Interview zum West-Nil-Virus mit Prof. Martin Pfeffer und Prof. Katharina Lohmann von der Uni Leipzig

Prof. Martin Pfeffer und Prof. Katharina Lohmann Fotos: © Pfeffer/Lohmann

Mittendrin – statt nur dabei: Prof. Martin Pfeffer, Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, und Prof. Katharina Lohmann, Leiterin der Abteilung Innere Medizin und Reproduktionsmedizin der Klinik für Pferde, unterstützt durch Stefanie Ganzenberg, die zum West-Nil-Virus (WNV) promoviert, berichten über das WNV. Alle 3 sind an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig tätig. Leipzig befindet sich mittendrin im Infektionsgeschehen.

Das Interview führte Tierärztin Sigrun Grombacher. Es ist in Kompakt VetMed 03/2022 erschienen.

Pferde, Vögel, Wasser – da sind die Stechmücken auch nicht mehr weit. Foto: © Schwoaze – pixabay.com

Herr Prof. Pfeffer, mit was für einem Virus haben wir es beim WNV zu tun?

Pfeffer: Es handelt sich beim WNV um ein kleines, behülltes RNA-Virus mit nur ca. 50 nm Durchmesser und einem einzelsträngigen Genom mit nur etwa 11.000 Nukleotiden Länge. Es gehört zu einer Gruppe von Viren (Flaviviren), von denen andere, nahe verwandte Vertreter auch der Allgemeinheit gut bekannt sind, wie z.B. die Dengue-Viren, das Gelbfieber-Virus, das Japanische Enzephalitis-Virus und viele mehr. Neben der genetischen Verwandtschaft werden auch diese Viren durch Stechmücken übertragen. Wir sprechen deshalb von Arbo-Viren, ein Akronym, das sich an das englische arthropod-borne, also Gliederfüßler-übertragen anlehnt. Die Verwandtschaft zwischen diesen einzelnen Virusarten ist teilweise so eng, dass sie mit serologischen Testmethoden nicht eindeutig voneinander unterschieden werden können. Dies ist jedoch mit molekularbiologischen Methoden gut möglich. Hier können sogar einzelne Linien der Viren zweifelsfrei identifiziert werden. Das seit 2018 in Deutschland endemisch vorkommende WNV gehört der genetischen Linie 2 an.

Wie erfolgt eine Infektion mit dem West-Nil-Virus?

Pfeffer: Die Infektion erfolgt ausschließlich durch den Stich einer infizierten Stechmücke. Dies gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es keine Möglichkeit, sich mit der Nahrung, also alimentär zu infizieren. Laut RKI ist auch eine Übertragung durch Organtransplantation, durch Bluttransfusionen sowie während der Schwangerschaft möglich. Während der Stechmückensaison werden Blutprodukte in der Transfusionsmedizin auf WNV und das nahe verwandte Usutu-Virus getestet, welches schon etwas länger in Deutschland präsent ist und ebenfalls über Stechmücken auf den Menschen, sowie Tiere, übertragen wird.

Frau Prof. Lohmann, wie sieht das klinische Bild beim Pferd aus?

