Im Schwein: Organe eine Stunde nach Kreislaufstillstand teilweise wiederbelebt5. August 2022 Bild: ©mast3r – stock.adobe.com Einem US-amerikanischen Forschungsteam ist es in einer tierexperimentellen Studie gelungen, mit dem Perfusionssystem „OrganEx“ Zellen und Organe auch noch eine Stunde nach einem induzierten Herzstillstand zu erhalten. Für Transplantationsprogramme aber auch im Rettungsdienst könnten sich damit neue Möglichkeiten ergeben. Seit Jahrzehnten suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach Strategien, um Zellen und Organe vor den schädlichen Auswirkungen des Sauerstoffentzugs und der Reperfusion zu schützen, die nach einem Schlaganfall, einem Herzinfarkt oder dem Aussetzen der Atmung auftreten können. Eine Forschungsgruppe um die US-Mediziner David Andrijevic und Nenad Sestan von der Yale School of Medicine entwickelte nun das extrakorporale pulsatile Perfusionssystems „BrainEx“ weiter. Bereits 2019 konnten sie in „Nature“ zeigen, dass BrainEx in der Lage ist, die Stoffwechselaktivität in den Zellen von isolierten Schweinehirnen nach bis zu sechs Stunden Sauerstoffentzug in gewissem Maße wiederherzustellen (Vrselja Z et al. Restoration of brain circulation and cellular functions hours post-mortem. Nature 2019;568:336–343.). Das System basiert auf einem speziellen kryoprotektiven Perfusat – einer Lösung, die speziell darauf zugeschnitten ist, Elektrolyt- und Stoffwechselschieflagen nach längerer Ischämie auszugleichen. Nun optimierten Andrijevic et al. dieses Perfusat für die Ganzkörper-Anwendung. OrganEx rettet Organe besser als ECMO In ihrem Experiment lösten die Forschenden einen Herzstillstand im Schwein aus. Nach einer einstündigen warmen Ischämie verwendeten sie OrganEx über einen Zeitraum von sechs Stunden. Als Vergleichsmodell dienten Tiere, die anstatt mit OrganEx mit einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) behandelt wurden. Der Studie zufolge stellte das OrganEx-System den Blutfluss in den Schweineorganen offenbar fast vollständig wieder her und stabilisierte zudem den Sauerstoffverbrauch. Außerdem wurden bestimmte Genexpressionsmuster beobachtet, die darauf hindeuten, dass im Körper Reparaturprozesse ablaufen. Die ECMO hingegen führte nicht zu einer ordnungsgemäßen Durchblutung. Die Forschenden stellten zudem fest, dass unter ECMO viele kleinere Blutgefäße kollabiert waren. Die Studienergebnisse publizierten jüngst in „Nature“. „Wesentlicher Unterschied zur herkömmlichen Perfusion nach Wiederbelebung mit der ECMO, bei der normales Blut durch den Körper gepumpt wird, ist bei OrganEx die andere Zusammensetzung des Perfusats mit azellulären Sauerstoffträgern. Diese sind kleiner als die roten Blutkörperchen und enthalten zudem Medikamente, die den Reperfusionsschaden hemmen sollen“, beschreibt Prof. Jan Gummert, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, den Mechanismus hinter OrganEx. Limitationen der Studie Prof. Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln, hält die Ergebnisse der Studie für „bedeutend und wichtig“, sieht in der Zusammensetzung des Perfusats aber auch eine bedeutende Limitation. Bei dem OrganEx-System wird etwa die Hälfte des Blutes durch die kryoprotektive Lösung ersetzt. Dadurch verändere sich auch drastisch die Viskosität der eingesetzten Flüssigkeit, wie Böttiger erklärt. Das reine Blut unter Verwendung der ECMO sei sehr viel zähflüssiger. „Es könnte also theoretisch sogar möglich sein, dass die beobachteten Ergebnisse zugunsten von OrganEx maßgeblich oder allein auf die veränderte Viskosität zurückzuführen sind. Dies sollte man beachten.“ In dieser Hinsicht hätte auch Dr. Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der Technischen Universität München, einen Vergleich mit anderen Perfusionslösungen (zum Beispiel Euro Collins) beziehungsweise anderen Perfusionssystemen wesentlich aufschlussreicher gefunden. Fischer sieht eine weitere Studienlimitation: „Obwohl die Studie zahlreiche zellspezifische Expressionsdaten liefert, fehlt die Bestimmung von Entzündungsfaktoren in der Perfusionslösung (Zytokine wie Interleukin 6), die Aussagen darüber erlauben, ob die Perfusionslösung selbst eine Entzündung des Endothels auslöst, die erst einige Stunden nach der Transplantation sichtbar werden würde und zur Transplantatabstoßung führen könnte.“ Weitere Untersuchungen nötig Böttiger wünscht sich zur Bestätigung der Ergebnisse weitere Studien mit entsprechender Kontrollgruppe und durchgeführt von einem unabhängigen Labor, denn die Forschenden würden natürlich auch „ein bisschen Marketing“ für ihr eigenes Produkt betreiben. Dem Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Prof. Stefan Kluge zufolge bräuchte es „als nächsten Schritt größere Schweinestudien, bei denen einem Tier, das mit OrganEx ,therapiert‘ wurde, zum Beispiel auch einmal eine Niere entfernt wird und einem anderen Tier eingesetzt wird, sodass man die Funktionalität des Organs tatsächlich untersuchen kann“. Organtransplantationen und Rettungsdienst als mögliche Einsatzgebiete Trotz der Kritik halten alle Experten die Studie für begrüßenswert und vielversprechend. Anwendung finden könnte die Technik Kluges Ansicht nach beispielsweise während des Transports von Spenderorganen. „Die Organe werden teils ja über weite Strecken bewegt. In dieser Zeit könnte ein System wie OrganEx den zellulären Verfall innerhalb der Organe besser aufhalten, als es die herkömmliche Kühlbox vielleicht tut. Denkbar wäre auch, dass mit solch einem System womöglich der Schaden an einem Organ durch Sauerstoffmangel begrenzt oder gar aufgehoben werden kann.“ Das sei alles noch sehr spekulativ und in weiter Ferne, aber vorstellbar. Auf die deutsche Organspendepraxis hätte OrganEx derzeit nur einen begrenzten Einfluss, denn hierzulande ist eine Organtransplantation bisher nur nach Hirntod erlaubt. In vielen anderen Ländern ist eine Transplantation derweil auch nach Kreislauftod zulässig. Böttiger, der zusätzlich Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rats für Wiederbelebung ist, hält auch den Einsatz im Rettungswesen für ein wichtiges Anwendungsgebiet von OrganEx. Bei einem außerklinischen Herzkreislaufstillstand wird meist nicht sofort mit Herzdruckmassage reagiert und der Rettungsdienst kommt oft zu spät, um die betroffene Person zu retten. „Wenn nun der Rettungsdienst aber durch Systeme wie OrganEx eine Möglichkeit der schnellen und organprotektiven Reperfusion hätte, wäre das großartig. Es würde hier dann nicht um Organtransplantationen gehen, sondern um den Erhalt des Individuums“, erläutert der Experte. (ah)
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