Interview zur Caninen Lafora-Krankheit mit Dr. Thilo von Klopmann und Prof. Kaspar Matiasek

Dr. Thilo von Klopmann, Tierklinik Hofheim und Prof. Kaspar Matiasek, LMU München Fotos: © von Klopmann/Matiasek

Neue Erkenntnisse auch für humanmedizinische Forschung von Bedeutung

Die Lafora-Krankheit ist eine erbliche, neurodegenerative Erkrankung, die klinisch vorwiegend durch eine progressive myoklonische Epilepsie gekennzeichnet ist. Sie tritt bei Menschen und Hunden auf und ist bisher nicht heilbar. Die Symptome können durch Medikamente gelindert werden. Eine aktuelle Studie hat sich mit dem Auftreten bei Hunden befasst.

Dr. Thilo von Klopmann ist Diplomate ECVN, Neurologie und seit 2012 als Neurologe in der Tierklinik Hofheim tätig. Er hat an der TiHo Hannover und am Tierspital Zürich studiert und über die idiopathische Epilepsie des Hundes promoviert.

Kaspar Matiasek ist Professor und Sektionsleiter für Klinische & Vergleichende Neuropathologie am Zentrum für klinische Veterinärmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er auch studiert und promoviert hat.

Herr Dr. von Klopmann, in einer aktuellen Studie haben Sie sich mit der Lafora-Krankheit bei Hunden befasst. Wie stellen sich Klinik und Pathogenese dar?

von Klopmann: Dem Patientenbesitzer fallen zunächst nur schwache Symptome wie Erschrecken seines Hundes ohne erkennbaren Grund auf. Häufig geht eine Rückwärtsbewegung des Hundes damit einher, was als Zurückweichen vor dem Besitzer fehlinterpretiert werden kann. Da die Symptome erst in der zweiten Lebenshälfte auftreten, nachdem also schon eine enge Bindung zum Besitzer besteht, erscheint dies umso unverständlicher für diesen. Im weiteren Verlauf werden die Symptome stärker; die Hunde zeigen – häufig getriggert durch Licht-/Schattenwechsel – einen temporären, in seiner Häufigkeit zunehmenden Myoklonus, der initial oft nur die Kopf-, dann aber auch die Gliedmaßenmuskulatur betreffen kann. Ohne therapeutisches Eingreifen kann sich der Myoklonus so verstärken, dass der Patient kaum mehr in der Lage ist, sich auf den Beinen zu halten. Begleitend treten häufig epileptische Anfälle auf. Durch einen bei einigen Rassen schon länger bekannten Gendefekt kommt es zu einer Fehlfunktion eines Enzyms, dem Laforin. Folge ist eine Akkumulation von Glucanen, sogenannten Lafora-Körpern u.a. in den Neuronen. Deren Funktion nimmt dadurch progressiv ab. Da die Lafora-Körper auch in anderen Körperzellen akkumulieren, ist ein Nachweis ebenfalls aus bestimmten Gewebeproben möglich. Da im Falle der Französischen Bulldogge bis dato kein Gentest etabliert war, haben wir den Nachweis anhand solcher Proben geführt.

Woran erkennt der Tierarzt, dass es sich bei einem Hund um die Lafora-Krankheit handeln könnte?

von Klopmann: Wie oben beschrieben ergeben sich die ersten Verdachtsmomente aus einer detaillierten Anamnese und dem Signalement. Eine Videodokumentation der Symptome durch den Besitzer ist dabei ergänzend sehr hilfreich.

Wie stellt sich das klinische Bild beim Menschen dar?

von Klopmann: Bereits die Einordnung in die Gruppe der progressiven Myoklonusepilepsien in der Humanmedizin zeigt, dass es sich um eine fortschreitende Erkrankung handelt, deren Symptome sich im Verlauf verstärken. Dies kann soweit führen, dass das Legen einer Magensonde erforderlich wird, um die Ernährung des Patienten sicherzustellen und um eine Aspirationspneumonie zu verhindern. Während die Symptome beim Hund erst im höheren Alter auftreten, werden diese beim Menschen bereits im Kindes- oder Jugendalter beobachtet.

Wie ist das diagnostische Vorgehen? Unterscheidet es sich von dem in der Humanmedizin üblichen?

von Klopmann: Da in der Veterinärmedizin bisher nur für einige Hunderassen ein Gentest zur Verfügung steht, fokussiert sich das diagnostische Vorgehen außerhalb dieser Rassen auf den Ausschluss metabolischer Ursachen durch eine Blutuntersuchung, sowie eine weiterführende Diagnostik in Narkose mittels MRT des Gehirns, Liquoruntersuchung und Entnahme von Gewebeproben. In der Humanmedizin kann u.a. mittels Hautbiospie ein Nachweis der Lafora-Körper erfolgen. Meist ist die Erkrankung auf eine bekannte Genmutation zurückzuführen, sodass hier ein Gentest wichtige weitere Hilfestellung zur Diagnosefindung leisten kann.

Herr Prof. Matiasek, Sie haben die pathologischen Untersuchungen in der aktuellen Studie durchgeführt. Wie stellt sich die Erkrankung aus Sicht des Pathologen dar?