Lohmann: WNV Infektionen verlaufen bei Pferden, wie auch beim Menschen, wahrscheinlich in den meisten Fällen subklinisch, d.h. ohne erkennbare Symptome. Auf einer limitierten Anzahl von Studien basierend, wurde festgestellt, dass nur ca. 8% der naiven, ungeimpften Pferde nach einer Infektion neurologische Symptome aufgrund einer Encephalomyelitis entwickeln. Die Ausprägung der Klinik basiert dann primär auf der Lokalisation der entzündlichen Prozesse im zentralen Nervensystem. Als Symptome fallen am häufigsten Bewegungsstörungen auf, also vor allem eine Ataxie und Paresen einer oder mehrerer Gliedmaßen – bis hin zum Niedergehen und Festliegen. Muskelfaszikulationen im Kopf- und Halsbereich oder am ganzen Körper, sowie Ausfälle der Kopfnerven, z.B. Kau- und Schluckstörungen, Lähmungen der Gesichtsmuskulatur wie z.B. eine hängende Unterlippe oder eine Kopfschiefhaltung, werden auch häufig beobachtet. Manchmal sind auch Verhaltens- oder Persönlichkeitsveränderungen, Orientierungslosigkeit, Übererregbarkeit, sowie Lethargie oder ein gesteigert aggressives Verhalten beschrieben. So haben wir z.B. eine vorübergehende exzessive Schläfrigkeit (Narkolepsie) im Zusammenhang mit der Infektion beobachtet. Seltener kommt es zu Hyperästhesien, Zähneknirschen, Photophobie und Blindheit. Interessanterweise ist Fieber zum Zeitpunkt des Auftretens neurologischer Symptome kein zwingendes Krankheitszeichen bei der Infektion mit dem WNV, obwohl ich davon ausgehe, dass Pferde im Verlauf der Infektion Fieber zeigen werden. Besitzer, die täglich die Temperatur ihrer Pferde messen, könnten Fieber als ein frühes, unspezifisches Symptom der Erkrankung bemerken. Was die Anfälligkeit angeht, so sind vermutlich alle Pferde anfällig für die Infektion, es gibt meines Wissens keine eindeutig erwiesenen individuellen Risikofaktoren. Da die Infektion durch infizierte Stechmücken übertragen wird, liegt ein erhöhtes Risiko vor allem in endemischen Gebieten während der Stechmückensaison vor, so ist momentan das Risiko für Pferde in Mitteldeutschland höher als das für Pferde in anderen Landesteilen, und im (Spät) Sommer höher als während der anderen Jahreszeiten. In unserer Studie konnten wir auch zeigen, dass eine dauerhafte Freilandhaltung das Risiko einer Infektion erhöht. Da die Impfung gut gegen die klinische Erkrankung schützt, ist das Risiko einer klinischen Erkrankung bei ungeimpften Pferden höher, fast bis zu dem Punkt, an dem man die Erkrankung bei ausreichend geimpften Pferden differenzialdiagnostisch praktisch ausschließen kann.

In den USA sind bestimmte Vogelarten bereits bekannt, die das Virus besonders häufig beherbergen …

Pfeffer: Es gibt seit vielen Jahren ein Vogelmonitoring, bei dem sowohl tot aufgefundene Vögel als auch gefangene und nach dem Beringen wieder freigelassene Vögel auf verschiedene Pathogene getestet werden. Die Daten zu WNV und Usutu-Virus stammen fast ausschließlich von Totfunden und verendeten Vögeln aus Haltungen. Die Datenlage ist dennoch nicht so umfassend, wie in den USA, so dass man sagen könnte, dass bestimmte Vogelarten häufiger betroffen sind als andere. Dies liegt naturgemäß daran, dass eher größere oder auffällig gefärbte Arten entdeckt und einer Diagnostik zugeführt werden. So sprach man in Österreich um die Jahrtausendwende vom Amselsterben bei den damals festgestellten Usutu-Virusinfektionen, doch sehr schnell stellte man diese Infektion auch bei anderen Vogelarten fest. So kommt dem American Robin, dem amerikanischen Pendant zu unserem Rotkehlchen, eine besondere Bedeutung zu, weil mal Infektionen bei dieser Vogelart als „Anzeiger“ (Sentinel) für das Kursieren des Virus in einer bestimmten Region nimmt; aber in Deutschland können wir diese Rolle noch keiner bestimmten Vogelart zuweisen.

Wie wird eine WNV-Infektion beim Pferd diagnostiziert?

