Immunsystem verstehen: Heinrich-Wieland-Preis 2021 für Thomas Boehm21. Oktober 2021 Der Immunologe Thomas Boehm erhält den Heinrich-Wieland-Preisträger 2021 für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Entwicklung des Immunsystem der Wirbeltiere. Foto: Rockoff/Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik Der Immunologe Prof. Thomas Boehm hat unser Verständnis vom Immunsystem der Wirbeltiere grundlegend verändert. Dafür verlieh ihm die Boehringer Ingelheim Stiftung am 21. Oktober in München den mit 100.000 Euro dotierten Heinrich-Wieland-Preis. Boehm hat erforscht, wie sich das Immunsystem der Wirbeltiere entwickelt hat, wie es sich im Laufe des Lebens etabliert und sogar, wie es sich auf unsere Partnerwahl auswirkt. Dabei hat er bahnbrechende und überraschende Entdeckungen gemacht, die weit über die Immunologie hinausreichen. Der Heinrich-Wieland-Preis 2021 bei der Berlin Science Week Am 2. November findet im Rahmen der Berlin Science Week von 16–17 Uhr eine digitale Podiumsdiskussion für die breite Öffentlichkeit statt. Unter dem Titel „Hoffnungsträger Immunforschung – eine Perspektive für den verwundbaren Menschen?“ führen Boehm und der Philosoph Prof. Markus Gabriel von der Universität Bonn ein interdisziplinäres Gespräch über die menschliche Verletzbarkeit als existenzielle Erfahrung. Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg bekommt den Preis im Rahmen einer festlichen Verleihung im Anschluss an ein wissenschaftliches Symposium überreicht. Die englischsprachige Veranstaltung im Schloss Nymphenburg umfasst auch das Symposium und die Preisverleihung für den Preisträger des Jahres 2020, Professor Craig M. Crews von der amerikanischen Universität in Yale, der für seine Pionierforschung auf dem Gebiet des gezielten Proteinabbaus geehrt wird. Bahnbrechende Entdeckungen Dieser Maus-Thymus wurde genetisch so verändert, dass Zellen, die sonst innen liegen (blau) nun außen liegen und umgekehrt (grüne Zellen). Dies hilft, die Entwicklung von T-Zellen (rot) zu erforschen. Foto: Krauth/Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik Thomas Boehm hat mit seinen Ergebnissen mehrfach das heutige Verständnis über das Immunsystem erweitert und somit insgesamt einen völlig neuen Blick auf dessen Entwicklung und Funktionsweise ermöglicht. „Er hat an so verschiedenen Systemen wie menschlichen Zellen, Mäusen, Zebrafischen und selbst Tiefsee-Anglerfischen geforscht und hat mit wissenschaftlichem Scharfsinn und unkonventionellen Ansätzen herausgefunden, wie das Immunsystem arbeitet und welche spezielle Rolle der Thymus dabei spielt“, sagt Christoph Boehringer, Vorsitzender des Vorstandes der Boehringer Ingelheim Stiftung. Der Thymus ist der Teil des sogenannten adaptiven Immunsystems und kann als Trainingscamp für die T-Zellen angesehen werden. Boehm hat auch mit Neunaugen gearbeitet, primitiven Fischen, deren evolutionäre Linie sich vor ca. 450 Millionen Jahren von unserer getrennt hat. Durch diese Arbeiten können wir in der Zeit zurückblicken und uns ansehen, wie sich das adaptive Immunsystem der Wirbeltiere entwickelt hat und so Rückschlüsse ziehen, wie es funktioniert. Bereits zu Beginn seiner Karriere entdeckte Boehm das Gen Foxn1, das steuert, wie sich die Zellen an der inneren Wand des Thymus entwickeln und organisieren, damit sie den T-Zellen beibringen können, körpereigene Zellen zu erkennen. „Mit diesen Erkenntnissen von Thomas Boehm war es zum ersten Mal möglich, die Entwicklung von T-Zellen nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch mit genetischen Methoden zu untersuchen. Mit diesem wichtigen Vorstoß hat Thomas Boehm bereits als Nachwuchsforscher die Immunologie tiefgreifend verändert“, ergänzt F.-Ulrich Hartl, Vorsitzender des Auswahlkomitees des Heinrich-Wieland-Preises. „Solche Durchbrüche hat er im Laufe seiner Karriere wieder und wieder erzielt: So zum Beispiel, indem er gemeinsame Prinzipien des adaptiven Immunsystems bei Wirbeltieren identifizierte, herausfand, wie das Immunsystem über den Körpergeruch unsere Partnerwahl steuert oder zuletzt, indem er entdeckte, das Tiefsee-Anglerfische ihr adaptives Immunsystem im Laufe der Evolution ausgeschaltet haben. Etwas, das bis dahin als ausgeschlossen galt.