Kardiovaskuläre Risikofaktoren verringern die Lebenserwartung erheblich

Symbolfoto: ©piter2121/stock.adobe.com

Wie viel Lebenszeit pro Person geht durch die „Big Five“ der Herz-Kreislauf-Risikofaktoren verloren? Dieser Frage ging ein internationales Forschungsteam unter deutscher Leitung nach. Ihre Erkenntnisse publizierten sie jüngst im „New England Journal of Medicine“.

Die Veröffentlichung der Studienergebnisse erfolgte im Rahmen der Jahrestagung des American College of Cardiology. Die groß angelegte Untersuchung wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durchgeführt – gemeinsam mit rund 120 Forschenden weltweit.

„Die fünf klassischen Risikofaktoren Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes, Unter- oder Übergewicht beziehungsweise Adipositas, und hohe Cholesterinwerte sind weltweit für etwa die Hälfte aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich. Wir wollten wissen, wie sich die Abwesenheit oder Kontrolle dieser Faktoren auf die Lebenszeit auswirkt“, sagt Prof. Christina Magnussen, Erstautorin und stellvertretende Direktorin der Klinik für Kardiologie des UKE.

Um dies zu berechnen, hat die Forschungsgruppe des Global Cardiovascular Risk Consortium Daten von mehr als zwei Millionen Erwachsenen aus 39 Ländern analysiert. Mittels einer Modellberechnung konnten sie das Risiko für ein Herz-Kreislauf-Ereignis – etwa Herzinfarkt oder Schlaganfall – und das Sterberisiko vorhersagen – für Menschen mit oder ohne diese Risikofaktoren.

Bei Vorliegen von fünf Risikofaktoren: Mehr als zehn Jahre Lebenszeitverlust

Zwar hätten auch Personen ohne Risikofaktoren ein Risiko für ein Herz-Kreislauf-Ereignis in ihrem Leben: Männer eines von 21 Prozent und Frauen von 13 Prozent. Aber: Bei Frauen im Alter von 50 Jahren mit allen fünf Risikofaktoren würde ein Herz-Kreislauf-Ereignis im Schnitt 13,3 Jahre früher auftreten als bei Gleichaltrigen ohne diese Risikofaktoren – bei Männern sind es knapp 10,6 Jahre. Auch deren Lebenserwartung sinkt: Frauen sterben durchschnittlich 14,5 Jahre, Männer 11,8 Jahre früher.

Doch der Lebensstil kann diesen Verlauf beeinflussen. Laut Studie verlängert sich das Leben um 1,7 Jahre, wenn zum Beispiel Bluthochdruck im Alter zwischen 55 und 60 Jahren erfolgreich gesenkt wird. Wer in diesem Alter mit dem Rauchen aufhört, kann sogar mehr als zwei zusätzliche Lebensjahre gewinnen. Diese beiden Risikofaktoren anzugehen, bietet der Studie zufolge das größte Potenzial für gesundheitliche Verbesserungen.

Prävention auch im Alter noch relevant

Ausgewiesene Experten halten die Studie für äußerst relevant. „Diese Arbeit ist von großer Bedeutung, da sie zeigt, dass man mit rund 50 Jahren noch einiges an seinem Lebensstil beziehungsweise in der Prävention auf individuellem Level ändern kann, um damit seine Lebenserwartung relevant zu beeinflussen“, äußert beispielsweise Prof. Holger Thiele, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, gegenüber dem Science Media Center (SMC).

Als „etwas überrraschend“ bezeichnet Dr. Katrin Gebauer, Oberärztin der Klinik für Kardiologie I und Leiterin des Zentrums für Prävention von Herz- und Gefäßerkrankungen, Universitätsklinikum Münster, den in der Studie beobachteten geringen Effekt des Non-HDL-Cholesterins selbst nach Harmonisierung der Datenlage. Sie verweist auf andere prospektive Untersuchungen, die diesem Parameter eine stärkere Bedeutung zumessen. „Insbesondere Werte von mehr als 135 mg/dl Non-HDL-Cholesterin in einem frühen Erwachsenenalter sind demnach mit einem bis zu vierfach erhöhten Risiko für Atherosklerose-Erkrankungen verbunden“, so Gebauer.

