Kalziumkanal im Ohr: Wie ein winziger Fehler das Hören beeinflusst4. Juli 2025 Erstautorin Nare Karagulyan, Postdoktorandin am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Mitglied des Hertha Sponer Colleges am Göttinger Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging” (MBExC). Foto: umg/swen pförtner Minimale Veränderung eines einzelnen Ionenkanals erhöhen die Empfindlichkeit der Sinneszellen im Innenohr. So werden bereits leise Geräusche besser wahrgenommen, verursachen aber eine anhaltende Überlastung, die Hörverlust begünstigen kann. Bei der Signalübertragung von Haarsinneszellen auf Hörnervenzellen spielen Kalziumkanäle des Typs CaV1.3 eine entscheidende Rolle. Sie reagieren sehr empfindlich auf Spannungs-änderungen in der Zelle, die sich durch das eintreffende Schallsignal ergeben. Der Funktionsverlust dieser Kanäle kann zu Beeinträchtigungen führen, die von Hörproblemen bis hin zur Taubheit reichen. Mögliche Ursachen für diesen Funktionsverlust können minimale Veränderungen im Erbgut sein, wodurch es zu einer fehlerhaften Bildung des Kanals kommt. Ein Forschungsteam um Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Sprecher des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC), hat nun den Einfluss eines genetisch veränderten CaV1.3-Kanals, kurz CaVAG, auf die Schallverarbeitung zwischen Haarsinneszellen und Hörnervenzellen im Tiermodell untersucht. Die CaVAG-Variante basiert auf einer winzigen Veränderung im Bauplan des Kalziumkanals, weist aber im Vergleich zu dem intakten Kanal eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Spannungsänderungen in der Haarsinneszelle auf. Das bedeutet, dass der CaVAG-Kalziumkanal eine niedrigere Aktivierungsschwelle hat und sich auf den gleichen Reiz viel eher öffnet als ein intakter Kanal. Die CaVAG-Variante des CaV1.3-Kanals ist auch bereits beim Menschen beschrieben und wird mit einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrums-Störungen bei Kindern in Zusammenhang gebracht. Reizschwelle der Hörnervenzellen herabgesetzt Die Göttinger Forschenden und ihre Kooperationspartner vom Shanghai Institute of Precision Medicine in China und von der Universität Innsbruck, Österreich, konnten erstmals zeigen, dass die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle in den Haarsinneszellen die Aktivierung der nachgeschalteten Hörnervenzellen direkt beeinflusst und deren Antwortverhalten auf Schallsignale steuert. Durch die höhere Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle gegenüber den Spannungsänderungen der Haarsinneszellen wird somit auch die Reizschwelle der Hörnervenzellen herabgesetzt, die die Geräuschinformation an das Gehirn weiterleiten. Dies beeinflusst auch die spontane Aktivität der Hörnervenzellen, die nun auch ganz ohne Schallreiz, bei völliger Stille, aktiver sind als normal. „Die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Variante des Kalziumkanals hilft zwar kurzfristig, leise Töne besser wahrzunehmen, aber im Tiermodell zeigte sich, dass einige Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen langfristig ihre Struktur verlieren – und zwar ganz ohne laute Musik oder sonstige Lärmeinwirkung. Allein der ‚normale’ Geräuschpegel im Tierhaus reicht dafür offenbar aus. Es sieht so aus, als würde der durch die genetische Veränderung verursachte überaktive Kalziumeinstrom das System überlasten“, erläutert Moser, Letztautor der Studie. „Wir könnten hier auf molekularer Ebene eine neue Form der schleichenden Hörschädigung sehen – eine Art versteckten Hörverlust, den man mit normalen Hörtests aktuell gar nicht erfassen kann.“ Was bedeutet das für den Menschen? Über das Hörvermögen der Betroffenen, die den Kalziumkanal in der CaVAG-Variante tragen, weiß man kaum etwas, da die Schwere der Erkrankung eine Untersuchung nahezu unmöglich macht. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass solche Menschen vermutlich besonders empfindlich hören und gleichzeitig sehr anfällig für Lärmschäden sind. Die Studie legt daher nahe, Betroffene audiologisch langfristig zu begleiten – und auch über einen vorbeugenden Gehörschutz bei alltäglichem Lärm nachzudenken.
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