Lohmann: Da andere neurologische Erkrankungen ähnliche Symptome auslösen können, erfolgt die Diagnose einer WNV-Infektion zwingend anhand eines labordiagnostischen Nachweises. Dieser erfolgt im Blut vorrangig über die Detektion spezifischer Antikörper (AK) mittels Serologie. ELISA Testverfahren können AK vom Typ IgG, sowie während einer akuten Infektion auch AK vom Typ IgM nachweisen. IgM-AK persistieren ca. 3 -6 Monate im Blut, weshalb sie sich besonders für den Nachweis akuter Infektionen eignen, während AK vom Typ IgG bis zu 15 Monate persistieren. Aufgrund der von Prof. Pfeffer angesprochenen ausgeprägten Kreuzreaktionen innerhalb der Flaviviren sollten positive ELISA Befunde zwingend im Virusneutralisationstest verifiziert werden. Als anzeigepflichtige Tierseuche müssen akute WNV- Infektionen beim Pferd (IgM-ELISA-reaktive Seren) in Deutschland überdies durch das Nationale Referenzlabor am Friedrich-Löffler-Institut bestätigt werden. Theoretisch kann man im Blut auch virale RNA mittels real-time PCR nachweisen, allerdings ist die virämische Phase beim Pferd so kurz und schwach, dass dies in der Regel nicht gelingt. Postmortal kann man das Virus auch direkt in Hirn und Rückenmark nachweisen.

Welches sind die wichtigsten Differenzialdiagnosen beim Pferd?

Lohmann: Da kommen vor allem neurologische Erkrankungen mit ZNS-Symptomatik in Betracht. Hierzu zählen neben anderen viralen Infektionskrankheiten – wie der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), der equinen Herpesvirus-1-Meningoenzephalitis, Borna’schen Erkrankung oder auch der Tollwut – auch bakterielle Infektionen, Vergiftungen und Traumata. In einigen Publikationen ist beschrieben – und das entspricht auch unserer Erfahrung, – dass Pferde mit WNV-Infektionen zuweilen aufgrund von Koliksymptomen oder einem Verdacht auf Myopathien vorgestellt werden. Hier mag es sich um eine Verwechslung von Symptomen handeln, aber es ist wahrscheinlicher, dass sich die Symptome auch ganz verschiedener Krankheiten sehr ähneln können, was Tierärzte im Hinterkopf behalten müssen.

Ist guter Eigenschutz wichtig?

Lohmann: Die Gefahr einer Infektion durch Stechmücken besteht für alle Menschen, nicht nur für Tierärzte, und vorrangig in der Übertragungszeit von April bis November. In dieser Zeit sind die weiblichen Moskitos im Rahmen ihrer eigenen Eierproduktion auf Blutmahlzeiten angewiesen, sodass die Infektionsgefahr aufgrund des Stiches einer virustragenden Mücke am höchsten ist. Von den infizierten Pferden selbst geht im Rahmen des Übertragungszyklus keine Gefahr der Ansteckung für andere Individuen aus, da sie, wie auch der Mensch, als Fehlwirte gelten. Soweit wir bisher wissen, ist die Viruslast im Blut zu keinem Zeitpunkt ausreichend hoch, als dass es zu der Infektion einer naiven Mücke kommen kann. Auch scheiden die Pferde das Virus nicht über Nase, Kot oder ähnliches aus. Bei dem Umgang mit potenziell infektiösem Probenmaterial (Blut, Liquor) sollten trotz allem die nötigen Hygienemaßnahmen getroffen werden. Die größte Gefahr für (Pferde-)Tierärzte sehe ich allerdings während Sektionen, wo dann auch Gehirn und Rückenmark präpariert und untersucht werden. Hier besteht direkter Kontakt mit infizierten Geweben, und die Viruslast kann dann evtl. so hoch sein, dass ein Infektionsrisiko besteht.

Erkranken auch andere Tierarten?