Matiasek: Als zentralnervöse Krankheit liegt der Schwerpunkt der Veränderungen in Hirn und Rückenmark. Dort finden sich in zahllosen Nervenzellen die namensgebenden Lafora-Körperchen. Sie bestehen aus schwerlöslichen, abnorm vernetzten Zuckermolekülen, die in diesem Ausmaß nur bei der Lafora-Krankheit anzutreffen sind. Insofern ist der Gewebebefund auch bei fehlender genetischer oder biochemischer Absicherung beweisend. Zur Feststellung dieser Veränderungen ist allerdings eine Hirnsektion oder – im lebenden Patienten – eine Hirnbiopsie erforderlich. Bei eindeutiger Symptomatik und der Verfügbarkeit eines Gentests ist der Eingriff einer Hirnbiopsie jedoch nicht zu rechtfertigen. Hier gibt es aber die Möglichkeit, Einschlüsse in wenig invasiven Muskelbiopsien nachzuweisen. Der Nachweis ist etwas schwieriger und keinesfalls so spezifisch, aber er kann die Diagnose zumindest erhärten.

Inwieweit stimmen die Befunde bei Menschen und Hunden überein? Gibt es Unterschiede in der Pathologie oder Genetik?

Matiasek: Seitens der Pathologie sind sich die humane und canine Lafora-Krankheit ziemlich ähnlich. Beim Menschen finden sich Einschlüsse auch noch in bestimmten Hautdrüsen, was beim Hund deutlich schwächer ausgeprägt ist. Daher sind Hautbiopsien zur Diagnostik eher ungeeignet. Was die Genetik angeht, gibt es bei beiden Spezies Loss-of-function-Mutationen im sogenannten NHLRC1-Gen. Das Gen ist beim Menschen aber etwas anders aufgebaut, daher sind auch die Mutationen verschieden. Beim Menschen gibt es außerdem noch Lafora-Krankheit-verursachende Mutationen im sogenannten EPM2A-Gen. Diese scheinen beim Hund bislang keine Rolle zu spielen.

Die Erkenntnisse Ihrer Studie eröffnen neue Optionen für die Erforschung dieser fatalen Erkrankung.

von Klopmann: Ähnlich wie die kognitive Dysfunktion des Hundes, die mit vergleichbaren demenziellen Erscheinungen wie beim Menschen einhergeht, ist auch die Lafora Erkrankung ein interessantes Tiermodell. Das Tier durchläuft den gesamten Verlauf der Erkrankung in einer deutlich kürzeren Zeitspanne als der Mensch, wodurch in relativ kurzer Zeit viele Daten gesammelt werden können. Die Relevanz solcher Tiermodelle zeigt sich auch daran, dass nach unserer ersten Veröffentlichung im Rahmen einer Posterpräsentation Kollegen aus der Humanmedizin auf uns zugekommen sind, um eine Kooperation zu initiieren.

Was kann bis zum jetzigen Zeitpunkt zum Vorkommen der Lafora-Erkrankung gesagt werden – bei Mensch und Hund?

Matiasek: Beim Menschen geht man von einer Erkrankungsrate von etwa 4 Personen pro 1.000.000 Einwohner aus. Auch beim Hund ist die Krankheit selten und tritt eher sporadisch auf. Es gibt daher so gut wie keine Schätzungen bezogen auf die Gesamthundepopulation. Einige Rassen sind allerdings klar überrepräsentiert, wie der Zwerg-Rauhaardackel, Basset, Beagle, Pointer, Miniatur-Pudel und Welsh Corgi. In Großbritannien schätzt man das Vorkommen von Mutationsträgern in der Rauhaardackelpopulation sogar auf 34% und das von klinisch betroffenen Hunden auf 6%.

Heilbar ist die Erkrankung nicht, aber ihre Symptome sind linderbar. Welche therapeutischen Möglichkeiten stehen dem tierärztlichen Praktiker zur Verfügung?

von Klopmann: Die Therapie fokussiert sich auf die Verabreichung von anfallshemmenden Medikamenten. Hier hat sich besonders die Gabe von Levetiracetam in vielen Fällen als sehr erfolgreich herausgestellt. Darüber hinaus kann eine reizarme Umgebung, etwa das Aufsetzen einer Sonnenbrille und Vermeidung individueller Stressfaktoren das Krankheitsbild lindern.

Sind noch andere Tierarten von der Lafora-Krankheit betroffen nach derzeitigem Kenntnisstand?

Matiasek: Es gibt einige seltene Fälle von Lafora-Krankheit bei der Hauskatze und, wenn man genauer schaut, wird man sie sicher noch in weit mehr Spezies finden, allerdings nur in Form von Einzelfällen. Was uns im Moment mehr umtreibt, sind neuromuskuläre Katzen- und Hundepatienten mit Lafora-ähnlichen Einschlüssen in peripheren Nerven und Muskelfasern, deren Ursache wir noch nicht kennen. Bei diesen steht Muskelschwäche im Vordergrund, wobei das zentrale Nervensystem verschont bleibt. Wir werden sehen, was sich hier in der nächsten Zeit tut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview, das in Kompakt VetMed 05/2021 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher.

Studie:

Life | Free Full-Text | Canine Lafora Disease: An Unstable Repeat Expansion Disorder (mdpi.com)