“ Mehr zu Boehms Forschung Seine der breiten Öffentlichkeit am besten bekannten Forschungsergebnisse haben eine völlig unerwartete Verbindung zwischen dem Immunsystem und der Partnerwahl von Fischen bis Menschen zu Tage gefördert: Er hat herausgefunden, dass sogenannte MHC-Moleküle (vom Englischen: Major Histocompatibility Complex) auf der Außenseite von Immunzellen direkten Einfluss darauf haben, wie unsere Körper riechen und so die Partnerwahl beeinflussen. Diese Moleküle helfen dem Körper unter anderem, eigene von fremden Zellen zu unterscheiden. Es gibt verschiedene MHC-Moleküle, und je mehr verschiedene MHC-Moleküle der Nachwuchs von den Eltern erhält, umso besser ist er vor Krankheitserregern geschützt. Es ist also vorteilhaft einen Partner zu wählen, der ein anderes Set an MHC-Molekülen hat als man selbst. Und bei dieser Entscheidung hilft die Verbindung zwischen dem Immunsystem und dem Körpergeruch. Somit eröffnen Boehms Ergebnisse eine unerwartete Verbindung zwischen Immunologie und Verhaltensökologie. Erst kürzlich hat Boehm ein weiteres überraschendes Ergebnis erzielt, das neue Ansätze für die Organtransplantation und für Menschen mit Immunerkrankungen in Aussicht stellt, und das ausgerechnet bei Tiefseeanglerfischen: Sie leben an einem dunklen und unwirtlichen Ort, an dem es schwierig ist, einen Partner zu finden. Haben sich zwei Anglerfische gefunden, verwächst das viel kleinere Männchen daher komplett mit dem Weibchen, bis es nur noch ein samenspendender Anhang ist, der vom Weibchen über dessen Blutkreislauf mit allem Nötigen versorgt wird. Damit dies ohne Abstoßung durch das Immunsystem funktioniert, haben Anglerfische im Laufe der Evolution die Gene für ihr adaptives Immunsystem abgeschaltet. Dies galt bisher als unmöglich, denn man nahm an, dass sich angeborenes und adaptives Immunsystem im Laufe der Wirbeltier-Evolution so eng miteinander verzahnt haben, dass sie nur gemeinsam funktionieren. Wie sich diese Entdeckung genau auf die Immunologie auswirkt, ist noch nicht abzusehen. Sicher ist aber, dass die Implikationen weit reichen und uns helfen könnten, Organtransplante sicherer zu machen und neue Methoden zu finden, unsere Körper gesund zu halten. Der Preisträger: Boehm studierte Medizin in Frankfurt am Main. Von 1987 bis 1991 forschte er am Laboratory of Molecular Biology der Universität Cambridge in England. 1991 erhielt er eine Professur an der Universität Freiburg und 1994 wechselte er ans Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Seit 1998 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg im Breisgau. Für seine Leistungen wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet: Unter anderem erhielt er den Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis für Nachwuchswissenschaftler, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den Ernst-Jung-Preis für Medizin, den Deutschen-Immunologie-Preis sowie zwei Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC). Er ist gewähltes Mitglied der Europäischen Molekularbiologischen Organisation (EMBO), der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, sowie dem amerikanischen Pendant, der American Academy of Arts and Sciences (AAAS). Heinrich-Wieland-Preis: Mit dem Heinrich-Wieland-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre bahnbrechende Forschung zur Chemie, Biochemie und Physiologie biologisch aktiver Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung aus. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis ist nach dem Chemiker und Nobelpreisträger Heinrich Otto Wieland (1877–1957) benannt und wird seit 1964 jährlich vergeben. Unter seinen Laureaten, die von einem wissenschaftlichen Kuratorium ausgewählt werden, sind vier spätere Nobelpreisträger. Seit 2011 wird der Preis von der Boehringer Ingelheim Stiftung dotiert.
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