Kardiologe warnt: Verkehrslärm gefährdet die Gesundheit

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Viele Menschen in Europa sind hohem Verkehrslärm ausgesetzt − mit teilweise dramatischen gesundheitlichen Folgen. Die Lärmvermeidung müsse ein zentraler Pfeiler kardiovaskulärer Präventionsstrategien werden, fordert der europäische Experte und Umweltkardiologe Thomas Münzel.

Mehr als jeder fünfte Europäer ist einem Report der Europäischen Umweltagentur EEA zufolge ungesund hohen Verkehrslärmpegeln ausgesetzt. In Deutschland sind es dem Bericht zufolge mit fast 22 Millionen Menschen rund 26 Prozent der Bevölkerung (wir berichteten). Und das hat verheerende Folgen. Die EEA macht die chronische Belastung durch Verkehrslärm in Europa unter anderem für jährlich 66.000 vorzeitige Todesfälle, 50.000 neue Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 22.000 neu diagnostizierte Fälle von Typ-2-Diabetes verantwortlich. Für Kardiologen und Experten für öffentliche Gesundheit ist die Botschaft klar: Lärm ist nicht mehr nur eine Belästigung – er ist ein wichtiger veränderbarer Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen.

Herz- und metabolische Erkrankungen durch Lärm

„Als Kardiologe begrüße ich diesen Bericht als längst überfälligen Weckruf. Die Daten zeigen eindeutig, dass die chronische Belastung durch Verkehrslärm eine große Gefahr für die kardiovaskuläre und metabolische Gesundheit darstellt, vergleichbar mit Rauchen, Diabetes, Hypercholesterinämie und Bluthochdruck“, wird Prof. Thomas Münzel bei der Podiumsdiskussion der EEA von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zitiert. Münzel ist Vorsitzender der Task Force für ökologische Nachhaltigkeit der ESC und Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz.

Der EEA-Bericht hebt die biologischen Mechanismen hervor, durch die Lärm Krankheiten auslöst: erhöhte sympathische Aktivität, Schlafunterbrechungen, Störung des Tagesrhythmus, oxidativer Stress, systemische Entzündungen und endotheliale Dysfunktion. Diese Mechanismen begünstigen Bluthochdruck, Arteriosklerose, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Herzinsuffizienz.

EU-Grenzwerte noch deutlich zu hoch

Es gibt Belege dafür, dass bereits bei einem ganztägigen Lärmindex (Lden) von 45 dB – weit unter den derzeitigen gesetzlichen EU-Grenzwerten von 55 dB – negative Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System auftreten. „Die Wissenschaft ist eindeutig: Nachtlärm stört die autonome Erholung und den Tiefschlaf und erhöht das Risiko akuter kardiovaskulärer Ereignisse. Die Regulierung muss hier nachziehen“, erklärt Münzel. Besonders gefährdet sind vulnerable Bevölkerungsgruppen: Kinder, ältere Menschen, Schwangere, Schichtarbeiter, Menschen mit psychischen Erkrankungen und vor allem Patienten mit vorbestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für diese Gruppen wirkt Lärm wie ein starker Krankheitsverstärker, der die Prognose verschlechtert und die Sterblichkeit erhöht.

Der EEA-Bericht 2025 befürwortet nachdrücklich die Angleichung an die WHO-Richtwerte von 40 dB für den nächtlichen Lärmindex (Lnight; 22 bis 6 Uhr) sowie 45 dB für den ganztägigen Lärmindex Lden und fordert eine dringende Reform der Vorschriften. Münzel betont: „Wenn wir Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle und Diabetes ernsthaft verhindern wollen, muss die Lärmminderung zu einem zentralen Pfeiler der Präventionsstrategien für Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden.“

Aufnahme von Umweltfaktoren in Präventionsleitlinien

Der ESC zufolge arbeitet die interne Taskforce für ökologische Nachhaltigkeit unter der Leitung von Münzel bereits daran, Lärm und Luftverschmutzung in die Leitlinien zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzunehmen. „Umgebungslärm ist nicht mehr nur ein städtebauliches Problem. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall, der die sofortige Aufmerksamkeit von Ärzten, Pädagogen und politischen Entscheidungsträgern gleichermaßen erfordert“, verdeutlicht Münzel.