Infektionen verhindern, Heilungsprozesse fördern: Biomaterialien aus Spinnenseide

Gregor Lang bei der rasterelektronenmikroskopischen Betrachtung der Materialoberflächen. (Foto: UBT/Christian Wißler)

Ein Forschungsteam aus Bayreuth hat neue, nanostrukturierte Materialien entwickelt, die auf Spinnenseide basieren. Sie verhindern den Forschenden zufolge die Ansiedlung von Bakterien und Pilzen und unterstützen gleichzeitig proaktiv die Regeneration von menschlichem Gewebe. Daher eigneten sie sich hervorragend für Implantate, Wundverbände, Prothesen, Kontaktlinsen und andere Hilfsmittel des Alltags.

Es ist ein weithin unterschätztes Infektionsrisiko: Mikroben setzen sich auf den Oberflächen von Gegenständen fest, die für medizinische Therapien oder für die Lebensqualität im Alltag unentbehrlich sind. Allmählich bilden sie einen dichten, oftmals unsichtbaren Biofilm, der sich auch durch Reinigungsmittel nicht ohne Weiteres entfernen lässt und meist sogar resistent gegen Antibiotika und Antimykotika ist. So können Bakterien und Pilze leicht in das angrenzende Gewebe des Organismus eindringen. Dann stören sie nicht nur Heilungsprozesse, sondern können sogar lebensgefährliche Infektionen hervorrufen.

Mit einem neuartigen Forschungsansatz haben Wissenschaftler der Universität Bayreuth jetzt eine Lösung für dieses Problem gefunden. Aus biotechnologisch hergestellten Proteinen der Spinnenseide haben sie ein Material entwickelt, das krankheitserregende Mikroben darin hindert, sich an den Oberflächen anzulagern.” Sogar multiresistente Streptokokken (MRSA) haben keine Chance, sich auf der Oberfläche des Materials einzunisten. Biofilme auf medizinischen Instrumenten, Sportgeräten, Kontaktlinsen, Prothesen und weiteren Alltagsgegenständen gehören dadurch der Vergangenheit an”, betonen die ForscherInnen.

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen den Unterschied: Auf Oberflächen von Polycaprolacton, einem in der Medizin häufig angewendeten Kunststoff, bildet sich ein Biofilm (l.). Spinnenseide lässt die Entstehung eines Biofilms nicht zu (r.).
(Bilder: Gregor Lang)

Gleichzeitig seien die Materialien so beschaffen, dass sie die Anhaftung und Vermehrung menschlicher Zellen auf ihren Oberflächen fördern. “Werden sie beispielsweise für Wundabdeckungen, Hautersatz oder Implantate verwendet, unterstützen sie proaktiv die Regeneration von beschädigtem oder fehlendem Gewebe. Im Unterschied zu anderen Materialien, die bislang zur Wiederherstellung von Gewebe eingesetzt werden, ist das Infektionsrisiko von vornherein gebannt. Mikrobiell-resistente Beschichtungen in einer Vielzahl biomedizinischer und technischer Anwendungen rücken damit in greifbare Nähe”, heißte es weiter in einer Mitteilung der Universität.

Die mikrobenabweisende Funktion wurde nach Angaben der Universität an zwei Arten von Spinnenseidenmaterialien erfolgreich getestet: an Folien und Beschichtungen, die nur wenige Nanometer dick sind, und an Hydrogelen mit der Struktur eines dreidimensionalen Netzwerke, das als Gerüst für neu wachsendes Gewebe verwendet werden kann.

„Unsere bisherigen Untersuchungen haben zu einer Erkenntnis geführt, die für künftige Forschungsarbeiten wegweisend ist: Die mikrobenabweisenden Eigenschaften der von uns entwickelten Biomaterialien basieren nicht auf toxischen, also nicht auf zelltötenden Wirkungen. Entscheidend sind vielmehr Strukturen im Nanometerbereich, welche die Spinnenseidenoberflächen mikrobenabweisend machen. Krankheitserregern ist es dadurch unmöglich, sich auf diesen Oberflächen festzusetzen“, erklärt Prof. Thomas Scheibel, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Biomaterialien innehat.

„Faszinierend an diesen Forschungsergebnissen ist auch, dass sich die Natur wieder einmal als ideales Vorbild für extrem anspruchsvolle Materialkonzepte erwiesen hat. Natürliche Spinnenseide ist hochgradig resistent gegen den mikrobiellen Befall, und die Reproduktion dieser Eigenschaften auf biotechnologischem Weg sehe ich als bahnbrechend“, sagt Prof. Gregor Lang, einer der beiden Erstautoren und Leiter der Forschungsgruppe Biopolymerverarbeitung an der Universität Bayreuth.

In den Bayreuther Laboratorien seien die Spinnenseidenproteine gezielt mit unterschiedlichen Nanostrukturen ausgestattet worden, um die biomedizinisch relevanten Eigenschaften anwendungsbezogen zu optimieren. Dabei hätten sich die vernetzten Forschungsstrukturen auf dem Bayreuther Campus bewährt: Zusammen mit dem Bayerischen Polymerinstitut (BPI) waren drei weitere interdisziplinäre Forschungseinrichtungen der Universität Bayreuth an der Forschung beteiligt: das Bayreuther Materialzentrum (BayMAT), das Bayreuther Zentrum für Kolloide und Grenzflächen (BZKG) sowie das Bayreuther Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (BZKG).
Bei der jetzt in „Materials Today“ veröffentlichten Studie hat das Team der Universität Bayreuth zudem mit Forschungspartnern an der Universität des Saarlandes und der Justus-Liebig-Universität Gießen zusammengearbeitet.

Originalpublikation:
Kumari S, Lang G, DeSimone E et al: Engineered spider silk-based 2D and 3D materials prevent microbial infestation. Materials Today 2020 DOI: https://dx.doi.org/10.1016/j.mattod.2020.06.009