Inhalative Corticosteroide bei Asthma: Übergewicht und Adipositas können das Ansprechen bei Kindern beeinflussen

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Kinder mit Asthma sprechen offenbar mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf inhalative Corticosteroide (ICS) an, wenn sie übergewichtig oder adipös sind. Das hat eine internationale Studie ergeben, die gerade beim virtuellen European Respiratory Society International Congress vorgestellt wurde. 

Bei dieser Untersuchung handelt es sich deren Autorinnen und Autoren zufolge um die erste, für die Informationen zu Genvariante im Zusammenhang mit dem Body-Mass-Index (BMI) verwendet wurden, um herauszufinden, ob ein schlechtes Ansprechen auf ICS auf Übergewicht oder andere Faktoren – wie eine schlechte Luftqualität oder Zigarettenrauch – zurückzuführen ist.

Dr. Cristina Longo, zum Zeitpunkt der Studie Postdoktorandin am Amsterdam University Medical Center (Niederlande) und heute Assistenzprofessorin an der University of Montreal (Kanada), sagt: „Wir wissen, dass Kinder mit Asthma, bei denen die Symptome schlecht unter Kontrolle zu bringen sind, zu einer Gewichtszunahme neigen. Dies liegt möglicherweise daran, dass sie weniger Sport treiben. Kinder mit Asthma, die übergewichtig oder adipös sind, haben trotz der empfohlenen Behandlung mit ICS häufiger schlimmere Symptome. Das macht es nicht nur schwierig, ein gesundes Körpergewicht zu erreichen, sondern auch ihre Lebensqualität zu verbessern.”

Longo ergänzt: „Die Behandlungsleitlinien empfehlen Steroide für Kinder mit Asthma, die einen über dem Normalwert liegenden BMI haben. Unsere Forschungsgruppe war der Ansicht, dass der One-Size-Fits-All-Ansatz zur Behandlung von Kindern mit Asthma mit ICS als Erstlinientherapie, insbesondere bei Übergewicht, eine Überarbeitung rechtfertigt. Zumindest sollte die Erforschung möglicher alternativer Behandlungsmethoden gefördert und priorisiert werden, zumal 30 Prozent der Kinder mit Asthma auch adipös sind. Mit der zunehmenden Adipositasepidemie bei Kindern erwarten wir, dass dieser Prozentsatz steigen wird, was bedeutet, dass dieses Problem der schlechten Kontrolle in der klinischen Routine häufiger auftreten wird.“

Longo und ihre Mitautorinnen und -autoren analysierten für ihre eigene Arbeit Daten von 1511 Kindern mit Asthma im Alter zwischen zwei und 16 Jahren aus fünf Studien.* Alle Kinder verwendeten ICS. Ein schlechtes Ansprechen wurde als ein oder mehrere Asthmaanfälle definiert, die eine dringende medizinische Versorgung und/oder eine Behandlung mit oralen Corticosteroiden erforderten.

Entwicklung eines Risiko-Scores

Die Forschenden sammelten Informationen über Alter und Geschlecht der Kinder, Asthmadiagnose, Asthmamerkmale (z. B. Medikamente und kürzlich aufgetretene Exazerbationen), BMI, Allergien, Exposition gegenüber schädlichen Umweltauslösern wie Rauchen und genetische Varianten, die mit dem BMI-Status in Verbindung stehen. Daten zu diesen Genvarianten stammten von DNA, die aus Blut- und Speichelproben sowie Nasenabstrichen extrahiert wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten einen Risiko-Score: Je mehr BMI-bezogene genetische Varianten ein Kind aufwies, desto höher war dieser Score.

Die Forschenden verwendeten diesen genetischen Risiko-Score, um Anstiege und Abnahmen des BMI-z-Scores der Kinder vorherzusagen. Der BMI-z-Score schätzt, wie weit und in welche Richtung der BMI von dem durchschnittlichen „normalen“ Wert für ein sich gesund entwickelndes Kind gleichen Alters und Geschlechts abweicht. Ein BMI-z-Score von mehr als 1 deutet auf ein Risiko für Übergewicht hin, ein Wert von mehr als 2 auf bestehendes Übergewicht und ein Wert über 3 auf Adipositas.

Longo verwendete die vorhergesagten BMI-z-Werte, um die Unterschiede zwischen den Kindern in Bezug auf das Ansprechen auf ICS zu bewerten (Mendelsche Randomisierung). Wenn es bei Kindern mit einem hohen BMI-z-Score mehr Asthmaanfälle gab (d.h. sie hatten mehr Genvarianten die mit einer Anfälligkeit für einen höheren BMI-z-Score in Zusammenhang standen, und sie waren übergewichtig oder adipös) als bei Kindern mit einem niedrigen BMI-z-Score, bedeutete dies, dass dies höchstwahrscheinlich auf ihren BMI und nicht auf andere externe oder umweltbedingte Faktoren zurückzuführen war.

