Implantat-Roboter mit Minimotoren finden Platz in Knochennägeln14. März 2025 Die Technologie, die für Implantatplatten (Prototyp rechts) entwickelt wurde, soll jetzt auch in Marknägeln (links) die Heilung von Knochenbrüchen überwachen und fördern. Susanne-Marie Kirsch (l.) und Felix Welsch forschen mit an den smarten Implantaten. Foto: Oliver Dietze/Universität des Saarlandes Robotische Implantate, die sich durch Formgedächtnistechnologie am Knochen versteifen und weich werden können, erlauben permanente Kontrolle, ob ein Bruch verheilt. Im Rahmen eines EU-Projekts soll die smarte Technik miniaturisiert werden und in Marknägeln passen. Bricht man sich einen der großen Röhrenknochen kann ein Marknagel zum Einsatz kommen, der den Knochen von innen stabilisiert. „Das Gewebe und die Durchblutung um die Fraktur bleiben unangetastet, was für die Heilung vorteilhaft ist. Außerdem dürfen die Patienten das Bein sofort voll belasten, sie werden schneller mobil und es gibt weniger Komplikationen“, erklärt die Expertin für Frakturheilung Bergita Ganse, Professorin für Innovative Implantatentwicklung an der Universität des Saarlandes. Gemeinsam mit dem Ingenieurteam der Professoren Paul Motzki und Stefan Seelecke am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) arbeitet die Unfallchirurgin daran, diesen Marknägeln neue Eigenschaften zu geben: Sie sollen permanent Informationen in Form von Messdaten vom Frakturspalt senden und damit von Beginn an sichtbar machen, ob der Knochen heilt. Bislang ist dies nur durch gelegentliche Röntgenbilder möglich. Marknagel soll die Heilung aktiv fördern Zum anderen sollen sich die Nägel im Knochen an der Bruchstelle bewegen, genauer gesagt versteifen und wieder weich werden. Will der Patient gehen, hat er so die volle Stabilität des festen Marknagels, ruht er sich aus, kann er ihn via Smartphone-App weich stellen. Diese Phase ist Voraussetzung für eine heilsame Innovation: „Unser Ziel ist, dass der Marknagel aktiv die Heilung fördert. In der weiteren Entwicklung soll er mit einer Mikro-Massage am Frakturspalt Wachstumsanreize für neues Knochengewebe setzen“, erläutert Ganse. Bei Implantatplatten ist dies dem Forschungsteam bereits gelungen: Diese messen die Kräfte am Frakturspalt und verformen sich eigenständig so, dass die Belastung optimiert und die Knochenheilung verbessert wird. Die Forscherinnen und Forscher entwickeln solch smarte Implantate bereits seit über fünf Jahren in einem Projekt, das die Werner Siemens Stiftung mit acht Millionen Euro fördert. Frakturplatte als Vorbild Nun miniaturisiert das Team die Technologie, damit sie etwa auch in den Marknägeln unterkommt. „Die Ergebnisse, die wir mit der Frakturplatte gewonnen haben, fließen in die neuen Implantate ein“, führt Motzki aus, Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der Universität des Saarlandes und Zema-Geschäftsführer. Gefördert wird das Vorhaben von der EU im Programm Horizon Europe im Rahmen des 21-Millionen-Forschungsprojekts Smile (Smart implants for life enrichment), bei dem 25 renommierte Institutionen aus zwölf europäischen Ländern erforschen, wie man ältere Menschen vor Krankheiten des Bewegungsapparats schützen kann. Um die Technologie im nur wenige Millimeter breiten Inneren des Nagels unterzubringen, musste sich das Ingenieurteam von Motzki und Seelecke einiges einfallen lassen. „Der Mechanismus, der dafür sorgt, dass sich das Implantat im Inneren des Knochens genau an der Bruchstelle versteift, darf an dieser Stelle nicht zu einer Verdickung führen“, erklärt Motzki die Herausforderung. Sonst könnte die ohnehin fragile Bruchstelle Schaden nehmen. Haarfeine Drathbündel als Minimotoren Heraus kam ein patentierter Bewegungsmechanismus: Zwei gegeneinander arbeitende Minimotoren ziehen einen Stab mit kegelförmigem Kopf in die passende Öffnung eines weichen, elastisch verformbaren Kunststoffs hinein, halten ihn dort zuverlässig und ziehen ihn wieder heraus. Zieht der eine Minimotor den Kegel ins Innere dieses Elastomers, versteift sich der