Hypoadrenokortizismus bei Hund und Katze: Interview mit PD Dr. Florian Zeugswetter

PD DR. Florian Zeugswetter Foto: © privat

Privatdozent Dr. Florian Zeugswetter leitet seit über 20 Jahren die endokrinologische Ambulanz der veterinärmedizinischen Universität Wien, Österreich. Seine Vorträge zu komplizierten endokrinologischen Fällen bei Hund und Katze erfreuen sich großer Beliebtheit. Der Hypoadrenokortizismus (HA), auch als Morbus Addison bekannt, fällt in sein Spezialgebiet.

Das Interview, das in Kompakt VetMed 03/2024 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher.

Herr Dr. Zeugswetter, der Morbus Addison gilt als seltene Erkrankung bei Tieren. Wie viele Hunde resp. Katzen sehen Sie in Ihrer täglichen Arbeit, die an einem Addison erkrankt sind?

Zeugswetter: In einer aktuellen Diplomarbeit der Kollegin Lukács wurden die an der Vetmeduni Wien diagnostizierten Addisonfälle beim Hund der letzten 10 Jahre analysiert. Im Jahr 2023 wurden 8 Fälle diagnostiziert, der Schnitt liegt jedoch bei 5 Fällen pro Jahr. Weibliche Tiere waren mit 57 % überrepräsentiert und das durchschnittliche Alter betrug 6,5 Jahre. Der jüngste Patient war erst knapp 8 Monate alt. Eine Rasseprädisposition war nicht zu erkennen, meist handelte es sich um Mischlinge. Im Schnitt sehe ich derzeit aufgrund der üblichen monatlichen Mineralocorticoidinjektionen etwa 2–3 Addisonhunde pro Woche. Katzen mit Hypoadrenokortizismus (HA) sind eine echte Rarität. Von den wenigen bei uns diagnostizierten Katzen hatten 2 ein adrenales Lymphom.

Beim M. Addison arbeiten die Nebennieren nicht mehr ordnungsgemäß und produzieren zu wenig Kortisol und Aldosteron. In ganz seltenen Fällen kann der Bereich der Mineralcorticoidproduktion erhalten bleiben. Wie häufig sehen Sie den „atypischen“ M. Addison?

Zeugswetter: Laut Diktion der europäischen Veterinärendokrinologen sollten wir eigentlich vom normonatriämischen, normokaliämischen HA sprechen. Dieser wurde bei uns in den letzten 10 Jahren bei 11 Hunden diagnostiziert. Das sind knapp 22 % der Patienten mit HA. Dieser Prozentsatz stimmt in etwa mit früheren Publikationen überein. Meist handelte es sich um Tiere mit chronischen Magen-Darm-Problemen.

Welche klinischen Symptome machen Sie hellhörig in Bezug auf die Verdachtsdiagnose HA?

Zeugswetter: Die häufigsten Symptome sind klar Inappetenz, Schwäche und Erbrechen, die insbesondere nach körperlichen oder psychischen Belastungen auftreten. Oft verschwinden die Symptome, um beider nächsten Stress-Situation erneut aufzutreten. Bei jedem dritten Patienten wird von vermehrter Wasseraufnahme, Zittern, Gewichtsverlust, Bauchschmerzen oder Durchfall berichtet. Die klinischen Zeichen sind in Summe sehr unspezifisch. Findet man im weißen Blutbild eine Lymphozytose oder Eosinophilie, vielleicht sogar in Kombination mit einer Hyponatriämie und Hyperkaliämie, so sollte der HA in der Differenzialdiagnosenliste aber ganz
oben stehen.

Welche labordiagnostischen Untersuchungen leiten Sie ein?

Zeugswetter: Der einfachste erste Schritt bei geringem Verdacht ist das Messen der basalen Cortisolkonzentration. Ein Wert >2 µg/dl (20 ng/ml,55 nmol/l) schließt einen HA mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Bei hohem Verdacht würde ich jedoch sofort den ACTH-Stimulationstest durchführen. Dieser gilt als derzeitiger Goldstandard-Test.

Seltenere Ursachen für einen HA sind Tumoren, Infektionen, Durchblutungsstörungen, Arzneimitteleinwirkungen, zu schnelles Absetzen von Kortisonpräparaten. Ist eine
Ultraschalluntersuchung für die Diagnose zwingend?

Zeugswetter: Die Ultraschalluntersuchung ist für eine gute Abklärung sicherlich sinnvoll, da ja auch Neoplasien bzw. infiltrative Prozesse die Nebennieren schädigen können. Beim typischen Fall sind aber beide Nebennieren verkleinert. Eine unter 3,2 mm breite linke Nebenniere ist hoch verdächtig. Die Sensitivität liegt bei 90 %.

Wo sehen Sie Fallstricke in der Diagnostik, insbesondere beim „atypischen” M. Addison?

Zeugswetter: Das Hauptproblem bei der Diagnostik sind zuvor verabreichte Glucocorticoide oder Gestagene in jeglicher Form. Selbst Haut- oder Augensalben, Ohrentropfen und Inhalationskortikoide unterdrücken die ACTH-Sekretion und führen bei längerer Verabreichung
zur Atrophie der Nebennieren sowie zu falsch positiven ACTH-Stimulationstestergebnissen. Bei HA-Patienten mit normalen Elektrolyten sollte man vor dem Stimulationstest das endogene ACTH messen, da es sich auch um eine sekundäre, hypophysäre Form handeln könnte.

