Kapsel von Bakterien im Reagenzglas nachgebaut

Haben eine Bakterienkapsel im Reagenzglas nachgebaut (v.l.): Prof. Tanja Schneider, Dr. Marvin Rausch, Julia Deisinger und Dr. Anna Müller. Foto: © Barbara Frommann/Uni Bonn

Manche Bakterien verfügen über eine Kapsel aus miteinander vernetzten Zuckermolekülen. Forscher diese im Labor nachgebaut. Die Arbeit identifiziert auch mögliche Angriffspunkte für neue Medikamente.

Die Kapsel ist ein komplex aufgebautes Zucker-Polymer, in das sich manche Mikroorganismen hüllen können. Sie macht die Bakterien für das Immunsystem unsichtbar. Außerdem ist sie eine Barriere für Abwehrstoffe, etwa bestimmte Antibiotika. Könnte man die ihre Bildung verhindern, würde das Krankheitserregern daher einen schweren Schlag versetzen. „Dennoch wissen wir noch erstaunlich wenig darüber, wie die Kapsel entsteht“, erklärt Prof. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn.

In ihrer aktuell erschienenen Studie haben Wissenschaftler die Kapsel des weit verbreiteten Keims Staphylococcus aureus „nachgebaut“. Staphylokokken zählen zu den so genannten gram-positiven Bakterien. Sie verfügen über die Fähigkeit, eine Kapsel zu bilden.

Hülle nach dem „Zwiebel-Prinzip“

Staphylococcus ist – vereinfacht gesagt – von drei verschiedenen Hüllschichten umgeben. Die innerste davon ist die Membran. An sie schließt sich eine Wand aus eng vernetzten Zucker-Peptid-Fasern an, dem Murein. Erst Ganz außen aufgelagert kommt die Kapsel.

Es war bereits bekannt, dass an ihrer Entstehung 16 verschiedene Enzyme beteiligt sind. Diese sind an und in der Membran befestigt und funktionieren nur in diesem Zustand – ein wesentlicher Grund, warum sie so schwer zu untersuchen sind. Dazu haben die Forscher die Kapsel-Enzyme isoliert, gereinigt und zusammen mit Membran-Bestandteilen in ein Reagenzglas gegeben. „Wir haben so die natürlichen Bedingungen nachgestellt“, erklärt Schneiders Mitarbeiter Dr. Marvin Rausch. „Auf diese Weise konnten wir die katalysierten Reaktionen analysieren, aber auch untersuchen, wie diese koordiniert werden.“

Dabei hat die Gruppe, zu der auch Forscher aus England und den USA zählten, einige unerwartete Entdeckungen gemacht. So ist die Kapsel-Synthese auf eine Art Lieferservice angewiesen. Dieser bringt Ausgangsstoffe zu den entsprechenden Enzymen. Interessanterweise wird dieser Bringdienst aber auch noch für einen anderen Zweck genutzt: als Zulieferer für die Mureinwand-Synthese. „Diese Wand ist für die meisten Bakterien lebenswichtig“, betont Schneider. „In Staphylococcus aureus darf die Kapsel daher erst synthetisiert werden, wenn die Wand fertig ist.“

Ein Enzym namens PknB sorgt dafür, dass diese Abfolge eingehalten wird. Solange der Lieferservice noch Murein-Bestandteile transportiert, sorgt PknB dafür, dass die Kapsel-Synthese abgeschaltet bleibt. Danach aber switcht das Bakterium radikal um: Sobald die Herstellung der Kapsel beginnt, springt ein anderes Enzym namens CapA an. Dieser Katalysator wird durch Zwischenprodukte zusätzlich aktiviert. Dadurch kommt eine positive Feedback-Schleife in Gang, die CapA gewissermaßen zu Höchstleistungen anspornt.

Neue Wirkstoffe dringend benötigt

Sowohl CapA als auch PknB eignen sich womöglich als Ziel für neue Medikamente. „Außerdem haben wir ein Molekül identifizieren können, das die Kapsel an der Murein-Wand verankert“, sagt Schneider. „Möglicherweise eröffnet sich dadurch eine weitere therapeutische Option.“

In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler in riesigen Substanz-Bibliotheken nach Wirkstoffen fahnden, die sich gegen die gefundenen Strukturen richten. Bis daraus neue Medikamente entstehen, werden aber wohl selbst im Idealfall noch viele Jahre vergehen. „Dennoch ist diese Arbeit ausgesprochen wichtig“, erklärt Schneider. „Zwar ist es durch verschiedene Maßnahmen gelungen, Infektionen durch Staphylokokken etwas besser in den Griff zu bekommen. Die Erfahrung lehrt aber, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen: Irgendwann entstehen neue Resistenzen, und dann sollten wir vorbereitet sein.“