Lohmann: AK gegen das WNV sind neben Vögeln und Pferden auch bei Katzen, Hunden, Nagetieren, Kamelen, Schweinen, Schalenwild und sogar Alligatoren nachgewiesen worden. Vor allem Hunde wurden in verschiedenen Seroprävalenzstudien als mögliche Sentineltiere beschrieben. Das Auftreten klinisch schwerer Verläufe der Infektion bei ihnen gilt jedoch als äußerst selten. Ich selbst habe, außer beim Pferd, WNV-Infektionen mit neurologischer Symptomatik bisher sonst nur bei Alpakas gesehen – diese sind auch in der Literatur beschrieben.

Wie ist die Verbreitung des WNV in Deutschland? Welchen Einfluss hat der Klimawandel?

Pfeffer: Eine Ausbreitung findet statt und wir wissen, dass es sich nicht um Neueinträge im Vergleich zum letzten Jahr handelt, sondern, dass WNV in Deutschland erfolg[1]reich überwintert. Dies tut es aller Voraussicht nach in überwinternden Stechmückenweibchen, die bei ihrer ersten Blutmahlzeit nach der Winterruhe einen lokalen Übertragungszyklus in Gang setzen. Dabei spielt die Temperatur eine maßgebliche Rolle, weil mehrere Aspekte bei den wechselwarmen Stechmücken durch höhere Temperaturen gefördert werden. Zum einen verläuft die Entwicklung der Stechmücken in den aquatischen Stadien der Larven und Puppen bei höheren Temperaturen viel schneller ab, d.h. es gibt mehr Stechmückengenerationen pro Jahr, und zum anderen wird die Zeitdauer verkürzt, die das WNV benötigt, um in der Stechmücke nach der Blutaufnahme in die Speicheldrüse zu gelangen und somit beim nächsten Stich wieder auf einen anderen empfänglichen Wirt übertragen zu werden. Somit sind höhere Temperaturen doppelt förderlich für die Ausbreitung von WNV und andere, durch Stechmücken-übertragene Viren. Das erklärt, warum diese Viren in wärmeren Regionen häufiger zu finden sind als in moderaten Klimaregionen. Allerdings darf es nicht so heiß werden, dass die kleineren Wasseransammlungen, die für die Vermehrung der Stechmücken benötigt werden, zu schnell austrocknen, weil die Stechmücken ihre Metamorphose bis zum flugfähigen adulten Stadium ohne Wasser nicht abschließen können. Generell sind neben den notwendigen Temperaturen für das Virus nur ausreichend Stechmücken und deren Wirte notwendig. Dies ist in ganz Deutschland gegeben. Interessant ist das Zeitfenster, welches das Virus benötigt, um sich zwischen den Vögeln und Stechmücken in solch einem Ausmaß zu vermehren, dass zum Spätsommer und Herbst hin die ersten Infektionen bei Menschen und anderen Säugetieren erfolgen.

Wie lässt sich die Ballung im ostdeutschen Raum erklären?

Pfeffer: Wenn Sie sich Klimaund Wetterkarten von Deutschland anschauen, so fallen immer 2 Regionen als am wärmsten auf: die Oberrheinische Tiefebene und das Ostdeutsche Tiefland. Da wundert es nicht, wenn genau in diesen Regionen die Viren ihre für Deutschland besten Vermehrungsgebiete finden. Und egal, welche Klimaprognose man zur Hand nimmt, so gehören diese 2 Regionen in Deutschland auch zu denen, wo sich dieser Wärmetrend am prominentesten fortsetzen wird. Dies war übrigens in Österreich bei dem ersten Auftreten des Usutu-Virus genauso: es war die warme Weinregion südlich der Hauptstadt, wo die Gegebenheiten eine autochthone Vermehrung von über Zugvögel eingeschleppten Arbo-Viren ermöglichte.

