Im Behandlungszimmer: Kommunikation auf Augenhöhe?

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Dass Arzt und Patient gemeinsam therapeutische oder diagnostische Maßnahmen beschließen – partizipative Entscheidungsfindung – gilt als Goldstandard der medizinischen Kommunikation, praktisch umgesetzt wird das nur teilweise.

Eine internationale Studie unter Leitung der Universität Duisburg-Essen hat Arzt-Patient-Interaktionen an vier Universitätskliniken analysiert. Die Ergebnisse wurden soeben im Fachmagazin „Teaching and Learning in Medicine“ veröffentlicht. Sie bestätigen eine Umsetzungslücke des Shared-decision-making (SDM).

Die paternalistische Beziehung, in der Ärzt:innen zum Wohle von Betroffenen entscheiden, soll einem partnerschaftlichen Vorgehen weichen. Weltweit wird das in der medizinischen Ausbildung gelehrt. Aus Studien ist jedoch bekannt, dass dieser gemeinsame Entscheidungsprozess (SDM) im Versorgungsalltag oft zu kurz kommt. Wie verlaufen solche Gespräche? Das hat ein interdisziplinäres Team aus Soziologie, Medizin, Linguistik und Medizinpädagogik für unterschiedliche Sprach- und Wissenschaftsräume untersucht: in China, der Türkei, Deutschland und den Niederlanden.

Das Team unter Leitung von Soziologieprofessorin Dr. Anja Weiß (Universität Duisburg-Essen) analysierte 71 Videobeobachtungen, mit denen der Erstkontakt eines Arztes oder einer Ärztin mit einem Schaulspielpatienten beziehungsweise -patientin aufgezeichnet wurde. Die Person klagt über Symptome von Herzschwäche. Eine Patientenakte liegt vor, es werden u.a. Beschwerden, Diagnose und Maßnahmen besprochen, wobei sich die Betroffenen ganz unterschiedlich einbringen.

„Unseren Beobachtungen nach ist die gemeinsame Entscheidungsfindung im klinischen Alltag länderübergreifend nicht lehrbuchgemäß“, sagt Weiß. „Dennoch waren viele Aspekte und Variationen des SDM-Ideals in den von uns beobachteten Interaktionen offensichtlich: Die Ärzt:innen reagierten aktiv auf ihr Gegenüber, sie interessierten sich für die Perspektive ihrer Patient:innen, stellten Fragen, schlugen Erklärungen für deren Ängste vor. Oft geschah das allerdings auf routinierte Weise.“

Kulturelle Unterschiede in der Kommunikation konnte das Forschungsteam überraschenderweise nicht feststellen. Was die Gespräche auch zeigten: Die Interaktionen sind dynamisch, lassen sich nicht immer vorhersagen oder von den Behandelnden steuern. Und: Selbst zurückhaltende Patientinnen und Patienten können eine aktive Rolle spielen, so dass es zu einer gemeinsamen Entscheidung kommt. „Das Lehrbuch-Modell von SDM ist in einigen Punkten vielleicht zu starr und sollte überdacht werden“, so Weiß. „Wir empfehlen, diesbezüglich in der medizinischen Ausbildung mehr Improvisationen und Variationen zuzulassen.“