Auch Thiele zeigt sich überrascht, dass hohe Non-HDL-Cholesterinwerte und der Body-Mass-Index nur einen bedingten Einfluss zu haben scheinen. „Hier gibt es U- beziehungsweise J-Kurven, die ein unterschiedliches Risiko für die Entstehung einer kardiovaskulären Erkrankung oder Tod zeigen. Das ist sicherlich schwierig statistisch zu adjustieren“, erklärt er.

Politische Maßnahmen zur kardiovaskulären Prävention in Deutschland

Die Experten sind sich jedoch einig: Die Studienergebnisse verdeutlichen, wie stark sich eine gezielte Prävention auf die Lebenserwartung auswirken kann. Dennoch spiegelt sich dieses Wissen bislang kaum in der Gesundheitspolitik wider. In Deutschland mangelt es weiterhin an umfassenden gesetzlichen Maßnahmen zur systematischen Vorsorge. So verabschiedete das Bundeskabinett im vergangenen Jahr zwar einen Entwurf für ein Gesundes-Herz-Gesetz (GHG), wie es nach dem Bruch der Ampel-Koalition mit ihm weitergeht, ist bislang allerdings unklar. Der Gesetzentwurf befindet sich weiterhin im parlamentarischen Prozess und ist noch nicht rechtskräftig. Konkret sieht das GHG vor, durch erweiterte Früherkennungsuntersuchungen Risikofaktoren frühzeitig zu identifizieren. Vorgesehen sind gestaffelte Check-ups für Erwachsene sowie eine verstärkte Einbindung von Apotheken in die Beratung. Auch der Zugang zu Medikamenten zur Cholesterinsenkung und Tabakentwöhnung soll erleichtert werden.

„Es bleibt zu hoffen, dass die Initiative des Bundesgesundheitsministeriums aus der letzten Legislaturperiode seine Fortsetzung mit der neuen Regierungskoalition findet und ein Schwerpunkt auf (kardiovaskuläre) Prävention in Deutschland gelegt wird“, hebt der Kölner Universitätsprofessor Stephan Baldus, Direktor der Klinik III für Innere Medizin, hervor. Er kritisiert, dass in Deutschland eine auf Prävention fokussierte Gesundheitsversorgung bisher nur ungenügend umgesetzt werde. So gibt es hierzulande kein Früherkennungsprogramm der angeborenen Hypercholesterinämie bei Kindern, kein auf Einladung basierendes Präventionsprogramm zur Erkennung von Bluthochdruck, Diabetes oder Niereninsuffizienz und nur ein ungenügendes Raucher-Entwöhnungsprogramm.

„Die Ergebnisse unterstreichen nachdrücklich die Ziele der Nationalen Herzkreislaufinitiative und des Entwurfes für ein Gesundes-Herz-Gesetz“, meint auch Prof. Ulrich Laufs Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Leipzig. „Auf der Ebene der individuellen Prävention unterstützen die Daten nachdrücklich die Forderung nach einem Angebot der Untersuchung der Risikofaktoren im frühen Lebensalter für alle Personen.“

Ein weiteres vielfach diskutiertes Gesetzesvorhaben ist die Zuckersteuer. Während Länder wie Großbritannien mit einer Abgabe auf zuckerhaltige Getränke Erfolge verbuchen, bleibt Deutschland bislang zögerlich. Kritiker bemängeln, dass eine solche Steuer vor allem einkommensschwache Haushalte treffen würde und nur begrenzten Einfluss auf das Konsumverhalten hätte. Befürworter hingegen argumentieren, dass finanzielle Anreize erwiesenermaßen dazu beitragen können, ungesunde Lebensmittel zu reduzieren.

Prävention funktioniert nur mit Aufklärung

„Die Konsequenz ist relativ einfach: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“, betont Prof. Andreas Zeiher im Zusammenhang mit den Studienergebnissen. Nach Ansicht des außerordentlichen Professors für Kardiologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a.M. und ehemaligen Präsidenten der DGK könnte die Studie von Christina Magnussen eine „wunderbare Grundlage“ für eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit sein. Denn: „Die fünf ‚modifizierbaren‘ Risikofaktoren sind nicht nur für 50 Prozent der globalen Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Ereignisse verantwortlich, sondern beeinflussen massiv und wie keine andere Erkrankung die Lebenserwartung ab dem 50. Lebensjahr. Diese Tatsache dürfte doch genügend ‚Nahrung‘ bieten für eine überzeugende, die Menschen erreichende Öffentlichkeitsarbeit.“

(ah)