Zum Schutz von Pferden machen in erster Linie Impfungen Sinn …

Lohmann: Genau, den effektivsten Schutz vor dem Auftreten einer klinischen WNV-Infektion stellt die Impfung dar. So empfiehlt die StIKo Vet die Impfung gegen das WNV als sogenannte „Core“ Impfung für alle Pferde, die in den benannten Risikogebieten gehalten oder während der Stechmückensaison in diese verbracht werden. Der Impfschutz muss vollständig sein (Grundimmunisierung und jährliche Auffrischung), und die Grundimmunisierung sollte vor Beginn der Übertragungssaison, also etwa Anfang Mai, abgeschlossen sein. Weiterhin kann das Risiko einer Infektion durch den Schutz von Tieren und Mensch vor den Stichen potenziell infizierter Mücken gesenkt werden. Hierzu zählen die gängigen Maßnahmen wie die Nutzung von Fliegendecken und Fliegenschutzspray, die Beseitigung von Brutstätten für Mücken in Stallnähe, sowie die Vermeidung des Aufenthalts im Freien zur mückenaktiven Dämmerung. Eine Unterscheidung zwischen AK in Folge einer Impfung gegenüber jenen nach einer Feldinfektion ist theoretisch möglich, zumindest für einige Impfstoffe, aber gegenwärtig sind Tests nicht routinemäßig erhältlich.

Wie sieht ein effektives Mückenmanagement aus?

Pfeffer: Effektives Mückenmanagement heißt zunächst einmal integriertes Mückenmanagement. Man sollte also nicht unbedingt agieren, wenn es nicht notwendig ist. In dem derzeitigen Verbreitungsgebiet innerhalb Deutschlands würde ich Stallbesitzern empfehlen, stehende Wasseransammlungen wie z.B. Regentonnen regelmäßig auszuleeren und einen regelmäßigen Wasserwechsel durchzuführen, um die Entwicklung der Stechmücken zu unterbrechen. Bei kleineren Behältnissen kann auch ein Abdecken mit Mückengaze o.ä. hilfreich sein. Ist dies nicht möglich, wie z.B. bei kleineren Teichen oder anderen natürlichen Gewässern, so kann man mit BTI-Granulat, einem Fraßgift für die Stechmückenlarven, die Entwicklung zu den erwachsenen Stechmücken deutlich reduzieren. Auch wenn es sich dabei um ein natürliches Produkt handelt, sollte dies mit Augenmaß erfolgen. Die Bekämpfung der Entwicklungsstadien im Wasser ist aber in jedem Fall einfacher und erfolgreicher, als der Versuch die fliegenden Stechmücken selbst zu reduzieren.

Wie sieht die aktuelle Therapie einer WNV-Erkrankung beim Pferd aus?

Lohmann: Eine spezifische Therapie für die Infektion mit dem WNV existiert nicht. Die Therapie erfolgt daher in erster Linie symptomatisch und individuell auf den Patienten abgestimmt. Die Gabe von entzündungshemmenden Medikamenten und die Unterstützung des Energiemetabolismus des zentralen Nervensystems, sowie z.B. die intravenöse Flüssigkeitszufuhr sind dabei die Grundlage. Auch sollten inkoordinierte Pferde ruhig und sicher untergebracht werden, damit sie sich nicht verletzen, hierzu gehört ein rutschfester Boden und ausreichend Einstreu, gepolsterte Boxen sind evtl. in Tierkliniken vorhanden. Der Erfolg antiviraler Medikamente ist für diese Erkrankung beim Pferd noch nicht nachgewiesen. In den USA ist meines Wissens ein spezifisches Hyperimmunplasma erhältlich, was einen interessanten Therapieansatz darstellt.

Stichwort Anzeigepflicht: Welche Konsequenzen kann die Meldung haben für das betroffene Tier?

