„Karriere muss nicht im ‚gestreckten Galopp‘ erfolgen“26. April 2024 Symbolfoto: nataliaderiabina/stock.adobe.com Sind Schwangerschaft, Elternzeit und Familie Stolpersteine für die Karriere oder eine Chance? Mit Vorträgen aus verschiedenen Blickwinkeln – aus Sicht einer Chefärztin, einer Oberärztin, einer chirurgisch tätigen Fachärztin und eines Arztes in Weiterbildung nach Elternzeit in Teilzeit – sowie mit einer Diskussionsrunde versuchte die Session zum Thema auf der diesjährigen VSOU-Frühjahrstagung eine Antwort zu geben. Einig waren sich alle Vortragenden, dass Karriere weder geradlinig noch besonders schnell verlaufen muss: „Karriere muss nicht in ‚gestrecktem Galopp‘ erfolgen“, stellte Elisabeth Eißner Chefärztin einer Reha-Klinik in Lippstadt fest. Das Wort Karriere beschreibt nämlich nicht nur das berufliche Vorankommen, sondern auch den Galopp im Pferdesport. Für eine Karriere in leitender Position sei mehr nötig als Fachwissen – Elternzeit ist für Eißner kein Verlust an Qualifikation. Man gewinne organisatorische Fähigkeiten, Soft Skills oder die Fähigkeit, Probleme schnell zu lösen. Elternzeit sollte auch kein Stolperstein für die Karriere sein. Das heißt nicht, dass es in der praktischen Umsetzung keine Probleme gibt – als Beispiel nannte die Chefärztin die Beschränkung der Weiterbildung auf 72 Monate oder die Tatsache, dass Betreuungszeiten in der Kindertagesstätte oft nicht zur ärztlichen Arbeitszeit in einer Klinik passen. Insgesamt konstatierte sie: „Wir sind hier in Deutschland auch sehr auf kleine Kinder fokussiert.“ Kinder bräuchten aber auch später noch Unterstützung. Eißner nannte Schweden als positives Beispiel, wo Eltern bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes in Elternzeit gehen können. Aber Elternzeit in der Niederlassung ist nicht einfacher, wie Eißner weiter ausführte: Die Zulassung einfach ruhen zu lassen und die Praxis zu schließen gehe, muss aber beim Zulassungsausschuss beantragt werden. Aber praktisch gehe das eigentlich nicht, denn es stellten sich Fragen nach Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen oder der wirtschaftlichen Absicherung. Weiterbildungsassistenten anzustellen ist Eißner zufolge in mehreren Abschnitten bis zu drei Jahre möglich – aber man müsse die Position auch besetzten können. Ein Problem, dass sich auch im Falle einer Vertretung stellt, auch wenn das nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung bis zu zwölf Monate möglich ist. Und dass Praxisausfallversicherungen nicht im Fall einer Schwangerschaft greifen, nannte Eißner „im Grunde lächerlich“. Allerdings fiel ihr auch ein positiver Aspekt ein, nämlich die Flexibilität, das Kind in die eigene Praxis mitbringen zu können. Als einfachste Lösung für die Vereinbarung von Elternzeit und Arbeit in der Niederlassung empfahl Eißner die Anstellung in einem MVZ. Die Chefärztin in einem kleineren Haus ging zudem auf die Arbeitnehmersicht ein. Hier bereite Elternzeit Probleme in der Personalplanung, da die Stellenpläne knapp seien und teilweise unterbesetzt. Die Gestaltung der Dienstpläne ist schwierig. Und oft würden Stellen auch nicht nachbesetzt, weiß Eißner aus eigener Erfahrung. Als Fazit mahnte Eißner an, die „eigene Sozialisation als ‚alte Chefärztinnen und -ärzte‘ sehr kritisch zu hinterfragen“ und nichtlineare Karrieremodelle anzubieten, die individuellen Lebensentwürfen Rechnung tragen. „Es gibt noch andere Wege als geradeaus im Krankenhaus“, betonte PD Dr. Josephine Groch aus Stuttgart, die selbst Oberärztin ist. Gerade das Fach O & U biete viele Möglichkeiten, wenn man den Facharzttitel in der Tasche habe. Groch stellte aber für das Fach auch fest, dass es hier weniger Frauen gibt als in anderen Fächern, gerade in leitender Position. So waren laut Bundesärztekammer von 943 Personen, die den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie erworben haben, nur 250 (26,5 %) Frauen. Für die Elternzeit zeige sich „eine deutliche Diskrepanz“ zwischen den Geschlechtern: In Elternzeit gingen 7395 Ärztinnen, aber nur 217 Ärzte, was einem Anteil von 2,9 Prozent der insgesamt 7612 Ärztinnen und Ärzte in Elternzeit entsprach. Für die Elternzeit sieht Groch Stolpersteine – etwa den fehlenden Austausch mit anderen Betroffenen, das Risiko einer reduzierten OP-Zeit während der Weiterbildung, das Gefühl auf der Karriereleiter „überholt“ zu werden oder Probleme bei der Rückkehr in den Job. Aber Elternzeit könne eben auch eine Chance sein und beispielweise Forschungsideen zu entwickeln oder voranzutreiben, einen Blick von außen auf die eigene Abteilung zu gewinnen oder offener für alternative Arbeitsmöglichkeiten zu werden. Groch rief dazu „Elternzeit nicht als Abstellgleis zu sehen“. Auch sei mehr Mentoring gerade im Forschungsbereich sinnvoll. Groch betonte: „Insgesamt brauchen wir weniger Ellenbogen und mehr wir!