollen auch Unterschiede bei der Verordnung von lipidsenkenden Therapien (LLT) sowie geschlechts- und altersspezifische Unterschiede untersucht werden. Dafür werden die Daten von 1500 ASCVD-Patienten (mittleres Alter 72,4±10,0 Jahre; 24,2% weiblich), dokumentiert von 49 niedergelassenen Kardiologen, mit Daten von 82.375 ASCVD-Erkrankten (mittleres Alter 73,0±13,2 Jahre; 39,% weiblich), dokumentiert von 996 Allgemeinmedizinern, verglichen. Die teilnehmenden Mediziner sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Zielwerte werden vielfach nicht erreicht Während im Jahr 2023 (Daten des ersten Snapshots) beim niedergelassenen Kardiologen mehr als 27 Prozent der ASCVD-Patienten den strengeren Zielwert von <55 mg/dl erreichten, waren es bei den Allgemeinmedizinern mit zwölf Prozent weniger als halb so viele. Weitere 26 Prozent erreichten beim niedergelassenen Kardiologen zumindest den von der NVL angestrebten Zielwert von <70 mg/dl, beim Allgemeinmediziner taten dies nur weitere 16 Prozent der ASCVD-Patienten. Relativ gesehen erreichten somit sowohl die Kardiologen als auch die Allgemeinmediziner zu einem ähnlichen Prozentwert (27% bzw. 28%) ihre jeweiligen Zielwerte von <55 mg/dl bzw. <70 mg/dl. Die mittlere LDL-C-Konzentration lag bei ASCVD-Patienten in der kardiologischen Versorgung bei 74,8 mg/dl und in der allgemeinmedizinischen Versorgung bei 96,1 mg/dl. Weiterhin wurden bei den Kardiologen die lipidsenkenden Therapien LLT) häufiger über die Monotherapien mit Statinen hinaus eskaliert als bei Allgemeinmedizinern. Außerdem machte Weingärtner auf einen besonders dramatischen Umstand aufmerksam: „Ein Viertel der Patienten mit etablierter Gefäßerkrankung wurde bei den Allgemeinmedizinern überhaupt nicht mit Lipidsenkern behandelt. Bei den Kardiologen waren es lediglich 1,5 Prozent.“ Geschlechts- und Altersunterschiede Mit Blick auf die Geschlechtsunterschiede waren in Lipidsnapshot Frauen immer schlechter behandelt als Männer – sowohl bei den Kardiologen als auch bei den Allgemeinmedizinern. Beispielsweise erhielten 32 Prozent der Frauen (vs. 22,5 % der Männer) beim Allgemeinmediziner Überhaupt keine lipidsenkende Therapie und 2,5 Prozent der Frauen beim Kardiologen (vs. 1,2 Prozent der Männer). Auch unterscheidet sich die lipidsenkende Therapie mit dem Alter. Hier machte Weingärtner darauf aufmerksam, dass bei den Allgemeinmedizinern fast jeder zweite der jungen ASCVD-Patienten (18-49 Jahre) keine lipidsenkende Therapie erhielt. „Dabei sind gerade das die Höchstrisikopatienten, die eigentlich von uns behandelt werden müssten“, machte Weingärtner deutlich. Hier müsse mehr Awareness geschaffen werden. Lp(a)-Testung nur selten Ferner fand die von den ESC/EAS-Leitlinien empfohlene Lp(a)-Testung nicht routinemäßig statt. Bei nur drei Prozent der Personen, die in allgemeinmedizinischen Praxen vorstellig wurden, wurde eine Messung durchgeführt. Bei den niedergelassenen Kardiologen waren es immerhin 20 Prozent. Die Daten zeigen außerdem, dass in diesem Fachbereich auch in einem breiteren Patientenprofil auf das Lp(a) getestet wurde. So gab es hier mehr Personen mit niedrigen Lp(a)-Spiegeln <30 mg/dl im Vergleich zu durch Allgemeinmediziner versorgte Patienten. Tendenziell erfolgten routinemäßige Lp(a)-Testungen eher bei jüngeren Menschen und bei denjenigen, die mit PCSK9-Inhibitoren in Kombination oder als Monotherapie behandelt wurden. Zwei Leitlinien nicht zielführend Der zweite Snapshot ein Jahr später zeigte hinsichtlich der Ergebnisse kaum eine Veränderung. „Dies zeigt eine Trägheit der Therapieeskalation in Deutschland auf“, erläuterte Weingärtner. Sein Fazit: „Die Ergebnisse sind verheerend. Jede fünfte Person mit hohem ASCVD-Risiko, die in allgemeinmedizinischen Praxen betreut wird, erhält keine lipidsenkende Therapie. Auch in kardiologischen Praxen muss nachgebessert werden. Eine konsequente Umsetzung der Leitlinien-Empfehlung ist von hoher Dringlichkeit, um Todesfälle zu vermeiden.“ Weingärtner plädiert dafür, dass die Leitlinie der Kardiologen auch von den Allgemeinmedizinern übernommen wird, um das in Deutschland herrschende Grundproblem – nämlich zwei widersprüchliche Leitlinien – zu beheben. Zwei parallele Empfehlungen würden für Unsicherheit sorgen, was sich auch in der Versorgungslage abzeichne. Zudem würden monetäre Fehlanreize – z.B. Boni für nicht abgenommenes Blut – teilweise dazu führen, dass beim niedergelassenen Arzt auf die Bestimmung der Lipidwerte verzichtet werde. (ah)
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