Bitte erläutern Sie den ACTH-Stimulationstest. Worauf ist beim Ablauf besonders zu achten?

Zeugswetter: Für die Durchführung des ACTH-Stimulationstests ist z. B. Cosacthen® zugelassen und wird mit einer Dosierung von 0,02 ml/kg (5 µg/kg) intravenös verabreicht. Eine irrtümlich paravenöse Applikation verfälscht das Testergebnis nicht. Nach 1 h erfolgt die Blutabnahme. Ein stimulierter Wert >2 µg/dl (20 ng/ml, 55 nmol/l) macht die Diagnose HA unwahrscheinlich. Werte >5 µg/dl (50 ng/ml, 138 nmol/l) schließen einen HA aus.

Zur Addison-Krise: Wie oft tritt eine solche (ungefähr) auf? Wie kann der Tierarzt diese rasch erkennen und welches therapeutische Vorgehen ist zu empfehlen?

Zeugswetter: Die meisten Patienten werden in der Addison–Krise diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt geht es den Hunden i. d. R. sehr schlecht und sie leiden unter einem massiven Volumenmangel. Die Infusionstherapie ist der zentrale Punkt der Behandlung. Bei sehr hohen Kaliumwerten mit drohendem Herzstillstand stellt die Verabreichung von verdünntem 10 %igem
Kalziumglukonat eine lebensrettende Maßnahme dar. Nur in seltenen Fällen ist eine schnelle Glucocorticoidgabe notwendig und solange der Patient Infusionen bekommt, ist die Gabe eines Mineralocorticoids nicht essenziell. Seit dem Deoxycorticosteron-Pivalat zur Standardtherapie des HA eingeführt wurde, sehen wir Addison-Krisen bei behandelten Tieren viel seltener.

Zur Langzeittherapie: Mit welcher Dosierung von Deoxycorticosteron-Pivalat starten Sie i. d. R.? Und wie dosieren Sie Prednisolon? Setzen Sie Fludrokortison noch ein?

Zeugswetter: Obwohl Injektionsintervalle weit >1 Monat möglich sind, hat sich ein Spritzenabstand von 30±5 Tagen bewährt. Die Anfangsdosierung hängt von der Tierart, dem Alter und der Tiergröße ab. Die im Beipackzettel angegebene Dosierung von 2,2 mg/kg ist veraltet, ich verwende sie aber noch bei Katzen, Welpen und sehr kleinen Hunden. Meist starte ich mit 1,6 mg/kg, aber selbst diese Dosierung ist auf Dauer meistens zu viel. Fludrokortison verwende ich eigentlich nicht mehr. Prednisolon gebe ich 2-mal täglich mit ~0,03 mg/kg. Die
1-mal tägliche Gabe hat sich selbst beim Menschen mit starkem diurnalen Rhythmus nicht bewährt. Bei der Heimgabe nach der Krise verschreibe ich zumindest in der ersten Woche die doppelte Dosierung. Dies führt aber so gut wie immer zu Symptomen wie Polydipsie und Polyphagie. Katzen benötigen eher mehr Prednisolon und die mittleren Dosierungen liegen bei 0,3 mg/kg/Tag.

Wie häufig führen Sie Nachkontrollen durch?

Zeugswetter: Die erste Kontrolle nach der initialen Depotinjektion empfehle ich nach 10 Tagen und die weiteren in monatlichen Abständen bis zur stabilen Einstellung.

Was ist in Bezug auf die Prednisolondosierung zu beachten? Wie sollte diese an die jeweiligen Lebensumstände angepasst werden?

Zeugswetter: Bei der Prednisolondosierung sollte die niedrigste mögliche Wrhaltungsdosierung gesucht werden. Der gute Appetit ist hier das wichtigste Leitsymptom. Im Zweifel kann man das endogene ACTH bestimmen, welches bei einer zu niedrigen Dosierung rasch ansteigt. Wichtig ist die Dosiserhöhung um das 2- bis 4-Fache der Erhaltungsdosierung bei starkem körperlichem, aber auch psychischem Stress. Unbedingt zu empfehlen ist eine Dosiserhöhung vor Operationen. Der immer wieder bei Hunden mit HA zu beobachtende Diabetes mellitus ist eher eine Co-Erkrankung als eine Folge der Prednisolontherapie.

Halten Sie die tägliche Verabreichung eines Magenschutzes, z. B. Sucralfat, für indiziert?

Zeugswetter: Ein Magenschutz ist m. E. bei einer Prednisolondosierung von ~0,06 mg/kg/Tag nicht notwendig. Sinn macht er aber in der Addison-Krise, da hier gehäuft Magenblutungen beobachtet werden.

Ist es notwendig, Addison-Patienten im täglichen Leben zu schonen?

Zeugswetter: Ich bin überzeugt, dass gut eingestellte Hunde mit vernünftigen Stress-angepassten Dosiserhöhungen ein ganz normales Leben führen können und nicht wie rohe Eier behandelt werden müssen. Einige Patienten von mir sind im Hundesport tätig und da sehr erfolgreich.

Wie beurteilen Sie die Langzeitprognose für den Hundepatienten, wie die für Katzenpatienten?

Zeugswetter: Der HA des Hundes ist eine wirklich gut behandelbare Erkrankung und die Lebenserwartung ist normalerweise exzellent. Bei Katzen fehlt mir die Erfahrung, neuere Studien zeigen aber eine mittlere Lebenserwartung von 2 Jahren.

Lieber Herr Dr. Zeugswetter, herzlichen Dank für das Gespräch.