Inflammaging scheint nur in Industrienationen aufzutreten8. Juli 2025 Bei Menschen in Industrienationen nehmen steigendem Alter chronische Entzündungsprozesse zu. (Foto: © Russell – stock.adobe.com) Generiert mit KI Die altersbedingte Zunahme chronischer Entzündungen – auch Inflammaging genannt – ist kein universeller Aspekt des menschlichen Alterns, sondern eher ein Phänomen von Gesellschaften in Industrieländern. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam in einer Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature Aging“ veröffentlicht wurde. Mit zunehmendem Alter nehmen unterschwellige, chronische Entzündungen zu. Diese stehen im Verdacht, zu der Entstehung von alterstypischen Erkrankungen wie Atherosklerose, Diabetes mellitus Typ 2 oder Alzheimer beizutragen. Die Entzündungen können anhand von Entzündungsmarkern im Blut gemessen werden. In einer vorangegangenen Studie identifizierten Forschende der aktuellen Studie ein Set an 19 Zytokinen, deren Konzentration mit dem Alter zunahm und konnten damit das Risiko für altersbedingte Erkrankungen vorhersagen. Ihre Analyse basierte auf einem aus Italien stammenden Datenset (InCHIANTI). Zwei weitere Studien, in denen US-amerikanische und russische Datensätzen analysiert wurden, identifizierten hingegen sehr unterschiedliche spezifische Entzündungsmarker. Zudem überschneidet sich diese Auswahl nur schwach mit dem Set an Zytokinen vom InCHIANTI-Datenset. Die Forschenden vermuteten deshalb, dass es keine spezifische und universelle Signatur beim Menschen für Inflammaging gibt. Um das genauer zu prüfen, analysierten sie ihr Set an 19 Zytokinen in einer weiteren Kohorte einer Industrienation (Singapore Longitudinal Aging Study) sowie an zwei nichtindustrialisierten Populationen: Die Tsimane aus dem bolivianischen Amazonas und die Orang Asli auf der malaysischen Halbinsel. Diese wiesen viele infektionsbedingte Entzündungen, aber kaum chronische altersbedingte Krankheiten auf. Die Datenanalysen zeigten, dass die Ergebnisse der Singapore Longitudinal Aging Study denen der InCHIANTI sehr ähnlich waren. Bei den indigenen Populationen erkannten die Forschenden allerdings wenig bis gar keinen Zusammenhang zwischen den Entzündungsmarkern und dem Alter sowie keinen Zusammenhang mit altersbedingten Krankheiten. Inflammaging scheint also laut der Forschenden weitgehend ein Nebenprodukt des industrialisierten Lebensstils zu sein, das sich darüber hinaus zwischen Populationen unterscheidet. Alternsforschung muss kontextsensibel erfolgen „Die Studie bestätigt, dass Inflammaging in industrialisierten Ländern wie Italien und Singapur klar erkennbar ist. In beiden Kohorten zeigt sich mit zunehmendem Alter ein typisches Entzündungsprofil, das mit chronischen Krankheiten im Alter in Verbindung steht. Das stärkt die Vermutung, dass bestimmte Lebensbedingungen in industrialisierten Gesellschaften diesen Prozess fördern. Gleichzeitig wird deutlich: Was für diese Bevölkerungen gilt, lässt sich nicht automatisch auf alle Menschen weltweit übertragen. Das unterstreicht die Bedeutung kontextsensibler Alternsforschung“, betont Dr. Chiara Herzog,wissenschaftliche Mitabeiterin am King’s College London, Vereinigtes Königreich, und am Institut für biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck, Österreich. Dr. Patrick Schädel, PostDoc am Lehrstuhl für Pharmazeutische/Medizinische Chemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, weist darauf hin, „dass hier lediglich 19 Zytokine als Biomarker für das Entzündungsaltern einbezogen wurden. Um das Konzept des Entzündungsalterns (Inflammaging) umfangreich zu erfassen, ist die Messung weiterer Biomarker – unter anderem Oxylipine (oxidative Metabolite von ungesättigten Fettsäuren, die als Lipid-Botenstoffe eine Vielzahl von physiologischen Prozessen im Körper regulieren; Anm. d. Red.), reaktive Sauerstoffspezies und Akut-Phase-Proteine – notwendig. Weiterhin wurden in der vorliegenden Studie lediglich zirkulierende, also in die Blutbahn abgegebene, Zytokine erfasst. Dies erlaubt Rückschluss auf systemische Veränderung, blendet allerdings organspezifische Veränderungen im Zusammenhang mit dem Entzündungsaltern aus“. Als potenzielle Ursachen des Inflammagin in Industrienationen nennt Schädel neben individuellen, mitunter (epi-)genetischen Prädispositionen auch den Lebensstil und die äußeren Umstände der jeweiligen Studienteilnehmer als wichtige Faktoren. „Nennenswert sind meiner Meinung nach hier vor allem die kalorienreichere, kohlenhydratreiche Ernährung in (westlichen) Industrienationen, sowie der grassierende Bewegungsmangel. Der Zusammenhang zwischen übermäßiger Kalorienaufnahme und der Zunahme an entzündlichen Prozessen im menschlichen Körper ist hinlänglich belegt worden und wird sicherlich eine der Ursachen für die Beobachtungen in der Studie sein. Für eine abschließende Erklärung der beobachteten Effekte im Zusammenhang mit dem Entzündungsaltern bedarf es allerdings weiterführender Studien, die hier vermutete Zusammenhänge detailliert untersuchen und experimentell validieren“, erklärt der Wissenschaftler. Wissenschaftliche Dogmen können auch wackeln Um den Begriff des Inflammaging aufgrund der Studienergebnisse generell infrage zu stellen, findet Dr. Ahmad Aziz, Leiter der Forschungsgruppe Populationsbezogene & Klinische Neuroepidemiologie, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Bonn, die aktuellen Studienergebnisse nicht robust genug. „Die Schlussfolgerungen basieren beispielsweise auf den Ergebnissen der Faktorenanalyse und der Hauptkomponentenanalyse (als zusätzliche Sensitivitätsmethode), bei denen es sich um datengesteuerte lineare Methoden handelt. Diese werden stark von der einzigartigen Datenstruktur beziehungsweise Populationsvariation jeder Kohorte bestimmt. Daher könnte es viele Gründe dafür geben, warum die Faktor-/Komponentenladungen in den verschiedenen Populationen nicht übereinstimmen, einschließlich unterschiedlicher Verteilungen von Alter, Geschlecht, genetischem Hintergrund sowie anderen Lebensstil- und Umweltfaktoren. Insbesondere können Infektionen die Ergebnisse verfälscht haben, was die Autoren auch einräumen. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass der geringere Stichprobenumfang und die spärlicheren Daten in den nichtindustrialisierten Kohorten zur ‚Nicht-Replizierbarkeit‘ einiger der Ergebnisse in diesen Populationen beigetragen haben könnten“, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. „Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Autoren auch fortschrittlichere, nichtlineare Vorhersagemodelle, wie zum Beispiel auf maschinellem Lernen basierende Methoden zur Ableitung von Entzündungswerten, verwendet hätten. Diese hätten möglicherweise überlappende Muster erkannt, die eventuell übersehen worden.“ Dennoch sieht der Neuroepidemiologe in der Studie „ein sehr schönes Beispiel dafür, warum die Einbeziehung verschiedener Bevölkerungsgruppen bestehende wissenschaftliche Dogmen in Frage stellen und möglicherweise zu neuen Erkenntnissen führen kann“.
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