Interessenskonflikte verharmlosen? – AWMF weist Vorwürfe zurück

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Leitlinienwatch, Transparency International und MEZIS werfen den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften vor, Interessenkonflikte zu verharmlosen. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften weist die Vorwürfe zurück.

„Interessenkonflikte sind ein sensibles Thema, das eine differenzierte und ideologiefreie Betrachtung erfordert. Dazu verfolgen die drei Organisationen und die AWMF im Grundsatz die gleichen Ziele: Schaffung von Transparenz in Bezug auf sekundäre Interessen und Umgang mit Interessenkonflikten. Die AWMF hat hierzu wiederholt klare Regelungen und Handlungsempfehlungen herausgegeben“, betont die AWMF in einer Stellungnahme zu den von Leitlinienwatch, Transparency International und MEZIS in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme erhobenen Vorwürfen.

Die drei Organisationen werfen darin den Fachgesellschaften vor, Interessenkonflikte in Bezug auf Kooperationsformen der Zusammenarbeit von Wissenschaft und kommerziellen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft zu verharmlosen1. Es wird Bezug genommen auf die grundlegende Positionierung der AWMF2, die nicht kritisiert wird, sowie aktuelle Stellungnahmen zur Umsetzung konkreter Handlungsempfehlungen3,4.

In ihrer Stellungnahme erkennen die unterzeichnenden Organisationen an, dass eine Kooperation zwischen Angehörigen medizinischer Berufe und Industrie bei der Entwicklung neuer Behandlungsverfahren erforderlich ist. Wie die AWMF anmerkt, generiere dies in unvermeidbarer Weise Interessenkonflikte auf Seiten der involvierten Personen. Ein interessenkonfliktfreier Zustand an dieser Grenzfläche könnte nur hergestellt werden, wenn auf jede Berührung oder Austausch verzichtet würde. Die AWMF betont: „Im Sinne der Weiterentwicklung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten ist dies kein erstrebenswerter Zustand, sodass es folglich darum gehen muss, die Sichtbarkeit von sekundären Interessen und den Umgang mit Interessenkonflikten durch ein verbindliches Regelwerk transparent zu machen. Dabei verkennen jedoch die drei unterzeichnenden Organisationen, dass Interessenkonflikte sich nicht nur durch Kooperationen mit der pharmazeutischen Industrie ergeben können. Die AWMF unterscheidet in Einklang mit internationalen Positionen zwischen direkten, finanziellen und indirekten Interessenkonflikten5.“

Interessenkonflikte von Angehörigen medizinischer Berufe könnten im Bereich der Fortbildung, Kongresse und der Leitlinienarbeit sowie in Forschung und Entwicklung auftreten, so die AWMF. Ihre Aufgabe sei es, die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften dabei zu unterstützen, dort, wo sich Interessenkonflikte nicht vermeiden lassen, diese transparent sichtbar zu machen und verbindliche Regeln im Umgang damit zu definieren.

Im Bereich der Fortbildung werden vor allem Kofinanzierungen von Kongressen durch die Veranstaltung von begleitenden Industrieausstellungen als potenziell interessenkonfliktträchtig angesehen. Der von verschiedenen Seiten geforderte konsequente Verzicht auf diese Kofinanzierung werde nicht in jedem Fall gelingen, so die AWMF. Weiter heißt es: „Daher existieren für viele der veranstaltenden wissenschaftlichen Gesellschaften, die die AWMF vertritt, mindestens auf mittlere Sicht kaum vermeidbare Interessenkonflikte, die einen offenen und klar geregelten Umgang zur Sicherung der wissenschaftlichen Neutralität erfordern. Hierfür hat die AWMF im Februar dieses Jahres in Abstimmung mit der Bundesärztekammer stringente Regeln zur Sicherung einer inhaltlich von Sponsoren unabhängigen Durchführung von Kongressen veröffentlicht: durch Offenlegung aller sekundären Interessen der Beteiligten und eine klare Trennung von Marketing und wissenschaftlichen Inhalten4.“

Die AWMF verweist darauf, dass sie im Bereich der Leitlinienarbeit bereits 2017 umfangreiche, verbindliche Regelungen etabliert6 hat: Dabei erfolgt die Erklärung von sekundären Interessen sowie der Umgang mit Interessenkonflikten bei der Leitlinienerstellung nach einem klaren Regelwerk, das von der AWMF vorgegeben ist. Zudem hat die AWMF ein online-Portal etabliert, in welchem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Interessenerklärungen verwalten sowie deren Bewertung und daraus folgende Konsequenzen dokumentiert werden können7. „Dies ist international vorbildlich“, betont die AWMF.

Im Bereich der Forschung und Entwicklung ergibt sich die Gefahr von Interessenkonflikten unvermeidbar durch die Zusammenarbeit zwischen forschender Medizin und forschender Industrie. Die vielfach monierte Tatsache der industriedominierten Studienprotokolle und Datenverwertungen wird auch von der AWMF kritisiert, die dazu ausführt, dass diese Tatsache sich langfristig nur durch einen niederschwelligeren Zugang zu öffentlicher Finanzierung von klinischer Forschung korrigieren lassen werde. Nach Ansicht der AWMF sind die existierenden Programme öffentlicher Fördergeber derzeit nicht ausreichend, um den Bedarf an IITs (investigator initiated trials) zu finanzieren. „Auch hier hilft daher derzeit nur ein transparenter Umgang mit den Interessenkonflikten, die sich angesichts der aktuellen Förderlandschaft mittelfristig kaum vermeiden lassen. Ergänzend sind unbedingt Initiativen zu unterstützen, welche die Vermeidung von potentiellen Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die Durchführung klinischer Studien und die Verfügbarkeit von Studienergebnissen verfolgen8“, so die AWMF in ihrer Stellungnahme.

Das Fazit der Vertretung der Fachgesellschaften: „Interessenkonflikte zwischen wissenschaftlicher Medizin und Industrie sind im Sinne der Weiterentwicklung der medizinischen Therapien nicht immer vermeidbar. Die AWMF sieht ihre Aufgabe darin, Regelwerke für die Schaffung von Transparenz in Bezug auf das Vorliegen sekundärer (direkter finanzieller und indirekter) Interessen und den Umgang mit existierenden Interessenkonflikten zu definieren. Maximalforderungen oder gar eine unterschwellige Kriminalisierung helfen dabei nicht, da sie dort, wo eine Kooperation zwischen Medizin und Industrie notwendig ist, eine offene Kontaktnahme behindern. Dabei gilt, dass der Umgang mit Interessenkonflikten immer wieder neu beleuchtet und gegebenenfalls gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden muss. Die AWMF arbeitet daher stets an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung ihrer Empfehlungen und Regelungen im Austausch mit nicht-kommerziellen Akteuren im Gesundheitswesen. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Nutzen für die Patientinnen und Patienten auf Basis der evidenzbasierten Medizin.“