“ Ein „wichtiges Tool, gerade für den Wiedereinstieg“ ist Mentoring für Dr. Alice Wermke. „Ich kann nur jedem ans Herz legen, sich einen ‚Sparring-Partner‘ zu suchen“, betonte die am Universitätsklinikum Leipzig chirurgisch tätige Fachärztin. Dabei sei Netzwerken nicht nur für den fachlichen Austausch wichtig, sondern auch für den persönlichen Austausch zu familiären Themen, zum Beispiel Kinderbetreuung. Auch für die Planung der „next steps“, „troubleshouting“ oder Reflexion könne der Austausch mit einer Mentorin oder einem Mentor nützlich sein. Netzwerken und Mentoring helfen „ermutigt zu sein“, so Wermke weiter. Sie verwies auf verschiedene Initiativen, zum Beispiel das Netzwerk „Die Chirurginnen“ oder die Initiative „Operieren in der Schwangerschaft (OPidS)“, wo es viele Informationen zu diesem Thema „gebündelt“ gibt. Die Schwangerschaft ist für Frauen in chirurgischen Fächern immer noch ein Stolperstein: „Ich selbst habe in meiner Schwangerschaft den OP nicht ein einziges Mal von innen gesehen“, erklärte Wermke. Das sei letztendlich eine Form der genderbasierten Diskriminierung, die Frauen immer noch erlebten. Zitate, von denen Ärztinnen berichteten, wie „Teilzeitmuttis haben in der Chirurgie nichts zu suchen“ oder „Wenn sie erst mal Kinder haben, werden sie hier nicht mehr zu gebrauchen sein“ belegten das. Dabei müsse diese Diskriminierung aber nicht zwingend mutwillig oder böswillig sein. Wermke verwies in diesem Zusammenhang auf den „Wildwuchs“ bei den Mutterschutzgesetzten, die Ländersache seien – oft entschiede jede Behörde unterschiedlich. „Schwangerschaft und Elternzeit sind immer noch Stolpersteine“, konstatierte Wermke. „Aber steter Tropfen höhlt hoffentlich auch diesen Stolperstein.“ Die Elternzeit sei aber auch dafür da, Zeit mit der Familie zu verbringen, betonte Wermke. Vorbilder und Vorgesetzte müssten Mitarbeitenden aber auch das Gefühl geben, „dass Zeit für die Familie gut ist und sie das unterstützen“. Noch sind Männer, die in Elternzeit gehen – vor allem für mehr als zwei Monate – in der Minderheit. Aber es gibt sie, Alexander Hofmann aus Murnau zum Beispiel, selbst Arzt in Weiterbildung nach Elternzeit und in Teilzeit. Beides für ihn nicht einfacher als für die Kolleginnen in Teilzeit, denn männlichen Kollegen würden nicht unbedingt die gleichen Modelle gewährt, wie er aus eigener Erfahrung berichtete. Er sagte auch, es sei einfacher einzelne Arbeitstage zu reduzieren als Stunden pro Arbeitstag. Letzteres mag einfacher mit Kita-Öffnungszeiten zu vereinbaren sein, allerdings in der Praxis schwer umzusetzen – beispielsweise könne man den OP nicht einfach verlassen. Mit Blick auf Reaktionen aus dem Umfeld meinte Hofmann: „Man braucht eine gewisse Elefantenhaut.“ Ob die Elternzeit ein Karriereknick ist, sei abhängig von den selbstgesteckten Zielen, so Hofmann. Es gehe darum zu entscheiden, wie die Elternzeit gestaltet wird. Ein Modell sei Teilzeit in der Elternzeit, eventuell auch bei einem anderen Arbeitgeber, um bestimmte Zwischenziele zu erreichen. Als größten Stolperstein auf dem Karriereweg in der Elternzeit sieht Hofmann die Wiedereingliederung nach der Elternzeit. Das betreffe größtenteils die Frauen, die immer noch länger in Elternzeit gehen. Hofmann empfiehlt eine gründliche Vorbereitung des Wiedereinstiegs: „Die Planung dafür beginnt vor dem letzten Arbeitstag.“ Idealerweise gebe es eine Planung gemeinsam mit den Vorgesetzten. Wichtig sei es auch den Kontakt zu halten, etwa durch regelmäßige Teilnahem an Terminen. So sei man nicht „weg vom Fenster“. Auch Mitarbeitergespräche vor und während des Wiedereinstiegs hält Hofmann für sinnvoll. (ja)
Mehr erfahren zu: "Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen" Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen Eine neue internationale Studie konnte nun die Schritte entschlüsseln, die das menschliche Becken im Laufe von Millionen von Jahren so veränderten, dass zweibeiniges Gehen möglich wurde.
Mehr erfahren zu: "Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt" Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines kleinen Moleküls als Blocker zur Hemmung des SUMO2-Proteins eine erfolgreiche Strategie gegen Synovialsarkome sein könnte.
Mehr erfahren zu: "KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen" KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen Was denken Patienten über Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin? Eine internationale Studie liefert eine Antwort. Zentrales Ergebnis: Je schlechter der eigene Gesundheitszustand, desto eher wird der Einsatz von KI […]