„Bei den 1511 Kindern mit Asthma, die ICS verwendeten, lag der durchschnittliche BMI-z-Score bei 0,69 und 318 (21%) waren adipös. Obwohl das schlechte Ansprechen auf ICS in den fünf internationalen Studien zwischen 20 und 80 Prozent lag, konnten wir schlüssig zeigen, dass sich der Anteil der Kinder mit schlechtem Ansprechen auf ICS mit jeder Erhöhung des BMI-z-Scores um eine Einheit mehr als verdoppelte“, berichtet Longo.

Individuellerer Therapieansatz ist nötig

„Diese Ergebnisse legen nahe, dass Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung von übergewichtigen und adipösen Kindern einen individuelleren Ansatz verfolgen müssen. Kinderärztinnen und -ärzte und Asthmaspezialistinnen und -spezialisten müssen sich dessen bewusst sein, dass Kinder mit einem höheren BMI möglicherweise ICS verwenden, ohne einen Nutzen davon zu haben. Ob jedoch alternative Behandlungsmethoden wie Biologika bei dieser Untergruppe von Kindern wirksamer sind, muss noch untersucht werden.“

„Für Kinder und deren Eltern geben unsere Ergebnisse Aufschluss über die Gründe, warum einige Kinder möglicherweise nicht wie erwartet auf die Verwendung ihres Steroidinhalators ansprechen, insbesondere wenn sie nach Beginn dieser Therapie häufiger Asthmaanfälle haben als erwartet“, fügt Longo hinzu. „Unsere Ergebnisse könnten auch der Katalysator sein, den Eltern und ihre Kinder brauchen, um ihre Ernährung umzustellen und sich mehr Bewegung zu verschaffen. Dies könnte den BMI-Status des Kindes und sein Ansprechen auf ICS verbessern“, so Longo.

Zu den Einschränkungen der Studie gehört unter anderem, dass die Daten in vier der fünf analysierten Arbeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben wurden und die Forschenden daher nicht immer sagen konnten, was zuerst kam: die ICS-Therapie oder der Asthmaanfall. Während viele der in die Studien eingeschlossenen Kinder bereits einige Zeit lang behandelt wurden, bevor man feststellte, ob sie die Kriterien für ein schlechtes Ansprechen auf ICS erfüllten, gab es möglicherweise einige, bei denen mit ICS-Therapie begonnen wurde, weil sie zuvor eine Exazerbation erlitten hatten.

In einem anderen Vortrag anlässlich des European Respiratory Society International Congress untersuchte Longo, ob genetische Varianten, die zuvor mit einem schlechten Ansprechen auf ICS in Verbindung gebracht wurden, häufiger bei adipösen als bei nichtadipösen Kindern mit Asthma auftraten.

Bedeutung einer bestimmten NEGR-1-Variante 

„Wir fanden heraus, dass eine bestimmte Variante des NEGR1-Gens bei adipösen Kindern deutlich häufiger vorkommt als bei nichtadipösen. Diese Variante wurde mit der Dysfunktion des Hormons Leptin in Verbindung gebracht, das das Hungergefühl reguliert. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine Leptin-Dysfunktion potenziell für ein schlechtes Ansprechen auf ICS bei Kindern verantwortlich sein könnte, die an einem mit Adipositas in Zusammenhang stehendem Asthma leiden“, erklärte die Forscherin.

Der Pneumologe Prof. Chris Brightling von der Universität Leicester (Großbritannien), der Vorsitzender des European Respiratory Society Science Council ist und an der Studie selbst nicht beteiligt war, sagte: „Das ist eine sehr gute und faszinierende Arbeit mit wichtigen und neuen Erkenntnissen. Sie beleuchtet das komplexe Zusammenspiel zwischen Genen, Körpergewicht und und dem Ansprechen auf ICS. Die Arbeit zeigt, das es notwendig ist, medikamentöse Therapien mit Veränderungen des Lebensstils und der Ernährung zu kombinieren. Politische Entscheidungsträger, Medizinerinnen und Mediziner sowie Familien müssen viel mehr tun, um die wachsende Adipositasepidemie bei jungen Menschen zu bekämpfen.“

* Bei den analysierten Studien handelte es sich um die folgenden:
Pharmacogenetics of Asthma medication in Children: Medication with Anti-inflammatory effects (PACMAN) study in The Netherlands, 2009-2012
Pediatric Asthma Gene Environment Study (PAGES) in Scotland, 2008-2011
Hartford–Puerto Rico (HPR) study in the US, 2009-2010
Clinical Asthma Research Association (CLARA) childhood asthma study in Germany, 2009-2014
Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) in England, 1991-1992