Marknagel an dieser Stelle, dehnt sich aber nicht aus. Zieht der andere Minimotor den Stab wieder heraus, wird der Marknagel weich. Die Minimotoren für dieses Vorhaben sind haarfeine Drahtbündel aus der Formgedächtnislegierung Nickel-Titan. „Wir nutzen diese Drahtbündel als Antriebe auf sehr kleinem Raum, in diesem Fall zum Ziehen des Stabs im Marknagel. Die Drahtbündel erreichen in winzigen Dimensionen hohe Zugkraft. Nickel-Titan-Drähte haben von allen Antriebsmechanismen die höchste bekannte Energiedichte“, so Motzki. Je nachdem, ob kurze Stromimpulse durch die Drähte fließen oder nicht, verkürzen sie sich oder werden wieder lang. Der Grund liegt im Kristallgefüge der Legierung. Motzki dazu: „Nickel-Titan besitzt zwei Kristallgitter, die sich ineinander umwandeln können. Das eine der beiden Kristallgitter ist kürzer als das andere. Fließt Strom, erwärmt sich der Draht, seine Kristallstruktur wandelt sich um und verkürzt sich. Wird der Strom abgeschaltet, kühlt er ab, wandelt sich um und wird lang. Die Forscherinnen und Forscher nutzen Bündel der feinen Drähte wie Muskeln für kleine technische Bauteile. „Ein Drahtbündel hat eine größere Oberfläche und gibt mehr Wärme ab, dadurch können wir es schnell zyklisch kontrahieren lassen, also mit hohen Frequenzen betreiben“, erläutert Motzki. In mehrjähriger Forschung hat das Team herausgefunden, wie es die Drahtbündel nach Dicke und Anzahl der Drähte maßgeschneidert für verschiedene Anwendungen zusammensetzt. Sensortechnik arbeitet mit Künstlicher Intelligenz Die Sensortechnik, die nötig ist, um den Stab nach Belieben zu ziehen, liefern die Minimotoren gleich mit. „Der elektrische Widerstand ändert sich, wenn die Drähte sich verformen. Mithilfe Künstlicher Intelligenz ordnen wir jeder noch so kleinen Verformung einen präzisen Messwert zu. Wir trainieren mit den Daten neuronale Netze. Auch bei Störeinflüssen rechnet die KI inzwischen effizient und genau“, erklärt Paul Motzki. „Auf diese Weise können wir alle sensorischen Daten ablesen, die nötig sind, um die Drahtbündel anzusteuern“, erläutert Doktorandin Susanne-Marie Kirsch, die an den smarten Implantaten forscht. Und: Dadurch lassen sich zugleich die Heilungsabläufe ablesen: Auch bei der kleinsten Veränderung am Frakturspalt liefern die Drähte andere Messwerte. An ihnen können die Mediziner erkennen, ob neues Knochengewebe wächst. Dieser klinische Teil der Forschung ist Part des Teams von Ganse: Die Medizinerinnen und Mediziner sind darauf spezialisiert, biomechanische Informationen aus den Messdaten herauszulesen. Hierzu erstellen sie Ganganalysen, arbeiten mit Computersimulationen und ziehen mit Künstlicher Intelligenz Rückschlüsse: Aus der zunehmenden Steifigkeit im Knochenbruch und sogar auch über Durchblutungsmessungen schließen sie auf den Heilungsverlauf, um die Fraktur zu überwachen. Implantat soll Heilung unterstützten Außerdem erforschen sie, was die Heilung fördert. Ziel ist es, dass die Minimotoren hierzu präzise abgestimmte, die Heilung fördernde Bewegungsabläufe vollführen. „Wir müssen das Implantat so bauen, dass es die richtigen Bewegungen und Druckveränderungen erzeugt, um die Heilung zu unterstützen“, erläutert Ganse. „Gesteuert werden soll alles via Smartphone, so dass der Patient den Mechanismus unter ärztlicher Anweisung selbst ferngesteuert einstellen kann“, ergänzt Motzki. Die nötigen Stromimpulse wird ein Akku liefern, der im Körper durch drahtlose Induktion aufgeladen wird. Die Technologie wollen die Saarbrücker Ingenieurinnen und Ingenieure noch weiter miniaturisieren und sie auch für wesentlich kleinere Knochen weiterentwickeln. „Wir können unsere Technologie skalieren. Nächstes Ziel wird sein, smarte Implantate auch für die Gesichtschirurgie, etwa für Kieferbrüche, zu entwickeln“, sagt Motzki. Die Experten für intelligente Materialsysteme Stefan Seelecke und Paul Motzki demonstrieren das Verfahren auf der Hannover Messe vom 31. März bis 4. April. Saarland-Stand, Halle 2, B10.
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