Lohmann: Akute WNV-Infektionen, die der Falldefinition des Friedrich-Löffler-Instituts entsprechen (https://www.openagrar.de/receive/openagrar_mods_00054077), sind in Deutschland anzeigepflichtig. Aufgrund der fehlenden Verordnung zur Anzeigepflicht existiert in Deutschland jedoch keine bundesweite Grundlage für ein Vorgehen und die Durchführung von Maßnahmen infolge einer Fallmeldung. Diese obliegen somit den zuständigen KollegInnen des Veterinäramtes des Landkreises, in welchem das betroffene Pferd gemeldet ist. Nach unseren Erfahrungen der letzten Jahre kam es in einzelnen Beständen zu amtlich verordneten Maßnahmen und Beprobungen der beistehenden Pferde; in der Mehrzahl der Fälle jedoch wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen.

Laufen Studien zum WNV bei Pferden an der Uni Leipzig?

Lohmann: Aktuell führen wir eine Verlaufsstudie zur Seroprävalenz der WNV Infektionen bei Pferden in Mitteldeutschland, sowie eine Risikofaktorenanalyse für das Auftreten klinischer Symptome durch. Für die Risikofaktorenstudie suchen wir Betriebe, auf denen in der aktuellen Saison eine WNV-Infektion bei mindestens einem Pferd auftritt, und dazugehörig Vergleichsbetriebe in unmittelbarer Umgebung ohne berichtete Fälle. Für die Studie zur Seroprävalenz rekrutieren wir ungeimpfte adulte Pferde aus größeren Betrieben (mindestens 5 Pferde) aus den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Gern können sich an einer Teilnahme interessierte Besitzer mit uns unter [email protected] in Verbindung setzen. Informationen zu den Studien finden sich auch auf der Homepage der Klinik für Pferde (https://www.vetmed.uni-leipzig.de/klinik-fuer-pferde/klinik/west-nil-virus-infektionen).

Wie ist das Management in Zoos?

Pfeffer: Zoos nehmen eine Sonderstellung ein, zum einen, weil sie seltene und auch nicht heimische Arten beherbergen, und zum anderen, weil sie durch eine exzellente tiermedizinische Betreuung relativ mehr Fälle wahrnehmen und melden, als dies sonst der Fall wäre. Sie sind sozusagen wichtige Frühanzeiger von ungewöhnlichen Ereignissen, zu denen eben auch Infektionserkrankungen zählen. Verschiedene Zoos in Mitteldeutschland beteiligen sich am Stechmückenmonitoring, um frühestmöglich über Virusaktivität informiert zu sein und so ggf. empfängliche Tiere in Innenanlagen zu verlegen.

Welche Erreger haben Sie auf dem Radar, wenn Sie über potenzielle zukünftige Pandemien nachdenken?

Pfeffer: Wenn wir bei Arbo-Viren bleiben, kommen eine ganze Reihe weitere, z.T. vielleicht sogar auch noch gar nicht bekannte Erreger in Frage, wenn Sie nur an Bluetongue-Virus oder Schmallenberg-Virus denken. Auch wäre das Virus der Afrikanischen Pferdepest zu nennen, welches genau wie die Vorgenannten durch Gnitzen übertragen wird. Bei den Stechmücken-übertragenen Viren kommen weitere Flaviviren in Betracht, aber auch das Rifttalfieber-Virus oder andere, derzeit noch auf Afrika oder den mediterranen Raum begrenzte Viren. Wenn wir nur die letzten beiden Jahrzehnte sehen, so müssen wir schlicht und einfach konstatieren: Nichts ist unmöglich und wir müssen potenziell eigentlich mit allem rechnen.

Auf dem Leipziger Tierärztekongress wird es mehrere Veranstaltungen zum WNV geben. Welche sind besonders empfehlenswert für den Praktiker?

Lohmann: Im Komplex „Infektionskrankheiten I“ am Donnerstag, dem 07.07.2022 ab 9:45 werden wir das Thema der equinen West Nil Virus Infektionen anhand dreier Vorträge genauer betrachten. Außerdem wird es eine Veranstaltung zum WNV bei Zoo- und Wildtieren, und einen Vortrag zur aktuellen Situation in Deutschland geben.

Herzlichen Dank für das Gespräch.